Die Reportage
Mütter mit Kindern, denen der Rotz aus der Nase läuft. Sie rufen im Durcheinander auf Englisch Worte wie „Blood“, „Urin“, „Doctor“„Please“und tasten sich nach schmerzenden Stellen am Körper ab. Sie zücken Plastikkarten mit einem blauen Stempel. So sieht in Griechenland der Ausweis aus, den anerkannte Asylbewerber erhalten. Sie halten ihn den Besuchern wie eine Frage entgegen. Kann es sein, dass so die Zuflucht aussieht, die Griechenland mit den Asylpapieren verspricht, ohne ärztliche Versorgung oder Essen und Wasser unter freiem Himmel?
Amena Nowrozi hält einen rosafarbenen Bußgeldbescheid der Athener Verkehrsbetriebe in der Hand. Ein Kontrolleur stellte ihr den Schein am 2. September aus. Nowrozi soll nun 72 Euro an die Stadtverwaltung für das Fahren ohne Ticket bezahlen. Die 30-jährige Afghanin kam mit ihrem Mann Ramazan Ali Nowrozi Ende Juli aus Lesbos mit 60 Euro in Athen an. Er sitzt schweigend neben seiner Frau am Viktoriaplatz, während sie ihre gemeinsame Geschichte erzählt. Niemand vom Migrationsministerium oder der Stadtverwaltung habe sie mit Informationen über eine Unterkunft oder Hilfe für die ersten Tage am Pier im Hafen von Piräus empfangen, erzählt sie. „Wir hörten von den anderen aus Moria, dass Afghanen in Athen am Viktoriaplatz schlafen“, erzählt sie.
Die Nowrozis kauften sich von ihren 60 Euro also zwei Tickets von Piräus zum Viktoriaplatz, Medikamente und SIM-Karten für ihre Mobiltelefone. Sie tauschten nach Monaten in Moria ein Zelt gegen einen Platz auf Beton im Zentrum von Athen. Nowrozi erinnert sich an ihre Freude über den positiven Asylbescheid im Juli. Dann erfuhren sie und ihr Mann, dass das UNFlüchtlingswerk