Skepsis und Vorfreude
Eltern und Lehrer sehen der Rentrée mit gemischten Gefühlen entgegen
Luxemburg. Bei Familie Anen stehen die Schulranzen bereits seit Tagen fertig gepackt im Wohnzimmer. Die beiden siebenjährigen Zwillinge Natalia und Victoria freuen sich auf den Schulanfang. Doch wird es eine Rentrée wie gewohnt? Das vergangene Schuljahr war mit Lockdown und A-/B-Klassen ziemlich turbulent zu Ende gegangen. Vieles wurde auf den Kopf gestellt. Ein Rückblick auf eine ganz außergewöhnliche Zeit und eine Aussicht auf das, was kommen mag. Lehrer und Eltern erzählen von ihren Erfahrungen und ihren Einschätzungen.
Die ganzen Umstellungen im Schulablauf nahmen am Donnerstag, dem 12. März, ihren Anfang. Bildungsminister Claude Meisch (DP) war für eine Pressekonferenz vor die Kamera getreten und hatte verkündet, dass ab der darauffolgenden Woche alle Schulen landesweit geschlossen bleiben würden. Weiter gelernt werden sollte aber trotzdem. Viele Lehrer wurden überrumpelt.
„Ich hatte es für unmöglich gehalten, dass so etwas passieren könnte“, sagt Michèle Forman, Biologielehrerin im Lycée classique in Diekirch. Und auch für die Kindergärtnerin Carole Betz aus Esch/Alzette schien die Entscheidung anfangs irgendwie surreal und unvorstellbar: „Es sollte bald ein Elterntreffen sein und in der Schule hatte ich mit den Kollegen noch darüber diskutiert, ob die Ferienkolonien stattfinden werden.“Doch der Entschluss der Regierung stand fest: Die Lehrer mussten sich anpassen und die Eltern sich mit ihrem Urlaub aus familiären Gründen einteilen.
„Die erste Woche war besonders schwer, da die Lehrer ein Wochenprogramm aufstellten und dann überwiegend über Mail und
SMS mit den Schülern kommunizierten“, unterstreicht Angela Quarato, die Französisch und Italienisch im Lycée de garçons in Esch/Alzette unterrichtet. „Relativ schnell wurden aber dann Videokonferenzen eingeführt und es hat sich dann doch alles sehr gut eingependelt.“Die Schüler hätten auch zum größten Teil sehr gut mitgemacht, so das Echo der Lehrerinnen.
Während die Biologielehrerin Michèle Forman der Meinung ist, mit ihrem Programm dennoch recht gut vorangekommen zu sein, ist die Sprachenlehrerin Angela Quarato da etwas anderer Meinung. „Es mussten Abstriche gemacht werden und eben Prioritäten gesetzt. Das ganze Programm konnte nicht abgearbeitet werden. Im September steht dies nun noch bevor“, betont sie. Wie groß die Leistungsdifferenzen zwischen den Schülern sein werden, muss sich auch erst noch zeigen. Die Lehrerinnen befürchten aber, dass sich Ungleichheiten verstärkt haben, da nicht jeder die gleichen Bildungschancen und Möglichkeiten zu Hause hatte.
Einig sind die Frauen sich aber auch, dass es für sie auf jeden Fall mehr Arbeit war: „Es war 200 Prozent mehr“, sagt Angela Quarato. „Trotz fast 20-jähriger Berufserfahrung musste ich alle Kurse noch einmal und anders vorbereiten. Dazu gehört etwa auch das ganze Material abzutippen.“„Es war mehr Stress. Ich war quasi von morgens bis abends erreichbar“, meint auch Michèle Forman.
Aber nicht nur als Lehrerinnen standen sie noch nie dagewesenen Herausforderungen gegenüber. Auch als Eltern. Michèle Forman hat zwei Kinder im Alter von zwei und drei Jahren, Angela Quarato drei Jungs von sieben, zehn sowie 13 Jahren und Carole Betz zwei Mädchen von fünf und sieben Jahren. Alle mussten sie regelmäßig feststellen, dass sich die Kinder weniger gerne etwas von den Eltern für die Schule beibringen lassen, als vom Lehrer. Es habe reichlich Diskussionen gegeben und manche Startschwierigkeiten hätten einen routinierten Tagesablauf erforderlich gemacht. Alle werten es jedoch als Vorteil, dass sie als Lehrerin tätig sind. „Alleine der Fakt, die gängigen Sprachen zu kennen, hilft. Nicht alle Eltern konnten ihre Kinder bei ihren Aufgaben zu Hause unterstützen“, meint Angela Quarato.
Bei Familie Anen ist dagegen zwar niemand Lehrer, doch die Zeit des Heimunterrichts haben Liza und Nicolas Anen dennoch gut gemeistert, finden sie. „Am Anfang wussten wir nicht, wie wir uns einteilen sollten, da die Mädchen recht viele Aufgaben hatten“, erinnert sich Liza Anen. Auch ein neuer Laptop musste auf die Schnelle her. Durch den Urlaub aus familiären Gründen konnten sie sich jedoch gut zu Hause abwechseln, sodass es für sie keine Schwierigkeiten gab. Rückblickend sagen sie, dass sie die Zeit in der Familie sehr genossen haben. „Wir haben unsere Töchter anders und sogar besser kennengelernt“, meint Nicolas Anen. „Wir kennen nun die Stärken und Schwächen von jeder Einzelnen viel genauer.“
Doch trotz auch positiver Erfahrungen hat die Pandemie ebenfalls negative Auswirkungen auf manche Kinder und Jugendliche. Während des Lockdown konnten sie nicht einmal Freunde oder die Großeltern besuchen. Viele litten an fehlenden sozialen Kontakten und damit einem geringeren Austausch. Manchen fehlte auch die alltägliche Bewegung sehr, sodass sie an Gewicht zunahmen.
Die Rentrée im Mai nach dem Lockdown, mit der Einteilung in Aund B-Klassen, war für viele Kinder und Jugendliche zumindest ein kleiner Schritt in Richtung Normalität. Auch hier war wieder ein schnelles Umdenken in den Schulen gefragt. Plötzlich bedurfte es separater Eingänge für die unterschiedlichen Klassen, die Kantinen blieben geschlossen, der Sportunterricht fiel aus. „Wir waren verunsichert. Wir richteten für die persönlichen Gegenstände eines jeden Kindes, wie etwa Malstifte, eine kleine Kiste her“, erklärt Kindergärtnerin Carole Betz. Eine Maskenpflicht herrscht in den Klassenräumen der Kindergärten jedoch nicht und auch die Abstandsregeln können dort nicht eingehalten werden. Für die kleinen Kinder sei es nämlich extrem wichtig, die Mimik der Lehrerin zu sehen, um sie richtig zu verstehen, betont die Kindergärtnerin.
Ich hatte es für unmöglich gehalten, dass so etwas passieren könnte. Michèle Forman, Mutter und Biologielehrerin
Die Maske, ein alltägliches Bild
Der Schulbeginn in der kommenden Woche wird in den höheren Klassen aber auch weiterhin mit Maske stattfinden. Zwar herrscht in den Schulen während des Unterrichts keine Maskenpflicht, so lan
ge die Abstandsregeln eingehalten werden können, doch ist dies nicht in allen Schulen möglich. „Ich würde mir wünschen, dass alle die Masken während des gesamten Unterrichts aufbehalten“, erklärt Michèle Forman. „Man gewöhnt sich daran. Manche Berufsgruppen tragen sie ja auch einen ganzen Tag, dann können wir das auch.“„Wir behalten die Masken während des gesamten Unterrichts auf. Eine Klasse besteht aus etwa 25 Schülern aus 25 verschiedenen Haushalten. Wir müssen uns gegenseitig schützen“, unterstreicht Angela Quarato.
Mit gemischten Gefühlen, aber dennoch überwiegend positiv sehen Lehrer und Eltern nun dem
Schulanfang entgegen. „Wir wissen noch nicht, wie der erste Schultag ablaufen wird. Wahrscheinlich dürfen wir die Kinder nicht in den Klassensaal begleiten“, sagt Liza Anen. Michèle Forman zeigt sich nachdenklich: „Ich hoffe, dass alles normal abläuft. Man freut sich und hofft, dass nicht dann später doch wieder alles geschlossen werden muss.“
Eine andere Atmosphäre
„Ich freue mich riesig. Auch darauf, die neuen Schüler kennenzulernen. Nächste Woche werden noch einmal Versammlungen der Mitarbeiter abgehalten, in denen letzte Fragen geklärt werden“, meint Angela Quarato.
Carole Betz geht davon aus, gleich zu Beginn viel Zeit mit den Kindern zu verbringen, um mit ihnen über diese doch sehr ungewöhnliche Zeit zu reden und ihnen zu erklären, wieso die Dinge jetzt sind, wie sie sind. „Die Atmosphäre im Klassensaal wird aber wohl wie vor den Sommerferien eine andere sein als normalerweise“, befürchtet Angela Quarato. Masken und besonders die Distanzregeln machen ihrer Meinung nach da einen großen Unterschied.
„Ich bin schon sehr mütterlich mit meinen Schülern. Dass ich ihnen nicht einmal die Hand auf die Schulter legen darf, ist schon schade“, sagt sie. Doch geteiltes Leid sei irgendwie auch halbes Leid. Hauptsache, es gehe wieder los.
Dass ich den Schülern nicht einmal die Hand auf die Schulter legen darf, ist schon schade. Angela Quarato, Mutter sowie Französisch- und Italienischlehrerin
Wir haben unsere Töchter anders und sogar besser kennengelernt. Nicolas Anen, Vater und Journalist