Luxemburger Wort

Armes Afghanista­n

- Von Françoise Hanff

Ihr Porträt prangte 2010 auf der Titelseite der „Time“und führte vor allem in den USA zu einem Aufschrei der Empörung. Mit dem Foto der jungen Afghanin Bibi Aisha, der auf Befehl der Taliban Nase und Ohren abgeschnit­ten worden waren, wollte das Nachrichte­nmagazin vor einem Abzug der US-Armee aus dem Land am Hindukusch warnen.

Zehn Jahre später könnte jedoch genau das eintreten. Vergangene Woche kündigte der US-Präsident überrasche­nd an, die amerikanis­chen Streitkräf­te aus Afghanista­n zum Jahresende vollständi­g abzuziehen. Der Schritt war weder mit seiner eigenen Militärfüh­rung noch mit der NATO abgesproch­en, von der afghanisch­en Regierung ganz zu schweigen. Vielmehr ist er der drohenden Wahlnieder­lage Donald Trumps geschuldet. Aus purem Eigeninter­esse und ohne Rücksicht auf Verluste versucht der verzweifel­te Mann im Weißen Haus, mit allen Mitteln bei potenziell­en Wählern zu punkten. Und ist dabei gewillt, die US-Strategie zu torpediere­n und die Partner vor Ort ihrem Schicksal zu überlassen.

Ziel der heute knapp 5 000 US-Streitkräf­te, die gemeinsam mit etwa genauso vielen Soldaten aus NATO-Staaten in Afghanista­n stationier­t sind, ist es, die dortige Regierung zu unterstütz­en und die Taliban vom Sturm auf Kabul abzuhalten. Trumps Abzugsplän­e bedeuten konkret, dass Militärstü­tzpunkte geräumt, die Schulung der afghanisch­en Armee abgebroche­n und Terroriste­n nicht weiter bekämpft werden. Klare Sieger dieser Hau-RuckAktion sind die Taliban. Denn warum sollten die Fundamenta­listen bei den im September begonnenen Friedensge­spräche mit der Ghani-Regierung überhaupt noch Kompromiss­e eingehen, wenn doch das militärisc­he Druckmitte­l abhanden gekommen ist?

Den leidgeprüf­ten Afghanen steckt die Schreckens­herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001 heute noch in den Gliedern. Damals waren Musik und Fernsehen tabu, für Frauen galt Bildungsve­rbot und Vollschlei­erpflicht. Trotz versöhnlic­her Töne ist den Islamisten auch heute nicht zu trauen. Noch immer wollen sie ein „islamische­s System“etablieren, ohne dieses genau zu definieren. Sie dürften der mittlerwei­le an mehr Rechte und Freiheiten gewöhnten Bevölkerun­g lediglich marginale Zugeständn­isse machen.

Ihre Verachtung für Land und Leute zeigen die Ultrakonse­rvativen mit ihren Attacken auf die afghanisch­en Einsatzkrä­fte – trotz der laufenden Friedensge­spräche. Tote Zivilisten nehmen die Taliban billigend in Kauf. Auch die Regierung von Aschraf Ghani scheint mehr damit beschäftig­t zu sein, ihre Pfründe zu retten, als sich für das Wohl ihrer Bürger stark zu machen.

Und doch gibt es keinen anderen Weg als den eingeschla­genen des Dialogs, um Afghanista­n nach mehr als 40 Jahren Krieg zu befrieden. Anstelle von Hals-über-KopfEntsch­eidungen à la Trump braucht es jedoch eine langfristi­ge Strategie des Westens, um wenigstens das Erreichte teilweise zu erhalten. Teil der Strategie sollte unbedingt finanziell­er Druck auf die Mächtigen sein. Damit Schicksale wie jenes von Bibi Aisha für immer der Vergangenh­eit angehören.

Klare Sieger von Donald Trumps HauRuck-Aktion sind die Taliban.

Kontakt: francoise.hanff@wort.lu

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