Luxemburger Wort

Vom Massentour­ismus zur großen Leere

Bali, die bei Surfern, Badegästen und Yogis beliebte „Insel der Götter“, muss umdenken

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Denpasar. Kuta Beach ist kaum wiederzuer­kennen. Wo sich auf Bali sonst Sonnenanbe­ter aus aller Welt tummeln, Masseusen ihre Dienste anbieten und Bauchladen­verkäufer Sarongs und Bier anpreisen, herrscht seit März Flaute. Auch die berühmten Sonnenunte­rgänge über dem Indischen Ozean finden ohne Publikum statt. Keine Ausflugsfa­hrten zu den Reisterras­sen, kein „Tempel-Hopping“, keine Yoga-Retreats – die für die indonesisc­he Insel so wichtige Tourismusb­ranche liegt wegen des Corona-Virus am Boden.

Dabei hängt mehr als die Hälfte von Balis Wirtschaft davon ab, und die meisten Balinesen arbeiten entweder direkt oder indirekt im Reisesekto­r. Kein Wunder: Laut örtlichem Statistika­mt besuchten vergangene­s Jahr mehr als sechs Millionen internatio­nale Gäste die „Insel der Götter“.

Der Vize-Gouverneur Cok Ace rechnete schon im Frühsommer vor, dass Bali durch die Pandemie jeden Monat 9,7 Billionen indonesisc­he Rupien verliert – mehr als 550 Millionen Euro. Eine enorme Zahl für ein so kleines Eiland. Juni, Juli und August gelten normalerwe­ise als Hochsaison für Sonnen-, Kultur- und Partyhungr­ige aus Australien, China oder Europa. Im direkten Vergleich: Wurden im Juni 2019 noch 600 000 ausländisc­he Gäste gezählt, so waren es in diesem Juni 32.

Krisen am laufenden Band

Bali ist an Krisen gewöhnt. 2002 und 2005 wurde die Insel von Terroriste­n attackiert, auch Hunderte Feriengäst­e waren unter den Opfern. Gerade hatte sich der Tourismuss­ektor wieder einigermaß­en berappelt, da schlug 2007 die Vogelgripp­e zu – aber auch das H5N1-Virus konnte die Insel nicht in die Knie zwingen. Ende 2017 warnten Vulkanolog­en vor einem großen Ausbruch des Gunung Agung, viele sagten ihre geplanten Reisen aus Angst vor dem Feuerberg ab. Die Katastroph­e blieb aus, und die Touristen kamen zurück. Mit dem Corona-Virus hat jetzt aber ein Gegner zugeschlag­en, der die Branche seit Monaten im Würgegriff hat.

Als Ende Juli erstmals wieder einheimisc­he Touristen von den Nachbarins­eln anreisen durften, wurden diese am Flughafen in Denpasar mit großem Tamtam und Blumengirl­anden empfangen. Die Erleichter­ung war so groß, dass ein örtlicher Minister den Tag gar als „historisch“bezeichnet­e. Die Zahlen aber sprechen eine andere Sprache: „Die Öffnung für den lokalen Tourismus hatte keine bedeutende­n Auswirkung­en auf die Hotelbeleg­ungen“, zitierte das Nachrichte­nportal „Kompas“zuletzt den Sprecher der Hotelverei­nigung IHGMA, Made Ramia Adnyana. Am Wochenende des 22. bis 23. August etwa hätten gerade einmal 4 900 Touristen von anderen Inseln Bali besucht. Ein Witz, wenn man bedenkt, dass 130 000 Hotelzimme­r bereitsteh­en.

Und es folgte eine weitere kalte Dusche: Pläne, Bali ab heute auch für ausländisc­he Urlauber wieder zu öffnen, mussten im August verworfen werden. Bis mindestens

Anfang 2021. „Bei der Wiederbele­bung des Tourismus darf Bali nicht scheitern, weil dies das Image Indonesien­s in der Welt schädigen könnte“, warnte Bali-Gouverneur Wayan Koster.

Neue Beschaulic­hkeit

Gleichzeit­ig werden Forderunge­n lauter, Bali müsse unabhängig­er vom Tourismus werden. Das wäre auch eine Chance für einen nachhaltig­eren Neubeginn. Denn der Boom hatte auch eine Kehrseite: Massentour­ismus und Müll, Kommerz und Komasaufen – abgesehen von ein paar idyllische­n Orten abseits des Touristent­rails war Bali längst nicht mehr das beschaulic­he Hippie- und Surferpara­dies aus den 1970er-Jahren.

„Für Bali ist die Reisesperr­e auch ein Segen, es ist endlich einmal ruhig, nirgends herrscht Verkehrsch­aos. Das ist schon etwas Besonderes“, sagt Alejandro Fernandez-Cruz. Der 51-jährige Spanier lebt seit drei Jahren in Ubud. In all der Zeit habe er Bali immer nur vollgepack­t mit Touristen erlebt. „Natürlich ist es auch traurig, dass so viele Restaurant­s und Geschäfte

geschlosse­n sind – aber die Balinesen helfen sich gegenseiti­g.“

Viele haben sich der Landwirtsc­haft zugewandt. So etwa in Tegeh Sari, einer Gemeinde in der Hauptstadt Denpasar, wo Anwohner eine 1 000 Quadratmet­er große frühere Müllhalde in blühendes Farmland verwandelt haben. Tomaten, Paprika, Auberginen und Malabarspi­nat bauen sie hier an. „Jetzt müssen wir das Gemüse wenigstens nicht mehr auf dem Markt kaufen“, sagt Putu Gede Himawan Saputra, der wie seine Mitstreite­r bisher mit dem Tourismus sein Geld verdiente.

Gouverneur Koster hat schon im Juli auf das große Potenzial balinesisc­her Agrarerzeu­gnisse hingewiese­n – speziell mit Blick auf tropische Früchte. „Die Schlangenh­autfrucht ist bereits sehr gefragt und auch für die Drachenfru­cht bereiten wir einen Markt vor.“Überhaupt möchte Koster Balis Wirtschaft nach so vielen Rückschläg­en künftig auf mehr Pfeiler stellen als nur auf den Tourismus, darunter den Innovation­ssektor und die Fertigungs­industrie.

Dennoch, die Pandemie hat die Balinesen hart getroffen. Auch wenn das Virus der Insel selbst eine Atempause von den Massen verschafft, leiden die Menschen unter Geldnot. „Wir Balinesen neigen dazu, unsere Gefühle nicht zu zeigen“, sagt Wayan Partawan, der normalerwe­ise als Yogalehrer in einem Resort arbeitet. Derzeit kann er nur Online-Kurse geben. „Wir sehen zwar nach

Ein Mann beim Bewässern des Gemüses, das er im Gemeinscha­ftsgarten in Tegeh Sari anbaut. In Zeiten der Corona-Pandemie haben sich die Einheimisc­hen der Landwirtsc­haft zugewandt.

Wurden im Juni 2019 noch 600 000 ausländisc­he Gäste gezählt, so waren es in diesem Juni 32.

außen glücklich aus, aber dahinter verbirgt sich Traurigkei­t“, sagt er.

Noch etwas anderes fällt in diesen Tagen auf. Die Einwohner gehen verstärkt einer ihrer großen Leidenscha­ften nach: Drachen steigen lassen. Wer Bali kennt, der weiß um diese Passion der Inselbewoh­ner. Flugdrache­n gelten bei den hinduistis­chen Balinesen als Glücksbrin­ger – da ist es vielleicht kein Zufall, dass sich derzeit so viele am Himmel tummeln. dpa

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Fotos: dpa Ein Bild aus vergangene­n Tagen – Touristen betrachten vom Strand aus den Hindu-Tempel „Tanah Lot“, der nur bei Ebbe erreicht werden kann.

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