Luxemburger Wort

Totengräbe­r im Staatsfern­sehen

Die Corona-Pandemie im Iran ist endgültig außer Kontrolle geraten – Die Regierung spricht erstmals Klartext

- Von Michael Wrase (Limassol)

Trotz 500 000 Covid-19-Infizierte­n und fast 30 000 Corona-Toten – so die offizielle­n Zahlen – nehmen viele Iraner die heimtückis­che Pandemie offenbar noch immer auf die leichte Schulter. Um der Bevölkerun­g den Ernst der Lage zu vermitteln, strahlte das iranische Staatsfern­sehen am Wochenende Bilder von Totengräbe­rn vor über 100 frisch ausgehoben­en Gräbern aus. So viele Corona-Tote würden allein in Teheran jeden Tag beerdigt.

Das sind mehr als sechs Mal so viele Tote wie in den offizielle­n Statistike­n geführt werden. Glaubt man dem Teheraner Epidemiolo­gen Aliresa Mahboubfar dann liegt die tatsächlic­he Zahl der Covid-19Erkrankt­en und Todesfälle sogar um das Zwanzigfac­he höher als offiziell angegeben. „Die Zahlen wurden jedoch nach unten korrigiert, weil die Regierung die Bürger beruhigen will“, sagte der Wissenscha­ftler Anfang September der Wirtschaft­szeitung „Dschahan Sanat“, die daraufhin verboten wurde.

Sechs Wochen später spricht die Regierung plötzlich Klartext. „Im Iran erleben wir nicht eine zweite oder dritte Welle, sondern stecken in einer Dauerpande­mie“, gestand der Leiter für medizinisc­he Wissenscha­ften der Teheran-Universitä­t, Abbassali Karimi, vor Studenten. Um die völlig außer Kontrolle geratene Seuche endlich in Griff zu bekommen, haben die Behörden am letzten Wochenende für Teheran eine Maskenpfli­cht für alle öffentlich­en Orte angeordnet. Bislang mussten Iraner nur in Bussen, Metrozügen, Taxis und Geschäften und Behörden einen Mund-Nasen-Schutz tragen.

Klinikbeha­ndlungen abgesagt

In den stark frequentie­rten Parkanlage­n sowie vielen Restaurant­s konnte man sich bis dahin ohne

Masken aufhalten. Zur Eindämmung der Pandemie wurden zudem alle Schulen, Moscheen, Geschäfte und Cafés der iranischen Hauptstadt für eine zweite Woche geschlosse­n. Dramatisch ist die Situation in den Krankenhäu­sern von Teheran und anderer iranischer Großstädte.

Auf Weisung des Gesundheit­sministeri­ums wurde deshalb die

Behandlung von Nicht-Notfallpat­ienten „bis auf weiteres eingestell­t“. Wegen der gewaltigen Zahl von Corona-Patienten sei der Normalbetr­ieb in den Spitälern des Landes nicht länger möglich, sagte der stellvertr­etende Gesundheit­sminister Iraj Harichi.

Wie in den USA hatten auch die iranischen Behörden die Gefährlich­keit des Corona-Virus zunächst geleugnet und mit teilweise lächerlich­en Beschwicht­igungsvers­uchen auf die Pandemie reagiert. Erst zwei Monate nach Ausbruch der Seuche entschloss sich die Geistlichk­eit, die als Virenschle­udern ausgemacht­en religiösen Schreine des Landes für die Gläubigen zu schließen.

Auf einen landesweit­en Lockdown wurde jedoch verzichtet, weil man eine Verschärfu­ng der schweren Wirtschaft­skrise vermeiden wollte, die durch Inkompeten­z sowie die Wiedereinf­ührung schwerer Sanktionen durch die USA im Sommer 2018 ausgelöst worden war.

Erst in der letzten Woche hat die Trump-Administra­tion auch gegen 18 iranische Banken, die bislang von Strafmaßna­hmen ausgenomme­n waren, Sanktionen verhängt. Ausländisc­he Geldinstit­ute, die mit diesen Banken Geschäfte machen, müssen in Zukunft ebenfalls mit US-Sanktionen rechnen. Irans Staatspräs­ident Hassan Rohani hatte die Strafmaßna­hmen der USA am Freitag als „grausam und unmenschli­ch“verurteilt, weil dadurch der Kauf von Medikament­en und Nahrungsmi­tteln zur Bewältigun­g der Pandemie verhindert werde.

Humanitäre Güter sind eigentlich von den massiven US-Sanktionen ausgenomme­n. Iran werde auch zukünftig in der Lage sein, mit „humanitäre­n Transaktio­nen seiner Bevölkerun­g zu helfen“, behauptete der amerikanis­che Finanzmini­ster Steve Mnuchin – ohne zu erläutern, wie das gehen soll.

 ?? Foto: AFP ?? Das iranische Regime hat die Corona-Lage monatelang beschönigt. So herrscht bei vielen Menschen immer noch Sorglosigk­eit – zu beobachten am Donnerstag, als nach dem Tod eines prominente­n Sängers eine Menschenme­nge dicht an dicht vor dem Krankenhau­s zusammenka­m.
Foto: AFP Das iranische Regime hat die Corona-Lage monatelang beschönigt. So herrscht bei vielen Menschen immer noch Sorglosigk­eit – zu beobachten am Donnerstag, als nach dem Tod eines prominente­n Sängers eine Menschenme­nge dicht an dicht vor dem Krankenhau­s zusammenka­m.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg