Na dann prost!
Deutschland setzt im Anti-Corona-Kampf auf weniger Party – Aber Alkohol wird nur regional rationiert
In Hamm finden sie das möglicherweise den Hammer. Dämlicher Witz. Aber nichts gegen das, was sich seit gut einer Woche sonst noch in den sozialen Netzwerken findet über die 180 000-Einwohner-Stadt am Rand des Ruhrgebiets. Sie ist aktuell der CoronaHotspot in Deutschland. Knapp 100 Infektionen pro 100 000 Einwohner in den zurückliegenden sieben Tagen – das Doppelte des Werts, den Bundes- und Länderregierungen als den kritischen festgelegt haben.
In Hamm sind die Infektionszahlen nach einer Hochzeit explodiert; wie es scheint, wurde sie über mehrere Tage hinweg an mehreren Orten gefeiert. Es gibt viele Gerüchte und wenig Definitives; in den Lokalzeitungen steht, dass die Behörden beim Nachverfolgen von Fest und Gästen auf Schweigen und Verschleierung stießen. Am Montag gibt es knapp 200 Infizierte, dazu 2 500 Menschen in Quarantäne – und einen wütenden Oberbürgermeister, der seinem Ärger auch in überregionalen Medien Luft macht. „Die haben sich“, zürnt Thomas Hunsteger-Petermann
etwa im „Spiegel“, „verhalten, als ob es Corona nicht gäbe. Das darf nicht sein.“
Da ist der Christdemokrat mit seiner vormaligen Parteivorsitzenden und Kanzlerin absolut einig. Republikweit steigen die Infektionszahlen so rasch und so heftig, dass Angela Merkel ebenfalls am Montag im Präsidium ihrer Partei ungewohnt deutlich wird: Man müsse sich um lokale Infektionsherde mit massiven Maßnahmen kümmern – sonst habe man in Deutschland zu Weihnachten Zahlen wie jetzt schon in Frankreich. Und Merkel nennt eine: 19 200 neue Infektionen pro Tag.
Zuerst der Streit
Dass die und alles andere sofort in die Öffentlichkeit gerät, ist Merkel bewusst – und wohl auch ihr Ziel. Denn für Dienstag steht die nächste Video-Konferenz mit den Länderchefinnen und -chefs an. Die Kanzlerin will, ehe der Sommer – und damit die Freiluftsaison – sich endgültig verabschiedet, strengere Anti-Infektions-Regeln vereinbaren. Vorneweg: Weniger Party, weniger Alkohol.
In der Beschlussvorlage, die am Dienstagmorgen bekannt wird,
Deutschland sei gut durch den Sommer gekommen, nun stehe mit dem Herbst und Winter aber eine „schwierigere Zeit“bevor, warnte Kanzlerin Angela Merkel gestern. steht: maximal 25 Gäste bei Feiern in privaten Räumen, maximal 50 in öffentlichen. Und bei steigenden Infektionszahlen „zeitlich eingegrenzte Ausschankverbote für Alkohol“. Freilich ist es wie bei all den Bund-Länder-Corona-Konferenzen zuvor: Noch ehe sie überhaupt beginnt, wird gestritten. Rheinland-Pfalz will überhaupt keine strengeren Regeln fürs Private, Niedersachsen keine festen Zahlen. Das Kanzleramt beharrt auf dem Sieben-Tage-Wert als einzigem Kriterium für schärfere Regeln – Nordrhein-Westfalen möchte auch die Zahl der freien Krankenhausbetten einbeziehen. Bayern – exakt: Markus Söder – plädiert für eine bundesweit einheitliche „Corona-Ampel“, die bei Infektionsanstieg automatisch bestimmte Regelverschärfungen aktiviert. Und sein saarländischer Kollege Tobias Hans signalisiert tatsächlich dafür „hohe Sympathien“.
„Vorsicht statt Leichtsinn“
Am Nachmittag steht nach drei Stunden fest: Die Gäste-Begrenzung kommt – in zwei Stufen. Für öffentliche Räume ist sie Pflicht – für private „dringend empfohlen“. Beträgt die Infektionsrate 35 pro 100 000 in sieben Tagen, gilt öffentlich maximal 50 Feiernde, steigt der Wert auf 50, sinkt die Gästezahl auf 25. Und: Schmu oder Schlamperei bei den Kontaktdaten kosten fortan Bußgeld – 50 Euro mindestens.
„Wirtschaft am Laufen halten, Kinder in Schulen und Kitas“: Das seien die Prioritäten aller, sagt Merkel. „Dass die Grenzen offen bleiben“, fügt Söder hinzu. Man habe „eine klare Linie“: „Vorsicht statt Leichtsinn.“
Etliche Länder wollen sich nicht ins Private der Bürger drängen; deshalb wird in der „Hotspot-Strategie“nur der öffentliche Raum verpflichtend geregelt. Von einem Alkoholverbot ist keine Rede. Aber die 19 200 vom Montag erklärt Merkel: In den vergangenen drei Monaten habe sich die Infektionszahl pro Tag von 300 auf 2 400 dreimal verdoppelt. Gehe das ungebremst weiter – seien zu Weihnachten die 19 200 erreicht. Reines Rechenexempel. Wie in Hamm. Dort waren wohl zwei Hochzeitsgäste infiziert. Bislang konnten die Behörden 309 Feiernde ermitteln. In NRW wird jetzt überlegt, wie teuer KontaktdatenTrickserei werden soll.