Totengräber im Staatsfernsehen
Die Corona-Pandemie im Iran ist endgültig außer Kontrolle geraten – Die Regierung spricht erstmals Klartext
Trotz 500 000 Covid-19-Infizierten und fast 30 000 Corona-Toten – so die offiziellen Zahlen – nehmen viele Iraner die heimtückische Pandemie offenbar noch immer auf die leichte Schulter. Um der Bevölkerung den Ernst der Lage zu vermitteln, strahlte das iranische Staatsfernsehen am Wochenende Bilder von Totengräbern vor über 100 frisch ausgehobenen Gräbern aus. So viele Corona-Tote würden allein in Teheran jeden Tag beerdigt.
Das sind mehr als sechs Mal so viele Tote wie in den offiziellen Statistiken geführt werden. Glaubt man dem Teheraner Epidemiologen Aliresa Mahboubfar dann liegt die tatsächliche Zahl der Covid-19Erkrankten und Todesfälle sogar um das Zwanzigfache höher als offiziell angegeben. „Die Zahlen wurden jedoch nach unten korrigiert, weil die Regierung die Bürger beruhigen will“, sagte der Wissenschaftler Anfang September der Wirtschaftszeitung „Dschahan Sanat“, die daraufhin verboten wurde.
Sechs Wochen später spricht die Regierung plötzlich Klartext. „Im Iran erleben wir nicht eine zweite oder dritte Welle, sondern stecken in einer Dauerpandemie“, gestand der Leiter für medizinische Wissenschaften der Teheran-Universität, Abbassali Karimi, vor Studenten. Um die völlig außer Kontrolle geratene Seuche endlich in Griff zu bekommen, haben die Behörden am letzten Wochenende für Teheran eine Maskenpflicht für alle öffentlichen Orte angeordnet. Bislang mussten Iraner nur in Bussen, Metrozügen, Taxis und Geschäften und Behörden einen Mund-Nasen-Schutz tragen.
Klinikbehandlungen abgesagt
In den stark frequentierten Parkanlagen sowie vielen Restaurants konnte man sich bis dahin ohne
Masken aufhalten. Zur Eindämmung der Pandemie wurden zudem alle Schulen, Moscheen, Geschäfte und Cafés der iranischen Hauptstadt für eine zweite Woche geschlossen. Dramatisch ist die Situation in den Krankenhäusern von Teheran und anderer iranischer Großstädte.
Auf Weisung des Gesundheitsministeriums wurde deshalb die
Behandlung von Nicht-Notfallpatienten „bis auf weiteres eingestellt“. Wegen der gewaltigen Zahl von Corona-Patienten sei der Normalbetrieb in den Spitälern des Landes nicht länger möglich, sagte der stellvertretende Gesundheitsminister Iraj Harichi.
Wie in den USA hatten auch die iranischen Behörden die Gefährlichkeit des Corona-Virus zunächst geleugnet und mit teilweise lächerlichen Beschwichtigungsversuchen auf die Pandemie reagiert. Erst zwei Monate nach Ausbruch der Seuche entschloss sich die Geistlichkeit, die als Virenschleudern ausgemachten religiösen Schreine des Landes für die Gläubigen zu schließen.
Auf einen landesweiten Lockdown wurde jedoch verzichtet, weil man eine Verschärfung der schweren Wirtschaftskrise vermeiden wollte, die durch Inkompetenz sowie die Wiedereinführung schwerer Sanktionen durch die USA im Sommer 2018 ausgelöst worden war.
Erst in der letzten Woche hat die Trump-Administration auch gegen 18 iranische Banken, die bislang von Strafmaßnahmen ausgenommen waren, Sanktionen verhängt. Ausländische Geldinstitute, die mit diesen Banken Geschäfte machen, müssen in Zukunft ebenfalls mit US-Sanktionen rechnen. Irans Staatspräsident Hassan Rohani hatte die Strafmaßnahmen der USA am Freitag als „grausam und unmenschlich“verurteilt, weil dadurch der Kauf von Medikamenten und Nahrungsmitteln zur Bewältigung der Pandemie verhindert werde.
Humanitäre Güter sind eigentlich von den massiven US-Sanktionen ausgenommen. Iran werde auch zukünftig in der Lage sein, mit „humanitären Transaktionen seiner Bevölkerung zu helfen“, behauptete der amerikanische Finanzminister Steve Mnuchin – ohne zu erläutern, wie das gehen soll.