Kraftort für die geschundene Seele
Von der Abtei im saarländischen Tholey, den Fenstern von Gerhard Richter und neuem Aufbruch
Endlich dürfen sie schimmern und glänzen – besonders, wenn das Licht am frühen Morgen durch die Ostseite der Kirche in den Altarraum einfällt und dann den Gottesraum mit einem großen Farbenspiel erfüllt: Die „Richter-Fenster“sind eingebaut. Mit einer großen Eröffnungswoche ab Sonntag, dem 20. September, wollen die Benediktiner-Mönche der Abtei Tholey mit der breiten Öffentlichkeit endlich nicht nur diese eigens für die Kirche von einem der berühmtesten Künstler Deutschlands entworfenen Glasflächen feiern.
Seit Jahren laufen die Arbeiten an der Abtei St. Mauritius Tholey – die einzige ihrer Art im Saarland; erst der Garten, der Kirchturm und jetzt die von Grund auf renovierte Kirche. Dank zahlungskräftigen Unterstützern ist es gar gelungen, eben Gerhard Richter dafür zu gewinnen, nach seinem international Aufsehen erregenden Fenster im Kölner Dom 2007 auch die Fenster des Hauptchores der ältesten Abtei Deutschlands zu gestalten. Man sei ganz vorsichtig an diesen scheuen Mann von Weltrang, einen der höchstbezahlten zeitgenössischen Künstler, herangetreten – und habe letztendlich auch darum gebetet, Gehör zu finden, verrät Frater Wendelinus Naumann, der Mönch, der sich im Konvent um die Baustellenabwicklung kümmert. Und die Mönche wurden erhört.
Diese Fenster seien ein „Weltereignis“betont die Abtei in ihrer Pressemitteilung selbstbewusst – und es stimmt: Selten stand sie in den letzten Jahrzehnten so öffentlich im Mittelpunkt wie jetzt. „Diese Fenster werden den Hintergrund für die ganze Liturgie darstellen. Ich finde es wunderbar, dass das letzte Geheimnis, also das Gottesgeheimnis, das letzte Mysterium
nicht figürlich dargestellt wird. Denn es ist zutiefst christlich, dass wir in diesem Leben kein Bild von Gott haben“, sagt Frater Wendelinus.
„Wenn Sie im Diskurs mit anderen Religionen, anderen Konfessionen oder Atheisten die Frage nach der Vorstellung von Gott stellen, vielleicht auch nur als Hypothese, so wird man sich doch darauf einigen können: Wenn es so etwas wie Gott gibt, wäre es die höchste Harmonie, die höchste Perfektion, etwas Absolutes. Und das findet sich in dem Fenster wieder.“
Glaskunst aus Münchner Werkstatt
Allein die Technik zur Entstehung der Richter-Fenster ist einzigartig: Spezialisten der Münchner Firma Gustav van Treeck kombinierten mehrere unterschiedliche Arbeitsweisen, um den Entwurf Realität werden zu lassen: Glasmalerei, Gläserschichtungen aus einem Basisglas und Glasbläserei vermischen sich. „Wir haben uns den Entwurf erst einmal sehr genau angeschaut und dann experimentiert“, sagt Raphaela Knein, Ko-Leiterin
der Bayerischen Hofglasmalerei Gustav van Treeck. „Es stand immer die Frage im Raum ,Was ist das Beste für diesen Entwurf?‘ und wir haben mit Mustern immer wieder mit dem Atelier Richter Rücksprache gehalten. Letztlich dominieren stark die Blau, und Rot-Töne. Und die wollten wir betonen. Dazu schauen wir aber auch genau auf die Transparenzen und wie das Licht im Glas gestreut wird – Glas ist eben kein Papier, es widersetzt sich auch schon mal und lässt sich nie berechnen.“
Es sind aber nicht nur diese drei Fenster im Maß von 9,30 Metern auf 1,95 Meter. Für weitere 34 Fenster sorgt die afghanische Künstlerin Mahbuba Maqsoodi, die muslimischen Glaubens ist, den Wettbewerb gewann und mit der Gestaltung beauftragt wurde.
Die Kirche soll bis Ostern 2021 komplett renoviert erstrahlen. Und das, wo doch schon das Ende für das erstmals im Jahre 634 n. Chr. urkundlich erwähnte Kloster gekommen schien. Das Konvent sei im Jahr 2008 in einer spirituellen, personellen und wirtschaftlichen Krise, so die Abteileitung. Abt Mauritius Choriol hatte eigentlich damit gerechnet, Tholey schließen zu müssen. „Ich hätte nie davon zu träumen gewagt, dass ich in Tholey so etwas erleben darf“, sagt der Abt, als Medienvertretern ein erster Blick auf die Fenster erlaubt wird. „Die Kirche wusste über Jahrhunderte Architektur, Malerei und Musik in ihre Verkündigung einzubauen. All dies hilft dem Menschen neben der Verkündigung in Wort und Tat eine Ahnung der Vollkommenheit zu erlangen. Hier geht Tradition in die Zukunft und so kommen wir Gott näher. Gerhard Richter hat gesagt, dass die Fenster Trost spenden sollen. Aber nachdem ich sie jetzt gesehen habe, überwiegt die Freude an der Kraft, die sie ausstrahlen.“
Seine elf Mitbrüder – mit gerade einmal 24 Jahren kommt ein ganz junger Mönch, Bruder Maurus, aus Luxemburg – seien tief bewegt gewesen als sie den ersten Blick darauf werfen konnten. Und so soll es auch den Tausenden Besuchern ergehen, die den Weg in die Abtei finden sollen.
Neue Begegnungen schaffen
Es ist der Traum, nicht nur dieses Kloster zu erhalten, sondern es zum Anzugspunkt gerade auch für die Menschen zu machen, die Halt suchen und einen Ort brauchen, an dem sie Ruhe und Kraft tanken können – erst einmal unabhängig davon, ob sie der klassisch-katholischen Lehre folgen und glauben. „Zusammen mit der Liturgie oder auch unserem Gesang wird diese Kunst zu einer Entschleunigung beitragen und in der Konnotation mit der religiösen Botschaft eine besondere Kraft ausstrahlen. Ich bin bei der Wirkung der Fenster zuversichtlich – ähnlich wie bei der Architektur des 13. Jahrhunderts, der Orgel und dem Chorgestühl des Barock wird diese Qualitätsarbeit ihre Wirkung haben. Diese Bilder lösen bei den Menschen ganz unterschiedliche Wahrnehmungen aus – das Gegenständliche genauso wie das Abstrakte. Wir wollen aber darüber zueinanderfinden und wir als Abtei den Menschen verschiedene Angebote machen und sie in ihrer Unterschiedlichkeit annehmen.“
Gerade der junge Luxemburger Mönch Maurus soll sich um die Besucher kümmern – er habe eine großes Gespür für Jugendliche und werde Führungen übernehmen, sagt Frater Wendelinus.
Gerhard Richter hat gesagt, dass die Fenster Trost spenden sollen. Aber nachdem ich sie jetzt gesehen habe, überwiegt die Freude an der Kraft, die sie ausstrahlen. Abt Mauritius Chariol