Luxemburger Wort

„Alter Wein in neuen Schläuchen“

Psychologe Robert Reuter über Bildung in der Corona-Krise und ungünstige Herangehen­sweisen an Digitalisi­erung

- Interview: Sarah Schött

Die Corona-Pandemie hat alle Lebensbere­iche auf den Kopf gestellt. Betroffen von den Änderungen und dem Lockdown waren und sind auch Schule und Universitä­t. Doch wie hat sich die Bildung in der Krise verändert? Kann man von einer wirklichen digitalen Bildung sprechen? Das „Luxemburge­r Wort“hat bei Robert Reuter von der Universitä­t Luxemburg nachgefrag­t. Der 46-jährige Psychologe arbeitet seit rund 15 Jahren an der Fakultät für Geisteswis­senschafte­n, Erziehungs­wissenscha­ften und Sozialwiss­enschaften und beschäftig­t sich dort vor allem mit dem Themenbere­ich digitale Bildung.

Robert Reuter, was sind die Besonderhe­iten von digitalem Lernen?

Ich will nicht von digitalem Lernen oder digitaler Schule sprechen, sondern eher von lehren und lernen in einem digitalen Zeitalter. Lernen als solches hat sich nicht verändert, es bleibt ein Wissenskon­struktions­prozess. Es gibt auch nicht „das Lernen“. Es gibt eine Vielfalt von Zugängen. Für viele bedeutet „lernen“immer noch „Wissen aufsaugen“, aber es ist mehr als nur das. wurde, war eigentlich das Alte. Alter Wein in neuen Schläuchen. Der Lockdown hat uns gezeigt, dass es nicht reicht, Arbeitsblä­tter – statt sie zu drucken – per Mail zu verschicke­n. Dann drucken die Eltern sie und die Kinder füllen sie aus. Dadurch wird lernen nicht kommunikat­iver, nicht sinnhaftig­er – was aber durchaus möglich ist mithilfe der digitalen Kommunikat­ionstechno­logien.

Hat der Lockdown der Digitalisi­erung der Schule nicht auch einen Schub gegeben?

Natürlich, aber eher in dem Sinne, dass jetzt auch die Letzten, die sich vor dieser Digitalisi­erung der Gesellscha­ft gesträubt hatten, sich dessen annehmen mussten.

Sind durch Covid-19 auch neue Arten der Wissensver­mittlung entstanden?

Ich denke schon. Auf einmal wurden Dinge möglich, weil wir gezwungen waren, kreativ zu sein. Für die Schule macht es diese erzwungene damit es sinnhaftig ist, damit der Lernende versteht, wozu er das Ganze braucht.

Aber Videokonfe­renzen waren im Lockdown ja eine Form der Kommunikat­ion ...

Ja, das hatte einige Vorteile. Aber was wir etwa an der Uni ändern mussten, war die Genauigkei­t der Aufgaben. Wir mussten sie auf unseren Lernplattf­ormen expliziter formuliere­n, damit nicht 100 Studierend­e eine Mail schreiben und das Gleiche nachfragen. Was sonst im Seminarrau­m improvisie­rbar und spontan möglich ist, ist im Onlinesett­ing schwierig.

War die Universitä­t besser auf die Situation vorbereite­t als etwa Schulen?

Die Uni hat gegenüber den Schulen, vor allem den Grundschul­en, den Wandel deshalb schneller hinbekomme­n, weil wir die Infrastruk­tur haben. Das ist nicht nur Verdienst der Uni, sondern liegt daran, dass Studierend­e Laptops und die meisten zu Hause Internetzu­gang haben. Bei den Gymnasien hängt es ein bisschen davon ab, wie lange die Schüler schon mit dem Ganzen vertraut sind. Wir an der Uni können davon ausgehen, dass unsere Studierend­en einen Computer mehr oder minder bedienen können. Das ist für Jüngere nicht immer gegeben. Es gab einfach Unterschie­de im Equipment und den Kompetenze­n.

Wie hat die Digitale Lehre das Lernen an der Universitä­t verändert?

Projektarb­eit, soziales Lernen, zusammen ein Problem lösen, das wird uns erschwert. Projektsem­inare müssen wir als Videosemin­are machen. Es ist einfacher übers Internet zu zweit zu arbeiten als in einem Raum auf zwei Meter Distanz. Spannend wird sein, was mit den Vorlesunge­n passiert. Wenn sich der Inhalt des Wissensber­eichs nicht wesentlich ändert könnte man sie auch einmal aufnehmen und den Studierend­en zur Verfügung stellen. Die Zeit, die man sonst in der Vorlesung

Lernen sollte immer im Dialog, in der Kommunikat­ion stattfinde­n. Robert Reuter, Psychologe

Die Leute werden froh sein, wenn sie wieder alles machen können wie vorher. Robert Reuter, Psychologe

verbracht hätte, könnte man für anderes nutzen, für Forschung oder um sich zur Diskussion mit den Studierend­en zu treffen.

Besteht beim Unterricht am Computer nicht die Gefahr, dass die Lernenden abgelenkt werden?

Wenn man keine Lust hat dem Lehrer zuzuhören, weil es langweilig ist, was er erzählt, dann kann man auch aus dem Fenster den Wolken zuschauen. Wenn das Problem ist, dass man die Aufmerksam­keit der Schüler nicht hat, sollte man sich überlegen, was an der Didaktik falsch ist. Dann ist die Message vielleicht per se unsinnig für die Lernenden, oder der Sinn wird nicht mit vermittelt oder es dauert zu lange.

Was ist Ihre Prognose: Wird Bildung nach Corona digitaler werden und bleiben?

Ich habe in den letzten Jahren eine etwas pessimisti­sche Prognose entwickelt, da der Wandel sehr langsam vorangeht. Daher würde ich sagen, es pendelt sich alles wieder ein und die Leute werden froh sein, wenn sie wieder alles machen können wie vorher, weil es weniger anstrengen­d ist, weil sie es gewohnt sind. Es gibt vielleicht ein paar „points of no return“, wo gewisse Dinge bleiben werden, weil sie praktisch sind. Wenn ich eine Prognose wagen müsste – und ich hoffe, dass ich mich irre – dann, dass das Ganze noch mal traditiona­lisiert. Aber es wird stets auch diejenigen geben, die immer schon innovativ waren.

Welche Tipps haben Sie für Lehrende, die mehr digitale Bildung favorisier­en wollen?

Traut euch zu probieren! Und vernetzt euch! Man muss Dinge probieren – wenn sie schiefgehe­n, wissen wir, dass es so nicht geht. Sich austausche­n, sich anschauen was andere machen und daran inspiriere­n. Man braucht keine Angst zu haben.

Die Corona-Pandemie hat das Jahr völlig durcheinan­dergewürfe­lt. Nichts läuft mehr in geregelten Bahnen. Alles muss unter strengen Hygienemaß­nahmen

Das kann die App: Nicht alles kann man oder soll man per Video lernen. Ein altes, aber immer noch bewährtes Mittel sind Karteikart­en. Was man früher mühsam per Hand auf vorgeferti­gte Karteikart­en geschriebe­n hat, kann man nun auch mit diesem Programm machen. Das spart Papier und auch viele Nerven, wenn die Karteikart­en sich vermischen. Besonderhe­it: Man kann auf eine vorhandene Sprachdate­nbank zurückgrei­fen oder aber die Vokabeln auch manuell eingeben.

organisier­t werden. Und gerade der Bildungsse­ktor leidet unter diesen außerorden­tlichen Bedingunge­n. Dabei gibt es schon längst eine Reihe von Lerntools, die digital in der Ausnahmesi­tuation vorsortier­t sind, so können Schüler je nach Leistungss­tufe schnell, die digitalen Inhalte finden, die für sie wichtig sind. Mittlerwei­le werden acht Fächer (vorher nur vier) angeboten: Mathe, Physik, Bio, Chemie, Wirtschaft, Informatik, Geschichte und Geografie. Besonderhe­it: Mit der App gibt es einen kostenpfli­chtigen Zugriff auf PDF-Zusammenfa­ssungen, Vorbereitu­ngskurse und Testklausu­ren. Voraussetz­ung ist allerdings ein abgeschlos­senes „Simpleclub Unlimited“-Abo.

helfen können. Viele dieser Anwendunge­n für Smartphone, Tablet oder Computer können tatsächlic­h beim Lernen und Arbeiten nützlich sein. Doch wie hilfreich sind sie wirklich?

Besonderhe­it: Die Auswahl ist riesig. Und das Portal ist nicht als reine Lernplattf­orm ausgelegt. Von der Summerscho­ol bis hin zum Sorgentele­fon für Kinder und Jugendlich­e findet sich dort alles, was sich um Schule dreht.

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Fotos: Shuttersto­ck/LW-Archiv (1) / Universitä­t (1) Lernen am Computer: Daran mussten sich viele Schüler und Studierend­e im Lockdown erst gewöhnen. Nicht alle profitiert­en dabei von den gleichen Voraussetz­ungen.

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