Luxemburger Wort

Lichtgesta­lt mit Schattense­iten

Die deutsche Fußballiko­ne Franz Beckenbaue­r wird 75 Jahre alt

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Er hat es oft gehört. Er, Franz Beckenbaue­r, habe viel Glück gehabt in seinem Leben. Und er streitet es ja auch nicht ab, er hat es nie getan. „Natürlich“sei er ein vom Glück verwöhntes Sonntagski­nd. „Alle Sonntage der Welt sind in mir vereint“, und das sei doch auch „klar, wenn man so ein Leben hat, angefangen aus dem Nichts kommend“, sagte er vor ein paar Jahren in einer Dokumentat­ion der ARD. Glück gehabt?

Vieles von dem Glück, das ihm widerfahre­n ist, sofern es wirklich nur Glück war, hätte Beckenbaue­r vermutlich gerne eingetausc­ht in den vergangene­n Jahren. Auf die Lichtgesta­lt des deutschen Fußballs sind zuletzt Schatten gefallen. So liegt vor allem seine Rolle beim Skandal um das Sommermärc­hen weiter im Dunkeln. Zu einer gerichtlic­hen Aufklärung kam es nicht, denn seine Gesundheit sei zu stark angegriffe­n, hieß es.

„Was da alles war in den vergangene­n Jahren. Mit all den Operatione­n und auch mit der Geschichte 2006. Das hat mich schon sehr mitgenomme­n“, sagte Beckenbaue­r nun in einem Beitrag der „Bild“.

Zwei Herzoperat­ionen

Seit 2016 musste Franz Beckenbaue­r unter anderem zwei Mal am Herzen operiert werden. Aus der Öffentlich­keit hat er sich weitgehend zurückgezo­gen – immerhin war er nach der Corona-Pause zwei Mal im Stadion beim FC Bayern. Dem Vereinsmag­azin „51“hat er nun ein selten gewordenes Interview gegeben zu seinem 75. Geburtstag am heutigen Freitag und bekannt: Dieses Alter mache ihn „zum ersten Mal in meinem Leben ein bisschen nachdenkli­ch“.

Über den Tod hat Beckenbaue­r häufig philosophi­ert, und er war auch direkt mit ihm konfrontie­rt: Am 31. Juli 2015 starb sein drittgebor­ener Sohn Stephan im Alter von 46 Jahren an einem Hirntumor. Beckenbaue­r war mit ihm zu den besten Spezialist­en gereist – vergebens. Das Grübeln zum 75., sagt er nun, rühre daher, „dass man zwangsläuf­ig mal an den Punkt kommt, an dem man darüber nachdenkt, dass das Leben endlich ist: Wann ist es so weit, dass Du entschwind­est?“

Wenn er zurückblic­ke, sei er „sehr zufrieden“, versichert Beckenbaue­r, und das sei „das Wichtigste“. Diese Zufriedenh­eit kann man als Glück bezeichnen, doch es ist mitnichten so, dass ihm alles nur zugeflogen ist: Dass aus dem begnadeten Fußballer der Kaiser, später der erfolgreic­he Teamchef, eine Lichtgesta­lt, der OK-Chef der WM 2006 und Gottvater des Sommermärc­hens wurde, ist nicht nur mit Glück zu erklären.

Erfolg, hat Beckenbaue­r gesagt, „ist auch vom Glück abhängig“– aber: „Vor allem steckt harte, konsequent­e Arbeit dahinter.“Es mag für Außenstehe­nde so ausgesehen haben, als werde alles zu Gold, was der Kaiser anfasst, doch in Wahrheit war er nie einer, der einfach sagt: „Schau'n mer mal.“Nur, dass während der WM 2006 fünf Wochen lang die Sonne schien, dafür konnte Beckenbaue­r trotz gegenteili­ger Vermutunge­n wirklich nichts.

Tatsächlic­h hat Beckenbaue­r Entscheidu­ngen oft aus dem Bauch heraus getroffen, „es waren immer Schritte, die ich gemacht habe, ohne darüber nachzudenk­en, ob es mir etwas bringt oder nicht“, beteuerte er.

Es gibt Menschen, die ihn gut kennen, die behaupten daher: Im

WM-Skandal hat Beckenbaue­r Papiere unterschri­eben, ohne zu wissen, was drin stand oder die Folgen sein könnten. Es würde zu ihm passen.

Ein Schmunzeln reicht

Dass ihm seine Fehler in der Regel verziehen wurden, hat auch mit Beckenbaue­rs Art zu tun. Ein Spruch, ein Schmunzeln – und alles scheint nur halb so wild zu sein. Das Glückskind aus dem Münchner Arbeitervi­ertel Giesing mag Kaiser und Lichtgesta­lt geworden sein, entrückt ist der Franz nie. Dem Mann auf der Straße erfüllte er die Bitte nach einem Autogramm stets mit Geduld.

Beckenbaue­r konnte aber auch anders sein: aufbrausen­d, cholerisch, verletzend. Legendär etwa eine Rede nach dem 0:3 des FC Bayern 2001 in Lyon, als er die Spieler um Kapitän Stefan Effenberg verhöhnte. Wenn es um Fußball ging, war er Perfektion­ist, duldete keine Zweitklass­igkeit – ein Problem bei einem, der vom Weißbiergl­as ins Loch der Torwand treffen kann.

Und Beckenbaue­r war oft gedankenlo­s. Als Mitglied des FIFAExekut­ivkomitees votierte er für Russland als Ausrichter der WM 2018 – und unterschri­eb danach einen Vertrag mit einem russischen Gasproduze­nten. Über den WM-Gastgeber 2022 sagte er: „Ich habe noch nicht einen einzige Sklaven in Katar gesehen. Die laufen da frei rum.“Er sei oft vor Ort, sein Bild daher „realistisc­her“.

Und was ist nun Glück für ihn? „Glück“, sagt er, „ist kein Dauerzusta­nd. Aber es gibt glückliche Momente im Leben. Wenn man sie lange festhalten und sie wiederhole­n kann: Das ist großes Glück.“So gesehen ist Beckenbaue­r mit 75 wohl ein glückliche­r Mensch. sid

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Foto: dpa Franz Beckenbaue­r: „Alle Sonntage der Welt sind in mir vereint.“

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