„Grober Unfug“
Das innerdeutsche Beherbergungsverbot ist sehr umstritten
Bodo Ramelow braucht ein einziges Wort, um die Sache für sich zu erledigen. „Unsinn“nennt der linke Ministerpräsident von Thüringen das sogenannte Beherbergungsverbot. Und verfügt damit, dass sich in seinem Bundesland für Reisende und Hoteliers akut überhaupt gar nichts ändert. Woher auch immer in den gerade anlaufenden Herbstferien Urlauber anreisen: In Thüringen sind alle willkommen.
Anderswo in Deutschland sieht man das strenger. Zehn der 16 Länder lassen Touristen aus sogenannten Risikogebieten nur noch ein, wenn die einen negativen CoronaTest vorweisen, der nicht älter als 48 Stunden ist. Mecklenburg-Vorpommern verordnet selbst dann obenauf eine Mindestens-fünf-Tage-Quarantäne. Aus sieben Tagen Urlaub werden so sieben Tage Auto- und Stubenarrest. Ausgerechnet das Ostsee-Land, das fast komplett vom Tourismus lebt, gibt sich am rigidesten. Und stößt damit auf nahezu kollektives Unverständnis. Dicht gefolgt von Bayern, das zwar Reisenden aus Risikobezirken außerhalb des Freistaats die Übernachtung verbietet – nicht aber solchen aus bayerischen.
Große Reisekonfusion
Seit sich Bund und Länder am vergangenen Mittwoch auf das Verbot geeinigt – exakt: eben nicht geeinigt – haben, tobt der Streit über dessen Fug oder Unfug. Praktisch bedeutet es beispielsweise: Berliner dürfen keine Nacht im brandenburgischen Frankfurt/Oder verbringen – wohl aber im polnischen Słubice, dem östlich der Oder gelegenen Teil der Doppelstadt. Und Frankfurter
dürfen auch in Berlin übernachten.
Berliner können ihre Herbstferien in den österreichischen Alpen haben – nicht aber auf deren bayerischer Seite. Und selbstverständlich darf jeder Berliner nach Brandenburg, um dort zu arbeiten – und jeder Brandenburger an den heißesten Hotspots Berlins in jede Kneipe und jedes Restaurant bis zur Sperrstunde – und anschließend ins häusliche Bett sinken.
Kein Wunder, dass Berlin sich nicht nur verweigert – sondern zusätzlich zürnt. „Das ist“, befindet der grundsätzlich nicht zu Ausbrüchen neigende Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), „weder zielführend noch erklärbar.“Weshalb beim Verbot nur zweierlei herauskomme: „Verwirrung und Unverständnis.“Mit dieser Bewertung hat er Politiker quer durch die Parteien an seiner Seite.
Nicht allerdings das Kanzlerinamt. Dessen Chef Helge Braun (CDU), selbst Intensivmediziner, verteidigt das Verbot als „echte Notfallmaßnahme“. Müllers Hamburger Kollege Peter Tschentscher indes, ebenfalls Arzt, befindet: „Damit versetzen wir der Pandemie keinen entscheidenden Schlag.“
Welche Abwehrkräfte tatsächlich gestärkt werden, erlebt am Freitagabend eine Berliner Familie, die sich übers Wochenende im sechzig Kilometer entfernten brandenburgischen Neuruppin eingemietet hat: Ein anonymer Anrufer schickt ihr die Polizei ins Ferienhaus. Weil das in einem zur Stadt gehörenden Dorf steht, dazu ohne direkte Nachbarn, weil außerdem die beiden kleinen Kinder bereits schlafen, belassen es die Beamten bei einer Belehrung und informieren das zuständige Gesundheitsamt.
Protest wird immer lauter
Keine drei Tage später steht das Verbot dann auf der Kippe. Der Protest nämlich ist längst so umfassend, dass Regierungssprecher Steffen Seibert am Montagmittag von unnachgiebig auf einfühlsam umschaltet: Ja, die Bundesregierung habe „Verständnis dafür, dass Bürger Fragen haben und auch dringliche Fragen“. Selbstverständlich bedeutet das nichts – außer, dass im Kanzlerinamt austariert wird, ob man den harten Kurs stehen kann. Oder nicht.
Deutlich weiter sind die verschiedensten Interessenvertreter. „Nicht durchdacht“urteilt der Präsident des Deutschen Städtetags, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). „Die Hotspots entstehen ganz woanders.“So sieht das auch der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit. „Weder zielgerichtet noch verhältnismäßig“nennt er das Verbot – und warnt zudem davor, dass die Testregelung Kapazitäten blockiere, die anderswo dringend gebraucht würden.
Im Kanzlerinamt müssen ihnen die Ohren klingeln. Zusätzlich droht der Hotel- und Gaststättenverband mit Klagen. Das CoronaKabinett aber tagt ergebnisfrei – und der Regierungssprecher vertröstet auf Mittwoch, wenn Bund und Länder wieder konferieren. „Wir lösen ein Problem, das es gar nicht gibt“, sagt der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.
Das ist weder zielführend noch erklärbar. Berlins Bürgermeister Michael Müller