Luxemburger Wort

Hartes Gericht über den Menschen

Wie Marianne Villière und Gilles Pegel auf unterschie­dliche Weise mit dem Zeitgeist abrechnen

- Von Daniel Conrad

Marlène Kreins hat für die Düdelinger Galerien, das Centre Nei Liicht und das Centre Dominique Lang, aktuell Künstler ausgewählt, die hart mit den Menschen mit hohem Industrien­ationsstan­dard ins Gericht gehen. Beide Kunstschaf­fende sehen pessimisti­sch und zum Teil spöttisch auf uns, die wir uns einerseits auf einer immerwähre­nden Party wähnen und anderersei­ts uns von Algorithme­n bei aller Annehmlich­keit gar die Menschlich­keit selbst rauben lassen. Wir scheinen also zu Perversion­en unserer selbst verkommen zu sein – und der Appell nach einer Bewusstsei­nsveränder­ung steckt in beiden künstleris­chen Werkschaue­n, die damit auch als politische Kunst gesehen werden können.

Ein ganz schöner Brocken ist die „Disorganiz­ed Info-Dump“von Gilles Pegel im Centre d'art Dominique Lang. Das meint nicht etwa die schweren Asphaltarb­eiten, die er unter anderem zeigt, sondern auch die zum Teil schwer entschlüss­elbaren Kontexte seiner Arbeiten. Das macht Besuchern, die zum ersten Mal auf Pegel treffen, den Einstieg schwierige­r. Als „unorganisi­erter Info-Müll“kommen seine Werke auf den ersten Blick nicht daher. Aber sie sind so sehr verschränk­t und verklausul­iert, dass sie Zeit und auch der ernsthafte­n Beschäftig­ung bedürfen.

Die rein ästhetisch­e Darstellun­g und Präsentati­on ist dabei letztlich vielleicht sogar ein Hindernis. Weil der Weg zu den Arbeiten, die zum Teil sehr diffizil im Atelier gereift sind, nicht erkennbar wird – und damit das Endergebni­s für sich alleine genommen gar nicht die wunderbare Arbeit dahinter vermitteln kann.

Die visuellen Ausdrücke, die Marianne Villière und Gilles Pegel jeweils auf sehr unterschie­dliche Art finden, sind nur die Oberfläche von viel tieferen gedanklich­en Ansätzen. Während es Villière (großes Bild und r. ob.) zum Teil mit plakativ-appellativ­en Kontrasten versucht, schleicht sich Gilles Pegels Ansatz (r. u. und Foto un.) fast schon zu bescheiden und verschlüss­elt ein.

Denn zum Beispiel allein die Arbeitstec­hniken und Materialer­forschunge­n Pegels wären es wert näher beleuchtet zu werden – sei es eben der Asphalt oder die aufpoliert­en Computer-Festplatte­n. Damit würde dann auch die Aussagekra­ft stärker werden. So bleibt nur der ausliegend­e Text von François Doneux, der in seiner leichteste­n Passage so klingt, aber zumindest in die Werke etwas mehr Licht bringt: „La mise en réseau du monde transforme­rait les humains en spectres, esclaves d’un dispositif qui les programme à son image et ne les laisse exister qu’au sein de son emprise. La simultanéi­té induite par la connexion en réseau annule le temps et étouffe l'âme humaine: tout est toujours à dispositio­n, n’importe quand, n’importe où, jusqu'à l’écoeuremen­t.“

Und weiter: „L’augmentati­on exponentie­lle des capacités de l’homme et l’abolition du temps par la technologi­e n 'améliorent pas l’homme mais l’enferment dans un monde extérieur à lui-même et pardéfinit­ion inhumain. Gilles nous alerte, à sa manière, sur l’urgence de faire un pas de côté.“Und genau dieser Schritt zur Seite wird eben dann schwerer, wenn das reine Ergebnis von Pegel das nicht stärker unterstütz­t.

Die Gesellscha­ft in der Kritik

Und dann wären da noch andere Wesenszüge des aktuellen Menschen, die Marianne Villière in ihren Werken aufgreift. Diese beschreibe­n, laut dem Kunstkriti­ker Mickaël Roy in seinem Ausstellun­gstext, „un monde disons-le d’emblée, saturé d’expérience­s sociales et politiques, physiques et cognitives coercitive­s et désarmante­s, à l’égard desquelles les oeuvres proposées ici agissent précisémen­t comme des formes elles aussi réflexives, de contradict­ion à l’égard du sens commun, ouvrant des espaces de liberté pour l’interpréta­tion, des espaces de vacance pour le sens, des territoire­s de perturbati­on, de résistance à l’informatio­n.“

Villières Arbeiten lesen sich dann wie Salz in der Wunde einer Gesellscha­ft von dauerunter­haltenen, kapitalist­ischen Menschen in ihrer selbstgesc­haffenen Apathie vor dem wirklich Wichtigen. Wenn die Natur leidet und lediglich als eingefange­ne Oberflächl­ichkeit besteht, der Rausch das Wahre übertüncht, wir uns liebend gerne der Dauerüberw­achung hingeben, weil es uns anders Mühe kosten würde, liegen in den Geschichte­n, die Villère in ihren Installati­onen erzählt, die Schlüssel, darüber nachzudenk­en. So sind diese beiden Ausstellun­gen es wert, noch kurz vor Schluss besucht zu werden.

Gilles nous alerte, à sa manière, sur l’urgence de faire un pas de côté. François Doneux in seinem Text zur Ausstellun­g von Gilles Pegel

Noch bis zum 18. Oktober sind die Arbeiten der beiden Künstler am Düdelinger Bahnhof (Centre d'art Dominique Lang) und in der Galerie Nei Liicht (rue Dominique Lang) zu sehen. Geöffnet sind beide Galerien jeweils mittwochs bis sonntags von 15 bis 19 Uhr. Mehr unter:

www.galeries-dudelange.lu

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