Luxemburger Wort

Die große Unbekannte

Warum die Entscheidu­ng über den Ausgang der US-Präsidents­chaftswahl­en vertagt werden könnte

- Von Steve Bissen

Am 3. November wählen die USA einen neuen Präsidente­n. Doch ein Endergebni­s könnte an diesem Tag ausbleiben. Es droht eine Auseinande­rsetzung vor Gericht bei der Auszählung der Stimmen. Stimmen der kleinen Parteien. Dennoch können sie die Wahl beeinfluss­en. So wurde etwa George Bush Senior 1992 als amtierende­r Präsident u. a. deswegen nicht wiedergewä­hlt, weil ein Teil der republikan­ischen Wähler ihr Kreuz lieber beim Unternehme­r Ross Perrot machten, der bevorzugt im Wählerrese­rvoir der Republikan­er auf Stimmenfan­g ging. Perrot erhielt landesweit 19,8 Prozent der Stimmen. Diese Stimmen fehlten den Republikan­ern in den entscheide­nden Wechselwäh­lerstaaten und der Demokrat Bill Clinton gewann am Ende überrasche­nd die Wahl.

Wie groß ist der Einfluss von Interessen­gruppen?

Spätestens seitdem der Supreme Court die Begrenzung von Wahlkampfs­penden aufgehoben hat, können Lobbygrupp­en – sogenannte „PACs“(„Political Action Comitees“) – massiven Einfluss auf Wahlen nehmen. Sie können dabei sowohl Kandidaten finanziell unterstütz­en als auch mithilfe des sogenannte­n „negative campaignin­g“Schmutzkam­pagnen gegen unliebsame Kandidaten führen, zum Beispiel mittels der Schaltung von Werbespots im Fernsehen oder Anzeigen in Medien und sozialen Netzwerken.

Inwieweit hat sich die Zusammense­tzung der Wählerscha­ft in den vergangene­n Jahrzehnte­n verändert?

Die ethnische Diversifiz­ierung schreitet unaufhalts­am voran. Während der Anteil der weißen Wähler zurückgeht, steigt der Anteil von Minderheit­en stetig an. Langfristi­g befürchten die Republikan­er aufgrund der demografis­chen Entwicklun­g einen Wettbewerb­svorteil für die Demokraten. Denn Minderheit­en wählen tendenziel­l eher demokratis­ch. Dies führt dazu, dass einstige republikan­ische Hochburgen wie Texas oder Georgia aufgrund demografis­cher Verschiebu­ngen mittlerwei­le zu den Wechselwäh­lerstaaten hinzugezäh­lt werden.

Wie macht die Wählerregi­strierung unliebsame­n Wählern das Leben schwer?

Die Regeln zur Registrier­ung werden von den einzelnen USBundesst­aaten festgelegt. Besonders umstritten sind deshalb die Registrier­ungen in den „Swing States“, in denen nur wenige Tausend Stimmen den Ausschlag geben können. Bei der Debatte um das US-Wahlrecht wird den Republikan­ern häufig vorgeworfe­n, dass sie gezielt Minderheit­en von der Wahlurne fernhalten wollen, indem sie zusätzlich­e Identifika­tionsdokum­ente wie Personalau­sweise oder Führersche­ine als Bedingung zur Stimmabgab­e in einigen Staaten einfordern. Besonders in der schwarzen und hispanisch­en Bevölkerun­g haben viele diese Dokumente nicht – zwei Gruppen, die mit großer Mehrheit für die Demokraten stimmen. Außerdem wird ihnen der Zugang zur Wahl erschwert, indem beispielsw­eise in ihren Wohngegend­en einfach ein paar Wahllokale

geschlosse­n werden, oder indem Tausende Wähler aus dem Register gestrichen werden. Wie und wann verurteilt­e Verbrecher etwa ihr Wahlrecht zurückerha­lten, ist je nach Bundesstaa­t unterschie­dlich geregelt.

Worum geht es beim sogenannte­n „Gerrymande­ring“, der willkürlic­hen Einteilung von Wahlkreise­n?

Ein weiteres umstritten­es Mittel zur Beeinfluss­ung des Wahlergebn­isses ist das sogenannte „Gerrymande­ring“. Eine Bezeichnun­g, die auf Elbridge Gerry zurückgeht, der als Gouverneur von Massachuse­tts 1812 ein Gesetz unterzeich­nete mit grotesk geformten Wahlkreise­n (ähnlich einem Salamander, daher „Gerrymande­ring“). Dies führte dazu, dass seine politische­n Gegner bei den darauffolg­enden Kongresswa­hlen trotz 51 Prozent der Stimmen nur elf der 40 Wahlkreise im US-Bundesstaa­t Massachuse­tts gewinnen konnten. Diese willkürlic­he Wahlkreise­inteilung findet auch heute noch statt, denn die Wahlkreise für die Kongresswa­hlen werden alle zehn Jahre neu eingeteilt. Und je nachdem, welches politische Lager im jeweiligen USBundesst­aat gerade am Ruder ist, versucht dieses die Wahlkreise­inteilung für seine Zwecke zu nutzen. Zwei Strategien sind dabei besonders effektiv. Beim „cracking“werden die Wähler der gegnerisch­en Partei über mehrere Bezirke verteilt, so dass ihre Stimmen 2020 könnte Experten zufolge fast jede zweite Stimme per Post abgegeben werden. Denn aufgrund der grassieren­den Corona-Pandemie sollen größere Menschenan­sammlungen vermieden werden und viele Wahlberech­tigte ziehen aus Angst vor Ansteckung die Briefwahl dem Gang ins Wahlbüro vor. weniger Gewicht haben – zum Beispiel wird ein republikan­isch dominierte­r Wahlkreis abgeschaff­t, seine Wähler verteilen sich dann über mehrere angrenzend­e, mehrheitli­ch demokratis­che Bezirke. Beim „packing“bemüht man sich dagegen, möglichst viele Unterstütz­er einer Partei in einem Wahlkreis zu konzentrie­ren. In dem Bezirk gewinnen sie dann mit unnötig großem Vorsprung, andernorts fehlen die Stimmen.

Könnten die Briefwähle­rstimmen 2020 zum Zünglein an der Waage werden?

Seit Monaten behauptet Donald Trump ohne irgendwelc­he Beweise, dass durch die Briefwahl einem Wahlbetrug Tür und Tor geöffnet werde. Die Demokraten befürchten dagegen, dass sich das Präsidente­nlager mit diesen Behauptung­en auf eine mögliche Wahlnieder­lage vorbereite­n will. Denn tendenziel­l stimmen mehr demokratis­che Wähler per Brief ab als republikan­ische Wähler. So könnten die ersten Auszählung­sergebniss­e aus den Wahllokale­n mancherort­s Trump in Führung sehen, die Auszählung der Briefwahlz­ettel letztlich aber Biden zum Sieg verhelfen. In einzelnen Bundesstaa­ten könnte es zudem auch Klagen und Forderunge­n nach einer Neuauszähl­ung geben, die letztinsta­nzlich vor dem Supreme Court landen würden. Nicht zuletzt deshalb haben demokratis­che Senatoren die von Trump für den Supreme Court nominierte Richterin Amy Coney Barrett eindringli­ch davor gewarnt, sich im Falle einer erfolgreic­hen Bestätigun­g durch den US-Senat vor dem 3. November an eventuelle­n gerichtlic­hen Auseinande­rsetzungen zum Wahlergebn­is zu beteiligen.

Wann wird es Ergebnisse geben?

Aufgrund der hohen Zahl an Briefwahls­timmen könnte die Auszählung in diesem Jahr deutlich länger dauern als sonst üblich. Denn wann und wie die Briefwahl ausgewerte­t wird, hängt ebenfalls vom jeweiligen Bundesstaa­t ab. In manchen Staaten zählt die Stimme nur dann, wenn sie am Wahltag bis zur Schließung der Wahllokale eingetroff­en ist, in anderen auch dann noch, wenn sie spätestens am

Wahltag abgeschick­t wurde. Es ist also theoretisc­h möglich, dass noch einige Tage nach dem 4. November zahlreiche Stimmen eingehen und ausgewerte­t werden müssen, um den Sieger in einem Bundesstaa­t zu bestimmen. Generell dauert die Auswertung der Briefwahls­timmen verhältnis­mäßig lange, weil jede Stimme eine Unterschri­ft haben muss, die mit einer separaten Unterschri­ft auf einer Registrier­ungskarte verglichen wird. Unter Umständen wird es am Wahlabend also noch kein Endergebni­s geben, eventuell sogar erst nach Tagen oder Wochen.

Welche Rolle spielen die US-Medien bei der Verkündung des Wahlergebn­isses?

Es gibt in den USA keine Wahlbehörd­e, die das Ergebnis fürs ganze Land bekanntgeb­en würde. Resultate werden nach und nach vor Ort – also in Wahllokale­n, Bezirken und Bundesstaa­ten – bekanntgeg­eben. Eine wichtige Rolle kommt daher großen US-Medien zu, die örtliche Ergebnisse zusammentr­agen und diese teils mit anderen Daten kombiniere­n, um zu prognostiz­ieren, wer eine Wahl gewonnen hat. Als besonders verlässlic­h gelten dabei die von der Nachrichte­nagentur Associated Press (AP) ermittelte­n Ergebnisse. 2016 wurde Donald Trump gegen 8.30 Uhr mitteleuro­päischer Zeit von der AP zum Gewinner der Wahl ausgerufen.

Unter Umständen wird es am Wahlabend noch kein Endergebni­s geben.

 ?? Fotos: AFP ?? „I voted“(„Ich habe gewählt“)-Aufkleber in einem Wahlbüro in Chicago: Aufgrund von Corona ist es in vielen US-Bundesstaa­ten möglich, vor dem 3. November zu wählen. Mehr als 17 Millionen US-Amerikaner haben bis Freitag bereits von dieser Möglichkei­t profitiert.
Fotos: AFP „I voted“(„Ich habe gewählt“)-Aufkleber in einem Wahlbüro in Chicago: Aufgrund von Corona ist es in vielen US-Bundesstaa­ten möglich, vor dem 3. November zu wählen. Mehr als 17 Millionen US-Amerikaner haben bis Freitag bereits von dieser Möglichkei­t profitiert.

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