Armes Afghanistan
Ihr Porträt prangte 2010 auf der Titelseite der „Time“und führte vor allem in den USA zu einem Aufschrei der Empörung. Mit dem Foto der jungen Afghanin Bibi Aisha, der auf Befehl der Taliban Nase und Ohren abgeschnitten worden waren, wollte das Nachrichtenmagazin vor einem Abzug der US-Armee aus dem Land am Hindukusch warnen.
Zehn Jahre später könnte jedoch genau das eintreten. Vergangene Woche kündigte der US-Präsident überraschend an, die amerikanischen Streitkräfte aus Afghanistan zum Jahresende vollständig abzuziehen. Der Schritt war weder mit seiner eigenen Militärführung noch mit der NATO abgesprochen, von der afghanischen Regierung ganz zu schweigen. Vielmehr ist er der drohenden Wahlniederlage Donald Trumps geschuldet. Aus purem Eigeninteresse und ohne Rücksicht auf Verluste versucht der verzweifelte Mann im Weißen Haus, mit allen Mitteln bei potenziellen Wählern zu punkten. Und ist dabei gewillt, die US-Strategie zu torpedieren und die Partner vor Ort ihrem Schicksal zu überlassen.
Ziel der heute knapp 5 000 US-Streitkräfte, die gemeinsam mit etwa genauso vielen Soldaten aus NATO-Staaten in Afghanistan stationiert sind, ist es, die dortige Regierung zu unterstützen und die Taliban vom Sturm auf Kabul abzuhalten. Trumps Abzugspläne bedeuten konkret, dass Militärstützpunkte geräumt, die Schulung der afghanischen Armee abgebrochen und Terroristen nicht weiter bekämpft werden. Klare Sieger dieser Hau-RuckAktion sind die Taliban. Denn warum sollten die Fundamentalisten bei den im September begonnenen Friedensgespräche mit der Ghani-Regierung überhaupt noch Kompromisse eingehen, wenn doch das militärische Druckmittel abhanden gekommen ist?
Den leidgeprüften Afghanen steckt die Schreckensherrschaft der Taliban von 1996 bis 2001 heute noch in den Gliedern. Damals waren Musik und Fernsehen tabu, für Frauen galt Bildungsverbot und Vollschleierpflicht. Trotz versöhnlicher Töne ist den Islamisten auch heute nicht zu trauen. Noch immer wollen sie ein „islamisches System“etablieren, ohne dieses genau zu definieren. Sie dürften der mittlerweile an mehr Rechte und Freiheiten gewöhnten Bevölkerung lediglich marginale Zugeständnisse machen.
Ihre Verachtung für Land und Leute zeigen die Ultrakonservativen mit ihren Attacken auf die afghanischen Einsatzkräfte – trotz der laufenden Friedensgespräche. Tote Zivilisten nehmen die Taliban billigend in Kauf. Auch die Regierung von Aschraf Ghani scheint mehr damit beschäftigt zu sein, ihre Pfründe zu retten, als sich für das Wohl ihrer Bürger stark zu machen.
Und doch gibt es keinen anderen Weg als den eingeschlagenen des Dialogs, um Afghanistan nach mehr als 40 Jahren Krieg zu befrieden. Anstelle von Hals-über-KopfEntscheidungen à la Trump braucht es jedoch eine langfristige Strategie des Westens, um wenigstens das Erreichte teilweise zu erhalten. Teil der Strategie sollte unbedingt finanzieller Druck auf die Mächtigen sein. Damit Schicksale wie jenes von Bibi Aisha für immer der Vergangenheit angehören.
Klare Sieger von Donald Trumps HauRuck-Aktion sind die Taliban.
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