Rätselraten um „weichen Lockdown“
Nach der Wien-Wahl stehen die Zeichen in Österreich auf Verschärfung der Corona-Regeln
Die Wien-Wahl, das ist so etwas wie die Mutter aller Lokalwahlschlachten in Österreich. Am Sonntag ging sie über die Bühne: Da ritterte die SPÖ auch diesmal erfolgreich um ihre historische, nur durch den Nationalsozialismus unterbrochene Mehrheit in der Hauptstadt; da warf die Kanzlerpartei ÖVP diesmal erfolgreich ihren populären Finanzminister Gernot Blümel ins Rennen, um in Wien der Einstelligkeit zu entgehen, die Grünen bauten ihr Ergebnis aus; und Ex-FPÖ-Chef Heinz Christian Strache focht einen Kampf auf Gedeih und Verderb vor allem gegen die FPÖ – und die FPÖ die provozierte vor allem einmal mit einer Plakat-Kampagne am Rande der Legalität.
Corona aber, und das war auch am Wahltag klar, das ist das bestimmende Thema dieser Tage – auch, wenn die täglichen Nachrichten über Infektionszahlen und epidemiologische Kurven eigentlich niemand mehr hören kann. Oder eben genau deshalb. Denn seit Tagen hält sich hartnäckig das Gerücht, ein zweiter Lockdown stünde unmittelbar bevor. Ein „weicher Lockdown“, wie es heißt. Wobei es von offizieller Seite dazu nur Dementis gab.
Dementi des Gesundheitsministers Auch am Sonntag: Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) dementierte in einem TVInterview. Ein Lockdown sei „überhaupt nicht“vorstellbar und nur eine Option, wenn die medizinische Versorgung vor dem Kollaps stünde. Auf die Frage, welche Pläne er denn in der Schublade habe, gab sich der Minister allerdings zugeknöpft. Und so hielt sich das Gerücht auch weiter. Vor allem aber auch aus einem Grund: Weil es aus Bildungsinstitutionen, Gesundheitsbehörden und Sicherheitsdiensten in fast identem Wortlaut durchdrang. Und auch ein Datum wurde ventiliert: um den 2. oder 16. November.
Nun liegt die Auslastung der Intensivbetten in Österreich derzeit bei rund fünf Prozent. Aktuell werden rund 100 Personen landesweit auf Intensivstationen wegen einer
Covid-Erkrankung behandelt. Von einem nahen Kollaps des Systems kann also – und das betonte auch Anschober in seinem SonntagsTV-Interview – noch lange keine Rede sein. Die Zahlen aber, die sind bedenklich. Gerade in den vergangenen fünf Tagen gab es Rekordwerte an bestätigten CoronaFällen – die höchsten seit Beginn der Pandemie überhaupt. Und auch, dass man sich vonseiten der Politik, was das Thema angeht, so zugeknöpft gibt, macht Sinn. Denn – und hier sind wir wieder bei der Wahl in Wien – mit LockdownAnkündigungen, Einschränkungen oder Quarantänemaßnahmen macht man in Österreich derzeit keine Meter. Ganz im Gegenteil.
Viel eher dreht sich die öffentliche Debatte darum, wer Schuld ist: Schuld an einem Wildwuchs an Maßnahmen, an in sich nicht schlüssigen Quarantäneregelungen etwa an Schulen, am wirtschaftlichen Einbruch und – möglicherweise schon sehr bald – am Ausbleiben der für Österreich so wichtigen Touristen. Wien, Regionen in Tirol und Vorarlberg wurden von Deutschland, den Niederlanden und auch Belgien als Risikogebiete gelistet. Wien spürt das Ausbleiben der Gäste bereits massiv. Dort aber ist der Tourismus zumindest nicht so saisonabhängig wie anderswo. Und Wien ist auch nicht so abhängig vom Tourismus wie andere Regionen.
Angst um die Wintersaison
Etwa Tirol oder Vorarlberg: Da hängt die Existenz von so manchem Tal an drei bis vier Monaten, in denen ein Jahresumsatz erwirtschaftet werden muss. Da machen die bevorstehende Wintersaison und die Listung als Risikogebiet Angst. Und hier schließt eine Vermutung an: Ziel eines „weichen Lockdowns“könnte es sein, knapp vor der Wintersaison die Zahlen radikal zu drücken. Das würde gesamtwirtschaftlich betrachtet auch Sinn machen. Denn noch eine verpatzte Wintersaison könnte für weite Teile etwa Tirols den Bankrott bedeuten.
Die Frage ist, wer die Zeche dafür zahlt – wer also Opfer eines solchen „weichen Lockdowns“werden könnte. Eine ventilierte Möglichkeit ist die Gastronomie. Sie könnte etwa eine frühe Sperrstunde aufgebrummt bekommen. Auch von Ausgangsbeschränkungen für einen klar begrenzten Zeitraum ist die Rede. Alles in Summe also Dinge, die in breiten Teilen der Bevölkerung und vor allem auch in Wien umstritten sind – und für die keine Partei gerne vor einer Wahl wie der in Wien verantwortlich zeichnet.