Hartes Gericht über den Menschen
Wie Marianne Villière und Gilles Pegel auf unterschiedliche Weise mit dem Zeitgeist abrechnen
Marlène Kreins hat für die Düdelinger Galerien, das Centre Nei Liicht und das Centre Dominique Lang, aktuell Künstler ausgewählt, die hart mit den Menschen mit hohem Industrienationsstandard ins Gericht gehen. Beide Kunstschaffende sehen pessimistisch und zum Teil spöttisch auf uns, die wir uns einerseits auf einer immerwährenden Party wähnen und andererseits uns von Algorithmen bei aller Annehmlichkeit gar die Menschlichkeit selbst rauben lassen. Wir scheinen also zu Perversionen unserer selbst verkommen zu sein – und der Appell nach einer Bewusstseinsveränderung steckt in beiden künstlerischen Werkschauen, die damit auch als politische Kunst gesehen werden können.
Ein ganz schöner Brocken ist die „Disorganized Info-Dump“von Gilles Pegel im Centre d'art Dominique Lang. Das meint nicht etwa die schweren Asphaltarbeiten, die er unter anderem zeigt, sondern auch die zum Teil schwer entschlüsselbaren Kontexte seiner Arbeiten. Das macht Besuchern, die zum ersten Mal auf Pegel treffen, den Einstieg schwieriger. Als „unorganisierter Info-Müll“kommen seine Werke auf den ersten Blick nicht daher. Aber sie sind so sehr verschränkt und verklausuliert, dass sie Zeit und auch der ernsthaften Beschäftigung bedürfen.
Die rein ästhetische Darstellung und Präsentation ist dabei letztlich vielleicht sogar ein Hindernis. Weil der Weg zu den Arbeiten, die zum Teil sehr diffizil im Atelier gereift sind, nicht erkennbar wird – und damit das Endergebnis für sich alleine genommen gar nicht die wunderbare Arbeit dahinter vermitteln kann.
Die visuellen Ausdrücke, die Marianne Villière und Gilles Pegel jeweils auf sehr unterschiedliche Art finden, sind nur die Oberfläche von viel tieferen gedanklichen Ansätzen. Während es Villière (großes Bild und r. ob.) zum Teil mit plakativ-appellativen Kontrasten versucht, schleicht sich Gilles Pegels Ansatz (r. u. und Foto un.) fast schon zu bescheiden und verschlüsselt ein.
Denn zum Beispiel allein die Arbeitstechniken und Materialerforschungen Pegels wären es wert näher beleuchtet zu werden – sei es eben der Asphalt oder die aufpolierten Computer-Festplatten. Damit würde dann auch die Aussagekraft stärker werden. So bleibt nur der ausliegende Text von François Doneux, der in seiner leichtesten Passage so klingt, aber zumindest in die Werke etwas mehr Licht bringt: „La mise en réseau du monde transformerait les humains en spectres, esclaves d’un dispositif qui les programme à son image et ne les laisse exister qu’au sein de son emprise. La simultanéité induite par la connexion en réseau annule le temps et étouffe l'âme humaine: tout est toujours à disposition, n’importe quand, n’importe où, jusqu'à l’écoeurement.“
Und weiter: „L’augmentation exponentielle des capacités de l’homme et l’abolition du temps par la technologie n 'améliorent pas l’homme mais l’enferment dans un monde extérieur à lui-même et pardéfinition inhumain. Gilles nous alerte, à sa manière, sur l’urgence de faire un pas de côté.“Und genau dieser Schritt zur Seite wird eben dann schwerer, wenn das reine Ergebnis von Pegel das nicht stärker unterstützt.
Die Gesellschaft in der Kritik
Und dann wären da noch andere Wesenszüge des aktuellen Menschen, die Marianne Villière in ihren Werken aufgreift. Diese beschreiben, laut dem Kunstkritiker Mickaël Roy in seinem Ausstellungstext, „un monde disons-le d’emblée, saturé d’expériences sociales et politiques, physiques et cognitives coercitives et désarmantes, à l’égard desquelles les oeuvres proposées ici agissent précisément comme des formes elles aussi réflexives, de contradiction à l’égard du sens commun, ouvrant des espaces de liberté pour l’interprétation, des espaces de vacance pour le sens, des territoires de perturbation, de résistance à l’information.“
Villières Arbeiten lesen sich dann wie Salz in der Wunde einer Gesellschaft von dauerunterhaltenen, kapitalistischen Menschen in ihrer selbstgeschaffenen Apathie vor dem wirklich Wichtigen. Wenn die Natur leidet und lediglich als eingefangene Oberflächlichkeit besteht, der Rausch das Wahre übertüncht, wir uns liebend gerne der Dauerüberwachung hingeben, weil es uns anders Mühe kosten würde, liegen in den Geschichten, die Villère in ihren Installationen erzählt, die Schlüssel, darüber nachzudenken. So sind diese beiden Ausstellungen es wert, noch kurz vor Schluss besucht zu werden.
Gilles nous alerte, à sa manière, sur l’urgence de faire un pas de côté. François Doneux in seinem Text zur Ausstellung von Gilles Pegel
Noch bis zum 18. Oktober sind die Arbeiten der beiden Künstler am Düdelinger Bahnhof (Centre d'art Dominique Lang) und in der Galerie Nei Liicht (rue Dominique Lang) zu sehen. Geöffnet sind beide Galerien jeweils mittwochs bis sonntags von 15 bis 19 Uhr. Mehr unter:
www.galeries-dudelange.lu