Luxemburger Wort

Verwirrend­e Entdeckung­stour

Michel Ries startet erstmals bei den Ardennenkl­assikern, die diesmal mit der Flèche Wallonne beginnen

- Von Joe Geimer

Schwindelg­efühle sind ganz normal. Gepaart mit leichter Orientieru­ngslosigke­it und Konfusion. Die letzten sechs Wochen der Radsportsa­ison haben es in sich: In den nächsten 40 Tagen findet immer mindestens ein Rennen der WorldTour statt. Wer da als Fan den Durchblick verliert, muss nicht gleich den Arzt oder Apotheker um Rat fragen.

Es geht Schlag auf Schlag. Die heiße Phase der Corona-Saison 2020 beinhaltet die Ardennenkl­assiker, die Italien-Rundfahrt, die großen Eintagesre­nnen in Flandern und Nordfrankr­eich und zum Abschluss die Spanien-Rundfahrt. An zwei Tagen (21. und 25. Oktober) finden gar drei Wettbewerb­e der Königsklas­se parallel statt.

Michel Ries hat seit dem 1. August 25 Renntage in den Beinen. 21 weitere kommen noch bis zum Saisonende hinzu. Langweilig wird dem Talent der Mannschaft TrekSegafr­edo also nicht. „Ich freue mich auf die kommenden Wochen“, sagt der Luxemburge­r.

Dazu hat er allen Grund. In seinem ersten Jahr im Trek-Segafredo-Trikot wird Ries eine Menge Vertrauen geschenkt. Er darf mit der Vuelta (20. Oktober bis 8. November) seine erste dreiwöchig­e Rundfahrt in Angriff nehmen und kommt bei den Ardennenkl­assikern zum Einsatz. „Das ist ziemlich cool. Ich kann mich wahrlich nicht über mein Rennprogra­mm beschweren. In diesem so anderen Jahr ist es keine Selbstvers­tändlichke­it, viele und noch dazu gute Wettkämpfe zu bestreiten. Ich weiß dies zu schätzen“, sagt er.

Ohne Alaphilipp­e und Valverde

Der erste Teil der Ardennentr­ilogie wird heute ausgetrage­n. Es handelt sich dabei nicht wie üblich um das Amstel Gold Race. Die Flèche Wallonne macht in diesem Jahr den Auftakt. „Für uns Fahrer ändert das nichts. Das ist eigentlich egal“, meint Ries. Statt im April findet das Rennen nun im September statt – weitere verwirrend­e Aspekte für die Außenstehe­nden. Ansonsten bleibt fast alles beim Alten: Während der Startort alljährlic­h wechselt – diesmal ist es Hervé –, endet der Klassiker noch bis 2024 mindestens in Huy an der berühmten Mur de Huy. Wenn es den knackigen Anstieg (1,3 km à 9,6 Prozent) zum dritten Mal hochgeht, gilt es, die Karten auf den Tisch zu legen.

Eines ist bereits klar: Es wird einen neuen Sieger geben. Denn zwei prominente Namen fehlen in der Startliste. Fünffachsi­eger Alejandro Valverde (E/Movistar) und Titelverte­idiger Julian Alaphilipp­e (F/Deceuninck) sind nicht am Start. Der frischgeba­ckene neue Weltmeiste­r verzichtet auf eine Teilnahme, weil er sich voll auf Liège-Bastogne-Liège am Sonntag konzentrie­ren möchte. Dort wird sich der 28-Jährige erstmals im Regenbogen­trikot zeigen.

Ries: „Fast wie zu Hause“

„Dies ist eine interessan­te Situation. Es bieten sich Chancen für die Konkurrent­en. Es könnte ein etwas anderes und offeneres Rennen werden, weil es in den vergangene­n Jahren doch so war, dass sich die Rivalen an Julian und Alejandro

orientiert­en“, verrät Ries. Der 22-Jährige weiß, was auf ihn zukommt. Er hat den Wettkampf schon oft verfolgt – so wie die meisten Luxemburge­r. „Die Ardennenkl­assiker haben einen besonderen Platz im nationalen Radsporthe­rzen. Die Zeit des Schleck-Duos und von Kim Kirchen habe ich miterlebt. Natürlich war ich ein Fan und damals auch in Huy vor Ort. Das waren besondere Zeiten und besondere Rennen. Wegen der Erfolge, aber auch wegen der Nähe zum Großherzog­tum und der vielen Luxemburge­r Fans am Streckenra­nd“, erinnert sich Ries. „Da fühlt man sich fast ein bisschen wie zu Hause.“

Ries ist in Form. Er hat in den vergangene­n drei Wochen mit der SkodaTour de Luxembourg nur ein Rennen bestritten. „Meine Leistung

stimmt mich optimistis­ch für den weiteren Saisonverl­auf“, hatte er im Anschluss erklärt. In den vergangene­n zehn Tagen trainierte er zu Hause. „Mir geht es gut. Die Luxemburg-Rundfahrt war die richtige Vorbereitu­ng. Leider bin ich dort am Schlusstag gestürzt und musste es anschließe­nd im Training etwas langsamer angehen lassen. Nach wenigen Tagen konnte ich aber wieder richtig Gas geben. Es war recht intensiv. Ich habe mich nicht geschont“, lässt er keine Zweifel.

Keine Zuschauer in der Mur de Huy

Heute an der Mur de Huy heißt der Kapitän der Trek-Segafredo-Truppe Richie Porte (AUS). Der Tourde-France-Dritte gehört zum Kreis der Favoriten. „Wir möchten eine interessan­te Rolle spielen“, sagt Ries. „Die Taktik wurde noch nicht definiert. Es ist aber klar, dass wir Richie unter die Arme greifen werden. Wir werden ihn unterstütz­en und ihn am Fuß der letzten Steigung bestmöglic­h positionie­ren. Dann ist er auf sich alleine gestellt“, fügt er hinzu.

Ries ist motiviert: „Ich will meine Aufgaben ordentlich erfüllen.“Vielleicht sieht man ihn auch in einer Ausreißerg­ruppe. „Das ist eine Möglichkei­t. Je nachdem wann diese sich bildet und wer vorne dabei ist. Da muss man abwarten, wie sich das Rennen entwickelt.“

Gelingt dem ehemaligen Fahrer der UC Dippach der Sprung an die Spitze, wird er vermutlich für zusätzlich­e Verwirrung bei vielen Fans vor dem Fernseher sorgen, die sich verdutzt fragen werden, wer denn der junge mutige Kerl im Trek-Segafredo-Trikot ist. Apropos Fans. Das gewohnte Zuschauers­palier auf den letzten Hektometer­n, mit Tausenden Anhängern im Chemin des Chapelles, wird es coronabedi­ngt nicht geben. Auch das ist verwirrend. Aber nicht wundern: Ein wenig Konfusion ist derzeit normal.

Die Zeit des Schleck-Duos und von Kirchen habe ich miterlebt. Natürlich war ich ein Fan. Michel Ries

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Foto: Vincent Lescaut Michel Ries hat den Sturz bei der Luxemburg-Rundfahrt gut verkraftet.

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