„Ich musste mich immer beweisen“
Von einer erinnerungswürdigen „Miss World“zur grenadischen Botschafterin in Kanada – die 72-jährige Psychotherapeutin Jennifer Hosten blickt auf ein bewegtes Leben zurück
Die „Miss World“-Wahl 1970 in London war kein gewöhnlicher Schönheitswettbewerb, wie aktuell der Kinofilm „Misbehaviour“zeigt. Nicht nur gewann damals mit Jennifer Hosten zum ersten Mal überhaupt eine Person of Color. Sondern die Veranstaltung wurde auch zum Schauplatz einer Protestaktion feministischer Aktivistinnen. „Luxemburger Wort“-Korrespondent Patrick Heidmann traf Hosten, die im Film von Gugu Mbatha-Raw („The Morning Show“) verkörpert wird, vor einigen Monaten, kurz vor dem Lockdown, in London zum Interview, um die Ereignisse von vor 50 Jahren noch einmal zu rekapitulieren.
Jennifer Hosten, Sie wurden – wie nun auch der Film „Misbehaviour“nacherzählt – 1970 überraschend als erste Schwarze Frau zur Miss World gewählt. Mit welchen Erwartungen sind Sie damals zum Wettbewerb nach London gereist?
Nicht mit sonderlich vielen. Ich war keine Miss, die schon ihr halbes Leben lang an Schönheitswettbewerben teilgenommen hatte, sondern schlicht ausgewählt worden, meine Heimat Grenada zu vertreten. Erfahrungen hatte ich also keine, aber natürlich war es mir eine Ehre. Und ich wollte unbedingt mein Bestes geben und das schönst mögliche Kleid tragen. Das entspricht bis heute meiner Persönlichkeit: Wenn ich eine Sache mache, dann so gut wie irgendwie möglich. Und die Herausforderungen, vor denen ich speziell als Schwarze Frau stand, weckten meinen Ehrgeiz erst recht.
Welche zum Beispiel?
Es war gleich ganz offensichtlich, dass die Medien in London kein Interesse daran hatten, nichtweiße Kandidatinnen wie mich überhaupt zu fotografieren. Die Veranstalter mussten sich richtig etwas einfallen lassen, damit wir überhaupt beachtet wurden. Aber ich sah das nicht bloß als Schwierigkeit, sondern auch als Chance. „Euch zeige ich’s“, dachte ich mir. Was mir dann ja auch gelungen ist. Und nebenbei habe ich, was ich durchaus auch als meine Aufgabe verstanden habe, die Werbetrommel für Grenada gerührt.
Den Staat hatte damals ja wirklich kaum jemand auf dem Schirm. Ständig dachte jemand, ich komme aus der spanischen Stadt Granada.
Ausgerechnet an Ihrem großen Abend stürmten dann feministische Aktivistinnen auf die Bühne und sprengten fast die ganze Show. Wie haben Sie diesen Moment damals erlebt?
Wir Kandidatinnen waren da gerade backstage und konnten nur hören, was passiert. Oder ein bisschen durch den Vorhang spähen. Die Proteste draußen vor der Tür waren uns natürlich nicht entgangen, deswegen war uns klar, dass das die gleichen Leute waren. Wütend war ich nicht, eher neugierig. Und ich habe natürlich gehofft, dass der Wettbewerb trotzdem weitergehen würde.
Konnten Sie mit der Frauenbewegung etwas anfangen?
Natürlich waren mir diese Themen nicht komplett fremd. Dass die „Miss World“-Wahl, und letztlich unsere Gesellschaft generell, damals eher frauenfeindlich waren, war nicht an mir vorübergegangen. Genauso wenig, wie die sexistischen Witze des Moderators Bob Hope. Dagegen anzukämpfen, war auf jeden Fall richtig. Und die Aktivistinnen bewegten auch etwas, sehr unmittelbar. Schon als ich als Siegerin mit Bob Hope in Vietnam und Korea auftrat, wurde immer dafür gesorgt, dass ich die Gelegenheit bekam, auch auf seine Sprüche zu antworten. Das war ein echter Fortschritt. Trotzdem bin ich der Meinung, dass an einem Wettbewerb wie „Miss World“nicht alles schlecht war. Kleine Länder bekamen durch die Show eine Möglichkeit, sich der Welt vorzustellen. Und gerade für Schwarze Frauen wie mich oder die Zweitplatzierte aus dem Süden Afrikas war das eine bemerkenswerte Gelegenheit, wahrgenommen zu werden.
Vergangenes Jahr waren sowohl „Miss World“als auch „Miss Universe“People of Color ...
... und „Miss America“und „Miss Teen America“! Das gab es noch nie. Und das hat bis heute Symbolkraft.
Wobei man schon sagen muss, dass solche Schönheitswettbewerbe heute keine echte Relevanz mehr haben, oder?
Man kann die Bedeutung, die solche Shows damals hatten, nicht mit heute vergleichen, und natürlich verstehe ich es, wenn Menschen sagen, dass das irgendwie altmodisch und etwa im Kontext von #MeToo fragwürdig ist. Glücklicherweise ist viel passiert in den letzten 50 Jahren und Frauen haben heute ganz andere Möglichkeiten als damals. Aber Schwarze Frauen immer noch sehr viel weniger als Weiße. Weswegen ich ja gerade meinte, dass
immer beweisen. Gestört hat mich das nicht, denn es weckte den gleichen Ehrgeiz und die gleiche Arbeitsmoral wie 1970 in London. Nach dem Motto: Jetzt erst recht! Doch so stolz ich stets auf den Titel war, so wenig wollte ich auf den Status der Schönheitskönigin reduziert werden. Wohl auch deshalb habe ich mir immer wieder neue Herausforderung gesucht, vom Politikstudium über die diplomatische Arbeit bis hin zum Schreiben einer Autobiografie und der Weiterbildung zur Psychotherapeutin.
Miss Grenada Jennifer Hosten (Mitte) nach ihrer Krönung zur „Miss World“im Kreise der Top-5Kandidatinnen Irith Lavi (Miss Israel), Jillian Jessup (Miss Südafrika), Pearl Jansen (Miss Südliches Afrika) und Marjorie Christel Johansson (Miss Schweden).
Was den Sexismus angeht, sind wir längst nicht so weit gekommen wie man nach 50 Jahren meinen könnte.