„Trump möchte besseres Resultat als Obama“
Im Interview geht der ehemalige US-Nahostberater Dennis Ross auf die rezenten politischen Entwicklungen ein
Der ehemalige US-Nahostberater Dennis Ross warnt die Palästinenser, spricht über eigene Fehler und sagt, warum Israel seinem ehemaligen Chef Barack Obama misstraut hat. Dennis Ross hat im Auftrag mehrerer US-Präsidenten so intensiv wie wenige andere den Nahen Osten bereist, unermüdlich auf der Suche nach einem Durchbruch bei Friedensverhandlungen. Warum das zu seiner Zeit nicht geglückt ist, legt er im Gespräch mit unserem Korrespondenten dar.
Dennis Ross, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und arabischen Staaten war bisher stets an die Bedingung geknüpft, dass Israeli und Palästinenser miteinander ins Reine kommen. Unter US-Präsident Trump wurde die Reihenfolge umgekehrt. Mit Erfolg: Jerusalem hat mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain diplomatische Beziehungen aufgenommen, bevor der Konflikt mit den Palästinensern gelöst ist. Warum war US-Präsident Trump erfolgreich, wo seine Vorgänger gescheitert sind?
Ich glaube nicht, dass das etwas mit Trump zu tun hat.
Sondern?
Die Normalisierung begann schon vor Trump. Die Emirate und andere Golf-Staaten unterhalten seit mehr als einem Jahrzehnt Kontakte zu Israel. Neu ist lediglich, dass das jetzt öffentlich gemacht wurde.
Weshalb geschah das gerade jetzt?
Ironischerweise war es die Ankündigung von Premier Benjamin Netanjahu, Teile der Westbank zu annektieren. Die Emirate befürchteten, dass das in der Region zu einem Wutausbruch führen könnte, was sowohl der Iran, die Islamisten als auch die Türkei ausgenutzt hätten. Deshalb beschlossen die Emirate, ihre Beziehungen zu Israel öffentlich bekannt zu geben, stellten aber die Forderung, dass Israel auf die Annexion verzichte.
Auf einer Konferenz* sprachen Sie neulich von einem neuen Paradigma.
Wegen der neuen strategischen Landschaft in der Region sehen die sunnitischen Staaten Israel nun als natürlichen strategischen Partner. Zweitens ist die Normalisierung der Beziehungen der Emirate und Bahrains mit Israel ein Zeichen an die Palästinenser, dass man am Golf nicht mehr länger auf sie warten will. Denn es gibt ein ganzes Bündel von Herausforderungen, die die arabischen Staaten dringend lösen müssen.
Und die wären?
Neu ist vor allem, dass sich die Araber weniger als früher auf die USA verlassen. Trump hat ja deutlich klargemacht, dass er sich aus der Region zurückziehen wolle. Als zum Beispiel vor einem Jahr wichtige Ölanlagen SaudiArabiens durch den Iran angegriffen wurden, blieben die USA passiv. Die Elite hat zudem begriffen, dass sie die Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigen muss, weil es sonst zu Unruhen kommen könnte.
Was hat das Umdenken ausgelöst?
Covid-19. Die Epidemie hat enorme wirtschaftliche Implikationen. Zudem führt der Klimawandel zu Dürren und Wasserknappheit, was sich negativ auf die Landwirtschaft und auf die Nahrungsmittelsicherheit auswirkt. Für all diese Probleme bietet Israels Hightech-Industrie exzellente Lösungen. Deshalb haben die Emirate nach der Normalisierung die wirtschaftliche und wissenschaftliche Kooperation mit Israel sehr schnell aufgenommen.
Halten Sie es für möglich, dass Saudi-Arabien demnächst ebenfalls die Beziehungen zu Israel normalisieren wird?
Das glaube ich nicht.
Saudi-Arabiens ehemaliger und immer noch einflussreicher Botschafter in Washington, Prinz Bandar bin Sultan, lancierte in der vergangenen Woche allerdings prominent in den Medien platzierte Kritik gegen die Palästinenser. Er warf ihnen unter anderem vor, alle Chancen für einen Frieden verpasst zu haben. Würden Sie dieser Einschätzung als profunder und langjähriger Kenner des Nahen Ostens zustimmen?
Als ich Bandar einmal vorab über die unter US-Präsident Bill
Clinton ausgehandelten Vorschläge informierte, die den palästinensischen Forderungen weitgehend entgegenkamen, sagte mir Bandar: „Wenn sie das ablehnen, wäre das nicht nur ein Fehler. Es wäre ein Verbrechen.“Aber solche Dinge werden nie öffentlich gesagt, sondern bloß in privaten Gesprächen. Bandars Kritik an die Adresse der Palästinenser signalisiert jetzt, dass er das Abkommen der beiden Golfstaaten mit Israel gutheißt. Aber vorerst werden die Saudis eine Politik der kleinen Schritte vorziehen, ohne das an die große Glocke zu hängen.
US-Regierungen haben während Jahren einen Regimewechsel in Teheran gefordert. Ist das realistisch?
Nein. Dieses Regime bleibt.
Vielleicht haben Sie im Jahre 2009 eine Chance verpasst? Beim damaligen Aufstand der iranischen Jugend gegen die Herrschaft der Mullahs rieten Sie US-Präsident Barack Obama, der Opposition nicht zu helfen.
Das war, aus heutiger Sicht, vermutlich ein Fehler. Wir hatten damals zwei sich widersprechende Informationen. Die Anführer des Aufstandes im Iran sagten uns, ein Eingreifen der USA würde die Bewegung diskreditieren, während uns die iranische Opposition im Ausland aufforderte, uns aktiv einzusetzen. Obama beschloss daraufhin, sich auf die Stimmen im Iran zu verlassen und den Aufstand nicht zu unterstützen.
Wie schätzen Sie die Lage heute ein?
Es lassen sich wie seinerzeit in der Sowjetunion Erosionseffekte beobachten, weil nur noch diejenigen an die Ideologie des Regimes glauben, die von ihm profitieren. Das Regime setzt die Polizei und die Sicherheitskräfte ein, um sich an der Macht zu halten. Die Bedürfnisse der Bevölkerung kommen zu kurz, was zu einer Entfremdung zwischen der Elite und dem Volk führt. Bereits jetzt zeichnen sich erste Risse bei den Sicherheitskräften ab.
Das klingt aber so, als würden Sie einen baldigen Regimewechsel in Teheran erwarten?
Nein, das ist ein langer Prozess, der 20 oder sogar 30 Jahre dauern kann.
Trumps Verschärfung der Sanktionen könnte das Ende beschleunigen.
Seine Politik des maximalen Drucks macht es dem Regime zwar schwieriger, das Land zu managen, weil sie andere Fehlleistungen wie Korruption verschärft.
Wenn aber Trump an der Macht bleibt, wird man überrascht sein, welche Zugeständnisse er gegenüber dem Iran machen wird.
Wie meinen Sie das?
Er will einen Deal mit Teheran. Vermutlich wird er nicht direkt mit den Ayatollahs sprechen, weil das zu sehr nach einer Niederlage aussehen würde. Aber Trump könnte die Russen einschalten, vielleicht auch Macron. Trump möchte am Ende von sich sagen können, dass er ein besseres Resultat erzielt habe als Obama.
Welchen Fehler hat Obama denn Ihrer Meinung nach mit dem Atomdeal gemacht?
Er hat den Willen Teherans, Nuklearwaffen zu besitzen, unterschätzt. Er unternahm nichts, um die Atom-Pläne des Iran ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Zudem wurden im Vertrag die regionalen Aggressionen Teherans nicht angesprochen ...
Sie sprechen damit Teherans Unterstützung für schiitische Milizen in Syrien, im Irak, im Libanon und im Jemen an.
Genau. Schließlich war es ein Fehler, weder Israel noch die Golfstaaten in die Verhandlungen einzubeziehen oder sich zumindest mit ihnen zu beraten. Das sorgte für Misstrauen und böses Blut. Als Obama öffentlich über den Durchbruch beim Atomdeal informierte, war ich zufällig bei Netanjahu in Jerusalem. Und Netanjahu sagte mir, dass ihm die Amerikaner bei einem Briefing vor einer Woche nichts davon gesagt hatten.
Dennis Ross, Sie haben während zwölf Jahren versucht, Frieden im Nahen Osten zu stiften. Welche Bilanz ziehen Sie?
Habe ich erreicht, was ich wollte? Nein. Aber immerhin habe ich erreicht, dass Israeli und Palästinenser nach Jahrzehnten begonnen haben, miteinander zu sprechen und zu verhandeln. Und wenn ich das mit früheren Konflikten in Europa vergleiche, ist dieses Ergebnis an sich gar nicht so schlecht. Denn anders als früher in Europa stehen sich beim israelisch-palästinensischen Konflikt zwei nationale Bewegungen gegenüber, die dasselbe Stück Land beanspruchen. Man kann den Streit also nicht einfach lösen, indem man die Grenzen etwas anders zieht. Wobei ich mich gut erinnere, was mir seinerzeit Yitzhak Rabin über die Friedensgespräche gesagt hatte ...
… Israels Premier, der ermordet wurde, weil er mit den Palästinensern einen Friedensvertrag angestrebt hatte.
Er wisse, dass Israel mehr Konzessionen machen müsse als die Palästinenser. Aber er müsse sicherstellen, dass auch die Palästinenser zu Schritten bereit sind, die sie große Überwindung kosten.
Obama hat den Willen Teherans, Nuklearwaffen zu besitzen, unterschätzt.