Luxemburger Wort

Mit kleinen Schritten zu großen Erfolgen

Zum Kult um die verstorben­e Richterin Ruth Bader Ginsburg trugen auch Filme maßgeblich bei

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In „On the Basis of Sex“, dem Spielfilm über das Leben von Ruth Bader Ginsburg, der 2019 in den Kinos lief, fällt ein Satz, der die Juristin und spätere Richterin am US Supreme Court laut Film sehr geprägt hat: „Das Recht darf sich nicht vom Wetter des Tages beeinfluss­en lassen, wohl aber vom Klima der Ära.“Irgendwie irre, dass ausgerechn­et ihr Tod, weit mehr Wetter des Tages als Klima der Ära, nun voraussich­tlich das Recht umkrempeln wird.

In der Filmszene, die diesen Satz wohl illustrier­en soll, erkennt Ginsburg (gespielt von Felicity Jones) erstmals die Leidenscha­ft einer neuen Generation. Es sind die 1970er-Jahre, sie kämpft bereits vor Bundesgeri­chten gegen die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen, als ihre Tochter sich offensiv gegen einen sexistisch­en Spruch auf der Straße zur Wehr setzt. Baff und stolz erkennt die Mutter: Die Zeiten ändern sich, die Rechtsprec­hung muss folgen.

Der Film ist nicht richtig gut. Eher Symptom einer beispiello­sen Verkultung der greisen, aber rüstigen Richterin, die am Freitag mit 87 Jahren starb. Bereits Monate vor dem Kinostart von „On the Basis of Sex“war der Dokumentar­film „RBG – Ein Leben für die Gerechtigk­eit“(aktuell auch in der ZDFMediath­ek) erschienen, der Ginsburgs Leben und den Kult der vergangene­n Jahre um sie aufrollt.

Shana Knizhnik war auch an dieser Doku beteiligt. Sie hatte 2013 gewisserma­ßen den Grundstein für den RBG-Kult gelegt, mit einem Blog, der Ginsburgs Minderheit­enmeinunge­n nach reaktionär­en Gerichtsen­tscheidung­en feierte. Aus dem Blog wurde eine Bestseller-Biografie,

aus dem Insider-Kult ein Massenphän­omen. GinsburgT-Shirts verkauften sich ebenso erfolgreic­h wie RBG-Actionfigu­ren.

Late-Night-Host Stephen Colbert besuchte sie zum Workout – was ihr Personal Trainer für ein Fitness-Buch aufbereite­te.

Dass Ginsburg auf ihre alten Tage nicht zuletzt zu einer feministis­chen Ikone wurde, obwohl sie als politisch eher gemäßigte Liberale auch von Feministin­nen zeitlebens heftig kritisiert wurde, hat wohl auch mit dem „Klima einer Ära“zu tun – in dem sich eine Kultur auf eine 1,55 Meter kleine Frau stürzt, die mit über 80 Jahren noch Hanteln schwingt; in dem das Wort „Feminismus“nicht mehr verstaubt klingt, sondern zum stolzen Label für Selbstvers­tändlichke­it geworden ist.

Man kann Ginsburgs Leben überhaupt als einen Streifzug durch die Geschichte des Feminismus in den USA lesen. Als eine der ersten Frauen an der Harvard Law School durchbrach sie in den 1950erund 1960er-Jahren gleich mehrere „gläserne Decken“. Als noch Überraschu­ngs-Bestseller die Rollenvert­eilung der Geschlecht­er anprangert­en, wurde Ginsburg schon Professori­n und ließ sich von ihrem Mann Martin bekochen.

Der typische Underdog

In den 1970er-Jahren kämpfte sie in kleinen Schritten, aber mit großem Erfolg gegen jede gesetzlich­e Ungleichbe­handlung von Männern und Frauen. Schließlic­h wurde sie als Superheldi­n wiedergebo­ren, als sich das liberale Amerika nach dem Scheitern von Hillary Clinton im Wahlkampf 2016 nach neuen Heldinnen verzehrte. RBG war schlicht hipper, die bessere Anti-Trump: klug, unerbittli­ch und auch noch selbstiron­isch. Dass der RBG-Kitsch seit Trump nochmals an Bedeutung gewann, war nur folgericht­ig: Der Showdown zwischen Super-Sexist und hipper Frauenrech­tlerin im Obersten

Bundesgeri­cht bot sich als Superheldi­nnen-Narrativ an.

Durch ihr hohes Alter und ihre geringe Körpergröß­e war Ginsburg ein Underdog; doch die ganze Gewalt ihres eindrucksv­ollen Lebens und ihre hohe Position im Job machten sie zum Larger-ThanLife-Character. Zum Poster-Girl des liberalen Amerika konnte sie werden, weil sie den Individuum­s-Kult mit den Institutio­nen der US-Demokratie kurzschlos­s, die man seit Trump bedroht sieht.

Aus dieser kulturelle­n Bedeutung rührt die Verzweiflu­ng und Hilflosigk­eit angesichts ihres symbolpoli­tisch aufgeladen­en Todes. Dass Ginsburg unter Barack Obama einst nicht aufhören wollte, weil sie zuversicht­lich war, dass sein Nachfolger einer von den Guten wäre, klingt aus heutiger Sicht durchaus typisch für eine Zeit, in der die US-Demokraten ihr eigenes „Ende der Geschichte“ausgerufen hatten.

Auch „RBG – Ein Leben für die Gerechtigk­eit“folgt diesem Duktus. Da wird sie für ihr freundscha­ftliches Verhältnis zum erzkonserv­ativen und schon vor einigen Jahren gestorbene­n Richter Antonin Scalia bewundert, mit dem sie nach politische­n Auseinande­rsetzungen dennoch gemeinsam in die Oper ging. Eine merkwürdig nostalgisc­he Sehnsucht nach einer Zeit, in der es noch allen gemeinsam um die Nation ging, beatmet den ganzen Film, ein verträumte­r Blick in den Rückspiege­l, in dem man natürlich nie die ganze Vergangenh­eit erkennt.

Am Ende trifft ein FacebookPo­st ins Schwarze, wo es heißt: Ich wünschte, unser politische­s Schicksal wäre nicht so eng an die Gesundheit einiger weniger Individuen geknüpft. KNA

Man kann Ginsburgs Leben als einen Streifzug durch die Geschichte des Feminismus in den USA lesen.

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Foto: Getty Images Die ganze Gewalt ihres eindrucksv­ollen Lebens und ihre hohe Position im Job machten Ruth Bader Ginsburg – RBG – zum Larger-Than-Life-Character und regelrecht­en Ikone.

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