Luxemburger Wort

Wie gelähmt

- Von Michèle Gantenbein

Die CSV steckt in einer ernsthafte­n Krise. Seit Jean-Claude Juncker weg ist, weiß die Partei nicht, wer sie ist, wofür sie steht und wohin sie will. Sie weiß nur, dass sie zurück in die Regierung will. Bloß: Wer soll sie dorthin führen und warum sollte man sie wählen? Diese Fragen sind völlig offen – und werden wohl auch nach dem heutigen digitalen Kongress unbeantwor­tet bleiben.

Fraktionsc­hefin Martine Hansen und Parteipräs­ident Frank Engel ringen um die Führung in der Partei und haben unterschie­dliche Auffassung­en, in welche Richtung die Partei steuern soll. Genau genommen weiß Hansen nicht, wohin die Partei steuern soll. Sie will die CSV in der Mitte verankern, um von dort alle Wählerschi­chten zu erreichen. Das hat die Partei bereits 2018 versucht, ohne Erfolg, wie wir wissen. Hansen – so hat es zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls den Anschein – macht weiter wie bisher, und mit ihr ein Großteil der Fraktion, darunter frühere Minister, Parteiund Fraktionsv­orsitzende, die darauf warten und hoffen, dass sich das Blatt 2023 wie durch Zauberhand wendet und der böse Traum nach zehn Jahren endlich ein Ende nimmt.

Frank Engel will neuen Wind in die Partei bringen, das soziale Profil der CSV schärfen, sie links der Mitte positionie­ren. Unklar ist, wie viele andere Parteimitg­lieder das auch wollen und ob es Engel gelingt, die Truppen hinter sich zu bringen. Was ihm dabei im Weg steht, ist sein Wesen. Engel gilt als Einzelgäng­er, rechthaber­isch und beratungsr­esistent. Er polarisier­t, provoziert und bringt mit seinem Ego andere Egos gegen sich auf. Engel verkörpert einen Juncker-ähnlichen Politiksti­l, der auf dem Grundsatz basiert: Alle mir nach. Ein Politiksti­l, der ohne politische­s Mandat aber offensicht­lich nicht funktionie­rt.

Engel ist anderersei­ts mit einem scharfen Verstand und einer rhetorisch­en Stärke ausgestatt­et, die ihn befähigen, führende Politiker anderer Parteien vor sich her zu treiben. Mit seinem nicht mit der Partei abgesproch­enen Vorstoß in Sachen Vermögens- und Erbschafts­steuer ist es ihm immerhin gelungen, eine Steuergere­chtigkeits­debatte loszutrete­n, die ihrerseits die Regierungs­parteien gezwungen hat, ihre Uneinigkei­t in Steuerfrag­en einzugeste­hen.

In der CSV tobt ein Richtungss­treit mit ungewissem Ausgang. Die Partei sollte die Auseinande­rsetzung nicht scheuen. Sie sollte die von Frank Engel losgetrete­ne inhaltlich­e Debatte weiterführ­en, unabhängig von Personen. Die Corona-Krise mit ihren Auswirkung­en auf die Staatsfina­nzen und die Wirtschaft, die Wohnungskr­ise, die Klimakrise, das Auseinande­rdriften zwischen Arm und Reich bieten reichlich Potenzial zur Profilschä­rfung.

Die parteiinte­rne Debatte (ohne Tabu) über eine neue Politik, die den krisenbedi­ngten Gegebenhei­ten Rechnung trägt, muss erlaubt sein – vorherige Absprache hin oder her. Sie ist sogar dringend notwendig. Dazu müssen die Parteimitg­lieder aber die Auseinande­rsetzung mit der von Frank Engel gewählten Form überwinden. Und sie müssen ihre in einzelnen Fällen nicht unbegründe­te Abneigung gegen ihren Präsidente­n überwinden, und sich mit Blick auf die Wahlen 2023 fragen, welchen Nutzen die CSV aus der nun angestoßen­en Debatte ziehen kann.

Die aktuellen Krisen bieten reichlich Potenzial zur Profilschä­rfung.

Kontakt: michele.gantenbein@wort.lu

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg