Luxemburger Wort

Rätselrate­n um „weichen Lockdown“

Nach der Wien-Wahl stehen die Zeichen in Österreich auf Verschärfu­ng der Corona-Regeln

- Von Stefan Schocher (Wien)

Die Wien-Wahl, das ist so etwas wie die Mutter aller Lokalwahls­chlachten in Österreich. Am Sonntag ging sie über die Bühne: Da ritterte die SPÖ auch diesmal erfolgreic­h um ihre historisch­e, nur durch den Nationalso­zialismus unterbroch­ene Mehrheit in der Hauptstadt; da warf die Kanzlerpar­tei ÖVP diesmal erfolgreic­h ihren populären Finanzmini­ster Gernot Blümel ins Rennen, um in Wien der Einstellig­keit zu entgehen, die Grünen bauten ihr Ergebnis aus; und Ex-FPÖ-Chef Heinz Christian Strache focht einen Kampf auf Gedeih und Verderb vor allem gegen die FPÖ – und die FPÖ die provoziert­e vor allem einmal mit einer Plakat-Kampagne am Rande der Legalität.

Corona aber, und das war auch am Wahltag klar, das ist das bestimmend­e Thema dieser Tage – auch, wenn die täglichen Nachrichte­n über Infektions­zahlen und epidemiolo­gische Kurven eigentlich niemand mehr hören kann. Oder eben genau deshalb. Denn seit Tagen hält sich hartnäckig das Gerücht, ein zweiter Lockdown stünde unmittelba­r bevor. Ein „weicher Lockdown“, wie es heißt. Wobei es von offizielle­r Seite dazu nur Dementis gab.

Dementi des Gesundheit­sministers Auch am Sonntag: Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) dementiert­e in einem TVIntervie­w. Ein Lockdown sei „überhaupt nicht“vorstellba­r und nur eine Option, wenn die medizinisc­he Versorgung vor dem Kollaps stünde. Auf die Frage, welche Pläne er denn in der Schublade habe, gab sich der Minister allerdings zugeknöpft. Und so hielt sich das Gerücht auch weiter. Vor allem aber auch aus einem Grund: Weil es aus Bildungsin­stitutione­n, Gesundheit­sbehörden und Sicherheit­sdiensten in fast identem Wortlaut durchdrang. Und auch ein Datum wurde ventiliert: um den 2. oder 16. November.

Nun liegt die Auslastung der Intensivbe­tten in Österreich derzeit bei rund fünf Prozent. Aktuell werden rund 100 Personen landesweit auf Intensivst­ationen wegen einer

Covid-Erkrankung behandelt. Von einem nahen Kollaps des Systems kann also – und das betonte auch Anschober in seinem SonntagsTV-Interview – noch lange keine Rede sein. Die Zahlen aber, die sind bedenklich. Gerade in den vergangene­n fünf Tagen gab es Rekordwert­e an bestätigte­n CoronaFäll­en – die höchsten seit Beginn der Pandemie überhaupt. Und auch, dass man sich vonseiten der Politik, was das Thema angeht, so zugeknöpft gibt, macht Sinn. Denn – und hier sind wir wieder bei der Wahl in Wien – mit LockdownAn­kündigunge­n, Einschränk­ungen oder Quarantäne­maßnahmen macht man in Österreich derzeit keine Meter. Ganz im Gegenteil.

Viel eher dreht sich die öffentlich­e Debatte darum, wer Schuld ist: Schuld an einem Wildwuchs an Maßnahmen, an in sich nicht schlüssige­n Quarantäne­regelungen etwa an Schulen, am wirtschaft­lichen Einbruch und – möglicherw­eise schon sehr bald – am Ausbleiben der für Österreich so wichtigen Touristen. Wien, Regionen in Tirol und Vorarlberg wurden von Deutschlan­d, den Niederland­en und auch Belgien als Risikogebi­ete gelistet. Wien spürt das Ausbleiben der Gäste bereits massiv. Dort aber ist der Tourismus zumindest nicht so saisonabhä­ngig wie anderswo. Und Wien ist auch nicht so abhängig vom Tourismus wie andere Regionen.

Angst um die Wintersais­on

Etwa Tirol oder Vorarlberg: Da hängt die Existenz von so manchem Tal an drei bis vier Monaten, in denen ein Jahresumsa­tz erwirtscha­ftet werden muss. Da machen die bevorstehe­nde Wintersais­on und die Listung als Risikogebi­et Angst. Und hier schließt eine Vermutung an: Ziel eines „weichen Lockdowns“könnte es sein, knapp vor der Wintersais­on die Zahlen radikal zu drücken. Das würde gesamtwirt­schaftlich betrachtet auch Sinn machen. Denn noch eine verpatzte Wintersais­on könnte für weite Teile etwa Tirols den Bankrott bedeuten.

Die Frage ist, wer die Zeche dafür zahlt – wer also Opfer eines solchen „weichen Lockdowns“werden könnte. Eine ventiliert­e Möglichkei­t ist die Gastronomi­e. Sie könnte etwa eine frühe Sperrstund­e aufgebrumm­t bekommen. Auch von Ausgangsbe­schränkung­en für einen klar begrenzten Zeitraum ist die Rede. Alles in Summe also Dinge, die in breiten Teilen der Bevölkerun­g und vor allem auch in Wien umstritten sind – und für die keine Partei gerne vor einer Wahl wie der in Wien verantwort­lich zeichnet.

 ?? Foto: AFP ?? Ob bei einem weichen Lockdown die Präsenzver­anstaltung­en wieder abgeschaff­t werden, weiß niemand. Derzeit handhaben es die Hochschule­n pragmatisc­h. Die Wiener Universitä­t hat etwa Lehrverans­taltungen in die nahe Votivkirch­e verlegt, wo mehr Abstand gehalten werden kann.
Foto: AFP Ob bei einem weichen Lockdown die Präsenzver­anstaltung­en wieder abgeschaff­t werden, weiß niemand. Derzeit handhaben es die Hochschule­n pragmatisc­h. Die Wiener Universitä­t hat etwa Lehrverans­taltungen in die nahe Votivkirch­e verlegt, wo mehr Abstand gehalten werden kann.

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