Trumps Covid-19-Lügen
Das Buch von Starreporter Bob Woodward droht, im US-Wahlkampf zum Mühlstein um den Hals des Präsidenten zu werden
Die Auszüge aus dem neuen Woodward-Buch, vor allem aber die Audio-Mitschnitte lösten in der amerikanischen Hauptstadt ein politisches Erbeben aus. „Er hat das amerikanische Volk belogen“, griff der demokratische Präsidentschaftsbewerber Joe Biden den Amtsinhaber wegen seines Umgangs mit der Bedrohung durch den tödlichen Covid-19-Erreger an. „Er hat wissentlich und absichtlich monatelang über die Gefahren gelogen, die er für unser Land bedeutet.“
Speakerin Nancy Pelosi ging noch einen Schritt weiter und hielt Trump vor, eine große Zahl der mehr als 191 000 Covid-19-Toten und sechs Millionen Infizierten auf dem Gewissen zu haben. „Seine Verzögerungen, Verzerrungen und Verleugnungen der Gefahren sind verantwortlich für viele der Toten und Infektionen.“
Trump widerspricht sich selbst
Obwohl das Weiße Haus wissen konnte, was nach den achtzehn Interviews des Präsidenten mit dem Starreporter der Washington Post zwischen Dezember 2019 und Juli dieses Jahres auf diesen zukam, erwischten die Auszüge des Buchs Trumps Mitarbeiter ziemlich unvorbereitet. Sprecherin Kayleigh McEnany bestritt apodiktisch, dass der Präsident die Amerikaner belogen hat. „Absolut nicht.“Dabei tat sie so, als existierten die Mitschnitte Woodwards nicht, auf denen der Präsident zugibt, die Gefahren des tödlichen Covid-19-Erregers im Februar und März absichtlich minimiert zu haben. „Ich wollte das immer herunterspielen“, sagt Trump klar vernehmbar in dem Audio
Bob Woodward brachte im Watergate-Skandal den damaligen US-Präsidenten Richard Nixon zu Fall. Seine neuesten Enthüllungen belasten nun Donald Trump schwer. vom 19. März. Und fügt hinzu: „Ich möchte es immer noch herunterspielen, weil ich keine Panik erzeugen will.“
Der Präsident bestätigte vor Reportern im Weißen Haus die Richtigkeit des Zitats. Er habe sicherlich „dieses Land und die Welt nicht verrückt machen wollen. Wir wollten Selbstvertrauen zeigen. Wir wollten Stärke zeigen.“
Die eigenen Worte des Präsidenten lassen keinen Zweifel daran, dass er den Ernst der Lage verstanden hat. „Sie brauchen nur die Luft einzuatmen und schon haben sie sich angesteckt“, sagt Trump am 7. Februar, lange vor Beginn der
Pandemie in den USA . „Das ist sehr viel tödlicher als selbst eine starke Grippe“, meinte der Präsident.
Obwohl Donald Trump im Detail um die Gefahren und die Wege der Ausbreitung des Virus wusste, tat er in den folgenden Wochen so, als sei alles unter Kontrolle. Er veranstaltete in fünf Städten überall im Land große Kundgebungen in Hallen und Arenen, an denen zehntausende Menschen ohne sozialen Abstand und Masken teilnahmen.
Während Trump Woodward mit großer Ernsthaftigkeit und Detailkenntnis darlegte, dass Covid19 um 500 Prozent tödlicher sei als die Grippe und damit nicht verglichen werden könne, sagte er öffentlich genau das Gegenteil. Dutzende Male behauptete der Präsident der Corona-Virus sei nicht schlimmer als eine gewöhnliche Grippe, werde bei wärmerem Wetter „verschwinden“und sei unter Kontrolle.
Das Muster zieht sich wie ein roter Faden durch den Umgang Trumps mit der Corona-Pandemie. Er drängte im April wider besseres Wissen auf ein Ende des Shutdowns, obwohl er Woodward zur selben Zeit gestand, dass sich das Virus „so leicht übertragen lässt, sie glauben es fast nicht“.
Zu Beginn des neuen Schuljahrs bestand Trump auf die Öffnung von Universitäten und Schulen. „Kinder sind fast immun“, postulierte der Präsident öffentlich. Dabei hatte er in den Interviews mit dem Starreporter der Washington Post bereits Monate vorher über „erschreckende Fakten“gesprochen, die zeigten, dass nicht nur ältere Menschen in Gefahr seien. „Es betrifft auch junge Leute – viele junge Leute.“
Pikante Details
In dem 480 Seiten starken Buch geht Woodward im Detail auch auf Trumps Haltung zu den Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus
ein, beschreibt das schwierige Verhältnis des Präsidenten zu seinen Generälen, zitiert aus den „Liebesbriefen“zwischen Kim Jong-Un und Trump und beschreibt, wie nahe das Land an einer nuklearen Auseinandersetzung mit Nordkorea stand.
Er (Trump) hat wissentlich und absichtlich monatelang über die Gefahren gelogen, die er für unser Land bedeutet. Joe Biden, Präsidentschaftsbewerber der Demokraten
Eindringlich die Passage, in der Woodward beschreibt, wie der ehemalige Pentagon-Chef Jim Mattis in voller Montur zu Bett ging, weil er einen Atomkrieg fürchtete. Ein Mitarbeiter Mattis hielt auch fest, wie Trump seine „verfickten Generäle“als „einen Haufen von Schlappschwänzen“kritisierte.
Für die an Skandale und Affären gewöhnte Ära Donald Trumps erzeugt das Woodward-Buch mehr Aufmerksamkeit als dem Wahlkampfteam des Präsidenten lieb sein konnte. „Jeden Tag, an dem wir Joe Biden nicht als Liberalen brandmarken, ist ein schlechter Tag für uns“, gestand ein Mitarbeiter des Wahlkampfteams. Wie es aussieht, stehen dem Präsidenten nach dem Erschienen des Woodward-Buchs „Rage“mit immer neuen Einzelheiten viele solcher Tage bevor.
Bob Woodward, „Rage“
Edition: Simon & Schuster, ISBN-13: 978-1982131739, Sprache: Englisch, 480 Seiten, ca. 15 Euro