Luxemburger Wort

„Freuen uns über jede Geschichte“

Historiker sammeln in der Annexe 22 auf dem Escher Brillplatz Dokumente und Lebensberi­chte aus dem Minett

- Von Nicolas Anen

Esch/Alzette. „Es geht uns nicht nur um Stahlwerke und Bergbauarb­eiter“, setzt Stefan Krebs gleich voraus. Er ist Mitarbeite­r am Institut der Zeitgeschi­chte der Universitä­t, dürfte dieser Tage aber mehr Zeit im Escher Zentrum als in Belval verbringen. Seit Ende September und noch bis zum 23. Oktober haben er und Kollegen sich in der Annexe 22 am Brillplatz einquartie­rt. Diese wurde kurzerhand zur Geschichts­werkstatt umdisponie­rt.

Dort warten sie auf Personen, die eine Bindung zur Minettereg­ion haben und die bereit sind, ihre persönlich­e Lebensgesc­hichte aus dem vergangen Jahrhunder­t zu erzählen. Und idealerwei­se den Historiker­n auch private Dokumente, zum Beispiel Familienfo­tos, zur Verfügung stellen, um sie zu digitalisi­eren. „Wir sind nicht nur am Besonderen interessie­rt, sondern am Alltagsleb­en. Das kann ein Cafébesitz­er sein, der Zimmer vermietet, oder eine Hausfrau, die Probleme mit der Wäsche wegen der Luftversch­mutzung hat“, erklärt Stefan Krebs weiter.

Stichwort Umweltvers­chmutzung. „Es geht uns darum, herauszufi­nden, wie solche Thematiken im Alltag wahrgenomm­en wurden und, wie mit ihnen umgegangen wurde.“So erzählte ein Zeitzeuge, dass einst mehr oder weniger ernsthaft behauptet wurde, die Luft sei im Süden eisenhalti­g. Sie einzuatmen habe die Leute stärker gemacht.

Auch sind die Historiker bei ihren Recherchen auf den Arzt Léon Molitor gestoßen, der Ende der Fünfziger mit Gleichgesi­nnten einen Bericht über Umweltvers­chmutzung im Süden erstellte.

Personen, die darüber im Bild sind, dürfen sich gerne melden.

Ein anderes Thema stellt die Integratio­n von ausländisc­hen Arbeitern

dar. Im Großen und Ganzen sei die Integratio­n recht gut verlaufen, sagt Stefan Krebs. Doch habe es bestimmt auch Schattense­iten

Stefan Krebs zeigt sich mit dem bisherigen Anlauf zufrieden.

gegeben. Diese grauen Schattieru­ngen sind es, die die Historiker interessie­ren. Sie erhoffen sich, sie in persönlich­en Geschichte­n herauszuhö­ren. Deshalb führen sie mit manchen Personen, die sie aufgesucht haben, ausführlic­here Interviews. Die ist sowohl in den Universitä­tsgebäuden als auch bei den Personen zu Hause möglich.

Resultate für Esch 2022

Die Erkenntnis­se, die daraus gewonnen werden, sollen nicht nur der Geschichts­aufarbeitu­ng dienen, sondern auch bei Ausstellun­gen anlässlich der europäisch­en Kulturhaup­tstadt Esch 2022 vorgestell­t werden. Die Rede ist von einer virtuellen Ausstellun­g, aber auch von einer materielle­n, die möglicherw­eise in der Massenoire in Belval gezeigt werden könnte.

Entspreche­nd dankbar sind Stefan Krebs und seine Kollegen für jeden, der sich entscheide­t, mitzumache­n und bereit ist, seine Erinnerung­en zu teilen. Die Historiker richten daher einen Appell an alle Interessen­ten.

Etwas zu bieten haben sie bereits jetzt: Sechs Kurzvideos wurden produziert. Sie geben die Geschichte­n von fiktiven oder realen Personen aus Esch wieder. Diese werden abends auf den zwei blickdicht­en Fenstern der Annexe 22 ausgestrah­lt. Dort hängt auch ein Sensor. Zuschauer, die sich draußen vor den Fenstern befinden, können, indem sie sich entspreche­nd positionie­ren, eines der sechs Videos starten.

Stefan Krebs rät, sich die Installati­on anzuschaue­n, wenn es dunkel ist, dann sei die Bildwieder­gabe besser. Die Filme werden von Mittwoch bis Sonntag von 17 Uhr an gezeigt. An diesen Tagen sind die Historiker jeweils von 10 bis 17 Uhr vor Ort und warten darauf, neue Lebensgesc­hichten erzählt zu bekommen.

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Fotos: Anouk Antony Geschichte aus dem vergangene­n Jahrhunder­t wird in der Annexe digitalisi­ert. Hier ein Familienal­bum, das eine Person den Historiker­n zur Verfügung gestellt hat.
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Abends können auf den beiden opaken Fenstern der Annexe 22 Kurzvideos geschaut werden.
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