Die große Unbekannte
Warum die Entscheidung über den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen vertagt werden könnte
Am 3. November wählen die USA einen neuen Präsidenten. Doch ein Endergebnis könnte an diesem Tag ausbleiben. Es droht eine Auseinandersetzung vor Gericht bei der Auszählung der Stimmen. Stimmen der kleinen Parteien. Dennoch können sie die Wahl beeinflussen. So wurde etwa George Bush Senior 1992 als amtierender Präsident u. a. deswegen nicht wiedergewählt, weil ein Teil der republikanischen Wähler ihr Kreuz lieber beim Unternehmer Ross Perrot machten, der bevorzugt im Wählerreservoir der Republikaner auf Stimmenfang ging. Perrot erhielt landesweit 19,8 Prozent der Stimmen. Diese Stimmen fehlten den Republikanern in den entscheidenden Wechselwählerstaaten und der Demokrat Bill Clinton gewann am Ende überraschend die Wahl.
Wie groß ist der Einfluss von Interessengruppen?
Spätestens seitdem der Supreme Court die Begrenzung von Wahlkampfspenden aufgehoben hat, können Lobbygruppen – sogenannte „PACs“(„Political Action Comitees“) – massiven Einfluss auf Wahlen nehmen. Sie können dabei sowohl Kandidaten finanziell unterstützen als auch mithilfe des sogenannten „negative campaigning“Schmutzkampagnen gegen unliebsame Kandidaten führen, zum Beispiel mittels der Schaltung von Werbespots im Fernsehen oder Anzeigen in Medien und sozialen Netzwerken.
Inwieweit hat sich die Zusammensetzung der Wählerschaft in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Die ethnische Diversifizierung schreitet unaufhaltsam voran. Während der Anteil der weißen Wähler zurückgeht, steigt der Anteil von Minderheiten stetig an. Langfristig befürchten die Republikaner aufgrund der demografischen Entwicklung einen Wettbewerbsvorteil für die Demokraten. Denn Minderheiten wählen tendenziell eher demokratisch. Dies führt dazu, dass einstige republikanische Hochburgen wie Texas oder Georgia aufgrund demografischer Verschiebungen mittlerweile zu den Wechselwählerstaaten hinzugezählt werden.
Wie macht die Wählerregistrierung unliebsamen Wählern das Leben schwer?
Die Regeln zur Registrierung werden von den einzelnen USBundesstaaten festgelegt. Besonders umstritten sind deshalb die Registrierungen in den „Swing States“, in denen nur wenige Tausend Stimmen den Ausschlag geben können. Bei der Debatte um das US-Wahlrecht wird den Republikanern häufig vorgeworfen, dass sie gezielt Minderheiten von der Wahlurne fernhalten wollen, indem sie zusätzliche Identifikationsdokumente wie Personalausweise oder Führerscheine als Bedingung zur Stimmabgabe in einigen Staaten einfordern. Besonders in der schwarzen und hispanischen Bevölkerung haben viele diese Dokumente nicht – zwei Gruppen, die mit großer Mehrheit für die Demokraten stimmen. Außerdem wird ihnen der Zugang zur Wahl erschwert, indem beispielsweise in ihren Wohngegenden einfach ein paar Wahllokale
geschlossen werden, oder indem Tausende Wähler aus dem Register gestrichen werden. Wie und wann verurteilte Verbrecher etwa ihr Wahlrecht zurückerhalten, ist je nach Bundesstaat unterschiedlich geregelt.
Worum geht es beim sogenannten „Gerrymandering“, der willkürlichen Einteilung von Wahlkreisen?
Ein weiteres umstrittenes Mittel zur Beeinflussung des Wahlergebnisses ist das sogenannte „Gerrymandering“. Eine Bezeichnung, die auf Elbridge Gerry zurückgeht, der als Gouverneur von Massachusetts 1812 ein Gesetz unterzeichnete mit grotesk geformten Wahlkreisen (ähnlich einem Salamander, daher „Gerrymandering“). Dies führte dazu, dass seine politischen Gegner bei den darauffolgenden Kongresswahlen trotz 51 Prozent der Stimmen nur elf der 40 Wahlkreise im US-Bundesstaat Massachusetts gewinnen konnten. Diese willkürliche Wahlkreiseinteilung findet auch heute noch statt, denn die Wahlkreise für die Kongresswahlen werden alle zehn Jahre neu eingeteilt. Und je nachdem, welches politische Lager im jeweiligen USBundesstaat gerade am Ruder ist, versucht dieses die Wahlkreiseinteilung für seine Zwecke zu nutzen. Zwei Strategien sind dabei besonders effektiv. Beim „cracking“werden die Wähler der gegnerischen Partei über mehrere Bezirke verteilt, so dass ihre Stimmen 2020 könnte Experten zufolge fast jede zweite Stimme per Post abgegeben werden. Denn aufgrund der grassierenden Corona-Pandemie sollen größere Menschenansammlungen vermieden werden und viele Wahlberechtigte ziehen aus Angst vor Ansteckung die Briefwahl dem Gang ins Wahlbüro vor. weniger Gewicht haben – zum Beispiel wird ein republikanisch dominierter Wahlkreis abgeschafft, seine Wähler verteilen sich dann über mehrere angrenzende, mehrheitlich demokratische Bezirke. Beim „packing“bemüht man sich dagegen, möglichst viele Unterstützer einer Partei in einem Wahlkreis zu konzentrieren. In dem Bezirk gewinnen sie dann mit unnötig großem Vorsprung, andernorts fehlen die Stimmen.
Könnten die Briefwählerstimmen 2020 zum Zünglein an der Waage werden?
Seit Monaten behauptet Donald Trump ohne irgendwelche Beweise, dass durch die Briefwahl einem Wahlbetrug Tür und Tor geöffnet werde. Die Demokraten befürchten dagegen, dass sich das Präsidentenlager mit diesen Behauptungen auf eine mögliche Wahlniederlage vorbereiten will. Denn tendenziell stimmen mehr demokratische Wähler per Brief ab als republikanische Wähler. So könnten die ersten Auszählungsergebnisse aus den Wahllokalen mancherorts Trump in Führung sehen, die Auszählung der Briefwahlzettel letztlich aber Biden zum Sieg verhelfen. In einzelnen Bundesstaaten könnte es zudem auch Klagen und Forderungen nach einer Neuauszählung geben, die letztinstanzlich vor dem Supreme Court landen würden. Nicht zuletzt deshalb haben demokratische Senatoren die von Trump für den Supreme Court nominierte Richterin Amy Coney Barrett eindringlich davor gewarnt, sich im Falle einer erfolgreichen Bestätigung durch den US-Senat vor dem 3. November an eventuellen gerichtlichen Auseinandersetzungen zum Wahlergebnis zu beteiligen.
Wann wird es Ergebnisse geben?
Aufgrund der hohen Zahl an Briefwahlstimmen könnte die Auszählung in diesem Jahr deutlich länger dauern als sonst üblich. Denn wann und wie die Briefwahl ausgewertet wird, hängt ebenfalls vom jeweiligen Bundesstaat ab. In manchen Staaten zählt die Stimme nur dann, wenn sie am Wahltag bis zur Schließung der Wahllokale eingetroffen ist, in anderen auch dann noch, wenn sie spätestens am
Wahltag abgeschickt wurde. Es ist also theoretisch möglich, dass noch einige Tage nach dem 4. November zahlreiche Stimmen eingehen und ausgewertet werden müssen, um den Sieger in einem Bundesstaat zu bestimmen. Generell dauert die Auswertung der Briefwahlstimmen verhältnismäßig lange, weil jede Stimme eine Unterschrift haben muss, die mit einer separaten Unterschrift auf einer Registrierungskarte verglichen wird. Unter Umständen wird es am Wahlabend also noch kein Endergebnis geben, eventuell sogar erst nach Tagen oder Wochen.
Welche Rolle spielen die US-Medien bei der Verkündung des Wahlergebnisses?
Es gibt in den USA keine Wahlbehörde, die das Ergebnis fürs ganze Land bekanntgeben würde. Resultate werden nach und nach vor Ort – also in Wahllokalen, Bezirken und Bundesstaaten – bekanntgegeben. Eine wichtige Rolle kommt daher großen US-Medien zu, die örtliche Ergebnisse zusammentragen und diese teils mit anderen Daten kombinieren, um zu prognostizieren, wer eine Wahl gewonnen hat. Als besonders verlässlich gelten dabei die von der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) ermittelten Ergebnisse. 2016 wurde Donald Trump gegen 8.30 Uhr mitteleuropäischer Zeit von der AP zum Gewinner der Wahl ausgerufen.
Unter Umständen wird es am Wahlabend noch kein Endergebnis geben.