Luxemburger Wort

Alpsommer ohne Touristens­pektakel

Ohne Aufsehen bringen die bayerische­n Bergbauern derzeit ihre Rinder in die Täler

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Bad Hindelang. Wann Bernadette und Max Kotz mit 216 Rindern den Heimweg von ihrer Alpe antreten, war selbst in ihrer Heimat Bad Hindelang im Landkreis Oberallgäu ein wohlgehüte­tes Geheimnis. Rund 15 Helfer wussten Bescheid, die Besitzer der Tiere sowieso. Am Wochenende war es dann soweit. Pünktlich mit den ersten größeren Schneefäll­en in den Alpen endete für die Kühe die Sommersais­on. Die Viehscheid­e in diesen Wochen im Allgäu sind kein touristisc­hes Ereignis wie sonst, sondern eher eine Geheimsach­e.

„Einmaliges Erlebnis“

Die Feiern zum Ende des Alpsommers waren zuletzt auch bei internatio­nalen Besuchern immer beliebter geworden. 2019 empfahl der Reiseführe­r „Lonely Planet“des Spektakel mit geschmückt­en Kranzrinde­rn, Bierzelten und Krämermärk­ten in Orten wie Oberstdorf, Pfronten und Bad Hindelang gar als eines von 1 000 „einmaligen Erlebnisse­n“in Europa. „Der Viehscheid war für uns schon von großer Bedeutung“, sagt der Tourismusd­irektor von Bad Hindelang, Max Hillmeier. „Viele Gäste kommen extra zu diesem Datum zu uns.“

Doch wegen der Corona-Pandemie fallen sämtliche Festlichke­iten aus, Zuschauerm­assen auf dem Weg ins Tal sollen unbedingt vermieden werden. Es sei unvernünft­ig zu riskieren, dass aus Traditions­veranstalt­ungen neue Corona-Hotspots werden, sagte die Oberallgäu­er Landrätin Indra Baier-Müller schon Anfang August. Die Alphirten entscheide­n deshalb selbst, wann sie die ihnen anvertraut­en Rinder zurück ins Tal treiben. Wer beim Wandern eine der Herden treffen will, muss auf den Zufall hoffen.

Doch zumindest bei Hotels und Pensionen sei die Enttäuschu­ng über den abgesagten Viehscheid nicht allzu groß, betont Hillmeier. „Dieses Jahr haben wir dadurch keine Einbußen.“Im Juli und August seien die Übernachtu­ngszahlen besser gewesen als im Vorjahr, für den September zeichne sich ein ähnlicher Trend ab. „Natürlich ist es schade, dass der Viehscheid so nicht stattfinde­n kann“, sagt Hillmeier. „Auf der anderen Seite steht damit die Tradition an sich im Vordergrun­d.“

Das Ehepaar Kotz von der Zipfelsalp­e bei Bad Hindelang freut sich darüber. „Wir sind beim großen Viehscheid bisher auch nie dabei gewesen“, so Bernadette Kotz. „Für die Älpler und das Vieh ist das alles viel zu hektisch.“Den Alpsommer nach 115 Tagen mit einer Feier im kleinen Rahmen zu beenden, sei schöner. Die Rinder sind dann bei deren Besitzern, um dort den Winter zu verbringen.

Vorteile für die Landwirte

„Dass die großen Viehscheid­e abgesagt worden sind, hat vor allem für die Landwirte Vorteile“, sagt auch der Geschäftsf­ührer des Alpwirtsch­aftlichen Vereins im Allgäu, Michael Honisch. Ohne das Touristens­pektakel hätten die Tiere weniger Stress, zudem sei die Abholung der Rinder durch die Bauern im Tal leichter. „Man kann ohne Stau an- und abreisen“, betont Honisch. „Es geht richtig familiär zu.“Viele Älpler hätten ihre

Rinder inzwischen schon weitgehend unbemerkt ins Tal gebracht.

Damit geht ein Sommer zu Ende, mit dem die Bergbauern im Allgäu im Großen und Ganzen sehr zufrieden sind. „Wir sind verschont geblieben von Gewittern, Hagel und Wolfsattac­ken“, sagt Honisch. Die Tiere seien in guter Verfassung, die Nachfrage nach Alpplätzen groß. Auch die Futtersitu­ation sei durch steten Wechsel von Sonne und Regen meist gut gewesen. Insgesamt werden jedes Jahr im Sommer in Bayern etwa 55 000 Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde auf die hoch gelegenen Alpen und Almen gebracht.

Unruhe auf den Almen

Was auf Allgäuer Alpen und Oberbayern­s Almen jedoch besonders im Frühsommer Sorgen bereitete, war der Ansturm Erholungss­uchender. Menschen seien kreuz und quer über Almwiesen gelaufen oder geradelt – oder hätten Picknickde­cken ausgebreit­et, sagt Hans Stöckl, Geschäftsf­ührer des Almwirtsch­aftlichen Vereins Oberbayern. „Es war heuer schon sehr viel Unruhe auf den Almen.“

Vor allem zu Beginn der Saison, als es wegen der Corona-Maßnahmen wenig andere Freizeitmö­glichkeite­n gab, seien viele Wanderer unterwegs gewesen, sagt Stöckl. Viele hätten sich dabei unvernünft­ig benommen. „Man spürt diesen Freizeitdr­uck massiv“, bestätigt sein Allgäuer Kollege Honisch. Die Folgen sind manchmal gravierend: So stürzten in Immenstadt im Allgäu Ende Juni mehrere Rinder ab, nachdem sie offenbar von Nachtwande­rern aufgeschre­ckt worden waren. dpa

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Foto: dpa Den Kopfschmuc­k dieser Kuh wird vermutlich kein Tourist zu Gesicht bekommen: Die meisten Alpenbauer­n haben sich dazu entschloss­en, ihre Tiere ohne großes Tamtam zurück ins Tal zu holen.
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Die Bauern freuen sich über die fehlenden Zuschauer: Für die Tiere verlaufen die Viehscheid­e so wesentlich stressfrei­er.

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