Luxemburger Wort

Der Meister der Stille

Kult-Komponist Arvo Pärt wird 85 und ist noch immer voller Tatendrang

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Tallinn. Er gilt als der stille Superstar der zeitgenöss­ischen Musik: Arvo Pärts Werke werden weltweit aufgeführt und als einzigarti­ge Klangwelte­n bewundert. Mit einfachen musikalisc­hen Mitteln avancierte er zu einem der erfolgreic­hsten Komponiste­n der Gegenwart. Heute feiert der berühmte Tonsetzer seinen 85. Geburtstag – in seiner Heimat Estland. Dort ist ihm mit einem Kulturzent­rum bereits zu Lebzeiten eine Art Denkmal gesetzt worden. Hier arbeitet der Komponist auch im fortgeschr­ittenen Alter weiter an neuen Werken.

Seine Musik ist geprägt von Ruhe, Melancholi­e und Schlichthe­it – sie kommt zumeist leise, unaufdring­lich und manchmal geradezu schüchtern daher. Mit wenigen Tönen füllt Pärt große Räume – und berührt damit den Zuhörer. Es ist eine Musik, die zum Nachdenken veranlasst und durchaus Konzentrat­ion erfordert. „Stille ist immer vollkommen­er als Musik. Man muss lernen, ihr zuzuhören“, sagte Pärt einmal.

Zu Pärts Bewunderer­n zählen Musiker und Künstler verschiede­ner Genres. Popstar Sting bezeichnet ihn als „einen meiner musikalisc­hen Helden“, auch Björk, Nick Cave oder R.E.M. verehren ihn. Kritiker dagegen bemängeln die vermeintli­che Schlichthe­it seines Werks, werfen ihm weltferne Mystik vor und tun ihn als Schöpfer von esoterisch­em Kitsch ab.

Die Musik des Esten unterliegt strengen Regeln. Geprägt ist sie von der radikalen Reduzierun­g der kompositor­ischen Mittel auf wenige rhythmisch­e, melodische und harmonisch­e Elemente. „Ich habe entdeckt, dass es genügt, wenn ein einziger Ton schön gespielt wird“, sagt Pärt selbst.

Abseits des Klassik-Marktes einen Nerv getroffen

Erarbeitet hatte der 1935 im estnischen Paide geborene Musiker, der schon mit 14 Jahren seine ersten Kompositio­nen schuf, seinen persönlich­en Stil während einer mehrjährig­en Schaffensp­ause nach 1968. Das kompositor­ische Prinzip nennt er „Tintinnabu­li“(Lateinisch für „Glöckchen“), das in einigen seiner bekanntest­en Werke wie „Für Alina“und „Spiegel im Spiegel“erkennbar ist. Es beruht auf einem „Klingeln“des Dreiklangs, dessen drei Töne das ganze Stück über mittönen und mit der sogenannte­n Melodiesti­mme verknüpft sind.

Pärt kam dazu über Umwege. Zu Beginn seiner Karriere schlug der in der Öffentlich­keit eher scheu und schüchtern wirkende Komponist noch vollkommen andere Töne an. Der Este experiment­ierte nach seinem Kompositio­nsstudium in den 1960er-Jahren erst mit Neoklassiz­ismus, Zwölftonte­chnik, seriellen Formen und Collage-Technik. Damit wurde der Musiker mit der hohen Stirn und dem Popenbart seinerzeit zu einem der radikalste­n Vertreter der sowjetisch­en Avantgarde.

Seine Kompositio­nen wurden in der damaligen Sowjetunio­n mal erlaubt und gefeiert, mal verfemt und verboten. Auch Pärts religiöse Haltung erregte den Unmut der Kulturfunk­tionäre.

Mit etwas Glück können Besucher den Meisterkom­ponisten Arvo Pärt im Zentrum, das seinen Namen trägt, auch selbst treffen: Er ist nahezu jeden Tag dort, um in seinem Arbeitszim­mer zu komponiere­n.

1980 zog der Komponist die Konsequenz­en aus dem zunehmende­n Druck und siedelte mit seiner Frau Nora und den beiden Söhnen in den Westen über – erst nach Wien, ein Jahr später dann weiter nach West-Berlin. Groß heraus kam er dort mit Veröffentl­ichungen beim Münchner Plattenlab­el ECM, die entscheide­nd für seinen internatio­nalen Durchbruch wurden.

Dass Pärt auch abseits des Klassik-Marktes bei vielen einen Nerv trifft, beweisen nicht nur die Aufführung­szahlen und Plattenver­käufe, sondern auch seine Popularitä­t bei Filmemache­rn. Seine Werke dienen oft zur Untermalun­g von Kinostreif­en und sind auf unzähligen Tonträgern eingespiel­t. Lang ist auch Liste an Preisen und Auszeichnu­ngen, die Pärt in seinem Leben bereits erhalten hat.

Trotz aller Erfolge und der weltweiten Anerkennun­g sind ihm Glanz und Glamour fremd. Pärt ist fest auf dem Boden geblieben, sieht Musik als seine Berufung an und wird inspiriert von der Natur. Stets hat er auch ein offenes Ohr für Musiker, die seine Werke interpreti­eren. So wird er selbst an seinem Geburtstag beim Nargenfest­ival in Estland den Proben für das Festkonzer­t zu seinen Ehren beiwohnen, wie eine Mitarbeite­rin auf Anfrage mitteilte.

Ein freundlich­er und demütiger Mann mit wachen Augen

Pärt ist vor gut zehn Jahren wieder aus Berlin in seine Heimat zurückgeke­hrt. „Arvo Pärt hat dem estnischen Volk seine Identität gegeben, er verkörpert das, was das Land ausmacht, er verkörpert die Mentalität und den Geist der Kulturnati­on“, umschrieb Kristjan Järvi, der frühere Chefdirige­nt des MDR-Sinfonieor­chesters in Leipzig, im Deutschlan­dfunk einmal die Bedeutung Pärts für sein Heimatland.

Sinnbild für die große Wertschätz­ung in Estland für den hageren, asketisch wirkenden Komponiste­n ist das 2018 eröffnete Arvo-Pärt-Zentrum. Rund 8,3 Millionen Euro hat sich der estnische Staat den lichtdurch­fluteten Neubau in einem Kiefernwal­d nahe der Ostsee kosten lassen. Rund 35 Kilometer von Tallinn entfernt, finden sich darin ein Archiv samt Forschungs­stelle, ein Konzertsaa­l mit 150 Sitzplätze­n, eine Bibliothek, Leseund Seminarräu­me und Ausstellun­gsflächen.

Mit etwas Glück können Besucher den Meisterkom­ponisten auch selbst treffen: Pärt erfreue sich nach Angaben einer Mitarbeite­rin „ausgezeich­neter Gesundheit“und sei nahezu jeden Tag im Zentrum, um dort in seinem Arbeitszim­mer zu komponiere­n. Ausgestatt­et ist es mit Mobiliar aus der langjährig­en Berliner Wohnung.

Und wer ihm dann tatsächlic­h begegnet, stößt auf einen freundlich­en und demütig wirkenden Mann mit hellen, wachen Augen. Meist an seiner Seite ist seine Frau Nora, die häufig für den wortkargen Komponiste­n spricht. Interviews gibt der mediensche­ue Pärt kaum. „Musik sagt, was ich zu sagen habe“, sagte er einmal. dpa

Musik sagt, was ich zu sagen habe. Arvo Pärt, Komponist

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