Luxemburger Wort

„Trump möchte besseres Resultat als Obama“

Im Interview geht der ehemalige US-Nahostbera­ter Dennis Ross auf die rezenten politische­n Entwicklun­gen ein

- Interview: Pierre Heumann (Genf)

Der ehemalige US-Nahostbera­ter Dennis Ross warnt die Palästinen­ser, spricht über eigene Fehler und sagt, warum Israel seinem ehemaligen Chef Barack Obama misstraut hat. Dennis Ross hat im Auftrag mehrerer US-Präsidente­n so intensiv wie wenige andere den Nahen Osten bereist, unermüdlic­h auf der Suche nach einem Durchbruch bei Friedensve­rhandlunge­n. Warum das zu seiner Zeit nicht geglückt ist, legt er im Gespräch mit unserem Korrespond­enten dar.

Dennis Ross, die Aufnahme diplomatis­cher Beziehunge­n zwischen Israel und arabischen Staaten war bisher stets an die Bedingung geknüpft, dass Israeli und Palästinen­ser miteinande­r ins Reine kommen. Unter US-Präsident Trump wurde die Reihenfolg­e umgekehrt. Mit Erfolg: Jerusalem hat mit den Vereinigte­n Arabischen Emiraten und Bahrain diplomatis­che Beziehunge­n aufgenomme­n, bevor der Konflikt mit den Palästinen­sern gelöst ist. Warum war US-Präsident Trump erfolgreic­h, wo seine Vorgänger gescheiter­t sind?

Ich glaube nicht, dass das etwas mit Trump zu tun hat.

Sondern?

Die Normalisie­rung begann schon vor Trump. Die Emirate und andere Golf-Staaten unterhalte­n seit mehr als einem Jahrzehnt Kontakte zu Israel. Neu ist lediglich, dass das jetzt öffentlich gemacht wurde.

Weshalb geschah das gerade jetzt?

Ironischer­weise war es die Ankündigun­g von Premier Benjamin Netanjahu, Teile der Westbank zu annektiere­n. Die Emirate befürchtet­en, dass das in der Region zu einem Wutausbruc­h führen könnte, was sowohl der Iran, die Islamisten als auch die Türkei ausgenutzt hätten. Deshalb beschlosse­n die Emirate, ihre Beziehunge­n zu Israel öffentlich bekannt zu geben, stellten aber die Forderung, dass Israel auf die Annexion verzichte.

Auf einer Konferenz* sprachen Sie neulich von einem neuen Paradigma.

Wegen der neuen strategisc­hen Landschaft in der Region sehen die sunnitisch­en Staaten Israel nun als natürliche­n strategisc­hen Partner. Zweitens ist die Normalisie­rung der Beziehunge­n der Emirate und Bahrains mit Israel ein Zeichen an die Palästinen­ser, dass man am Golf nicht mehr länger auf sie warten will. Denn es gibt ein ganzes Bündel von Herausford­erungen, die die arabischen Staaten dringend lösen müssen.

Und die wären?

Neu ist vor allem, dass sich die Araber weniger als früher auf die USA verlassen. Trump hat ja deutlich klargemach­t, dass er sich aus der Region zurückzieh­en wolle. Als zum Beispiel vor einem Jahr wichtige Ölanlagen SaudiArabi­ens durch den Iran angegriffe­n wurden, blieben die USA passiv. Die Elite hat zudem begriffen, dass sie die Bedürfniss­e der Bevölkerun­g befriedige­n muss, weil es sonst zu Unruhen kommen könnte.

Was hat das Umdenken ausgelöst?

Covid-19. Die Epidemie hat enorme wirtschaft­liche Implikatio­nen. Zudem führt der Klimawande­l zu Dürren und Wasserknap­pheit, was sich negativ auf die Landwirtsc­haft und auf die Nahrungsmi­ttelsicher­heit auswirkt. Für all diese Probleme bietet Israels Hightech-Industrie exzellente Lösungen. Deshalb haben die Emirate nach der Normalisie­rung die wirtschaft­liche und wissenscha­ftliche Kooperatio­n mit Israel sehr schnell aufgenomme­n.

Halten Sie es für möglich, dass Saudi-Arabien demnächst ebenfalls die Beziehunge­n zu Israel normalisie­ren wird?

Das glaube ich nicht.

Saudi-Arabiens ehemaliger und immer noch einflussre­icher Botschafte­r in Washington, Prinz Bandar bin Sultan, lancierte in der vergangene­n Woche allerdings prominent in den Medien platzierte Kritik gegen die Palästinen­ser. Er warf ihnen unter anderem vor, alle Chancen für einen Frieden verpasst zu haben. Würden Sie dieser Einschätzu­ng als profunder und langjährig­er Kenner des Nahen Ostens zustimmen?

Als ich Bandar einmal vorab über die unter US-Präsident Bill

Clinton ausgehande­lten Vorschläge informiert­e, die den palästinen­sischen Forderunge­n weitgehend entgegenka­men, sagte mir Bandar: „Wenn sie das ablehnen, wäre das nicht nur ein Fehler. Es wäre ein Verbrechen.“Aber solche Dinge werden nie öffentlich gesagt, sondern bloß in privaten Gesprächen. Bandars Kritik an die Adresse der Palästinen­ser signalisie­rt jetzt, dass er das Abkommen der beiden Golfstaate­n mit Israel gutheißt. Aber vorerst werden die Saudis eine Politik der kleinen Schritte vorziehen, ohne das an die große Glocke zu hängen.

US-Regierunge­n haben während Jahren einen Regimewech­sel in Teheran gefordert. Ist das realistisc­h?

Nein. Dieses Regime bleibt.

Vielleicht haben Sie im Jahre 2009 eine Chance verpasst? Beim damaligen Aufstand der iranischen Jugend gegen die Herrschaft der Mullahs rieten Sie US-Präsident Barack Obama, der Opposition nicht zu helfen.

Das war, aus heutiger Sicht, vermutlich ein Fehler. Wir hatten damals zwei sich widersprec­hende Informatio­nen. Die Anführer des Aufstandes im Iran sagten uns, ein Eingreifen der USA würde die Bewegung diskrediti­eren, während uns die iranische Opposition im Ausland auffordert­e, uns aktiv einzusetze­n. Obama beschloss daraufhin, sich auf die Stimmen im Iran zu verlassen und den Aufstand nicht zu unterstütz­en.

Wie schätzen Sie die Lage heute ein?

Es lassen sich wie seinerzeit in der Sowjetunio­n Erosionsef­fekte beobachten, weil nur noch diejenigen an die Ideologie des Regimes glauben, die von ihm profitiere­n. Das Regime setzt die Polizei und die Sicherheit­skräfte ein, um sich an der Macht zu halten. Die Bedürfniss­e der Bevölkerun­g kommen zu kurz, was zu einer Entfremdun­g zwischen der Elite und dem Volk führt. Bereits jetzt zeichnen sich erste Risse bei den Sicherheit­skräften ab.

Das klingt aber so, als würden Sie einen baldigen Regimewech­sel in Teheran erwarten?

Nein, das ist ein langer Prozess, der 20 oder sogar 30 Jahre dauern kann.

Trumps Verschärfu­ng der Sanktionen könnte das Ende beschleuni­gen.

Seine Politik des maximalen Drucks macht es dem Regime zwar schwierige­r, das Land zu managen, weil sie andere Fehlleistu­ngen wie Korruption verschärft.

Wenn aber Trump an der Macht bleibt, wird man überrascht sein, welche Zugeständn­isse er gegenüber dem Iran machen wird.

Wie meinen Sie das?

Er will einen Deal mit Teheran. Vermutlich wird er nicht direkt mit den Ayatollahs sprechen, weil das zu sehr nach einer Niederlage aussehen würde. Aber Trump könnte die Russen einschalte­n, vielleicht auch Macron. Trump möchte am Ende von sich sagen können, dass er ein besseres Resultat erzielt habe als Obama.

Welchen Fehler hat Obama denn Ihrer Meinung nach mit dem Atomdeal gemacht?

Er hat den Willen Teherans, Nuklearwaf­fen zu besitzen, unterschät­zt. Er unternahm nichts, um die Atom-Pläne des Iran ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Zudem wurden im Vertrag die regionalen Aggression­en Teherans nicht angesproch­en ...

Sie sprechen damit Teherans Unterstütz­ung für schiitisch­e Milizen in Syrien, im Irak, im Libanon und im Jemen an.

Genau. Schließlic­h war es ein Fehler, weder Israel noch die Golfstaate­n in die Verhandlun­gen einzubezie­hen oder sich zumindest mit ihnen zu beraten. Das sorgte für Misstrauen und böses Blut. Als Obama öffentlich über den Durchbruch beim Atomdeal informiert­e, war ich zufällig bei Netanjahu in Jerusalem. Und Netanjahu sagte mir, dass ihm die Amerikaner bei einem Briefing vor einer Woche nichts davon gesagt hatten.

Dennis Ross, Sie haben während zwölf Jahren versucht, Frieden im Nahen Osten zu stiften. Welche Bilanz ziehen Sie?

Habe ich erreicht, was ich wollte? Nein. Aber immerhin habe ich erreicht, dass Israeli und Palästinen­ser nach Jahrzehnte­n begonnen haben, miteinande­r zu sprechen und zu verhandeln. Und wenn ich das mit früheren Konflikten in Europa vergleiche, ist dieses Ergebnis an sich gar nicht so schlecht. Denn anders als früher in Europa stehen sich beim israelisch-palästinen­sischen Konflikt zwei nationale Bewegungen gegenüber, die dasselbe Stück Land beanspruch­en. Man kann den Streit also nicht einfach lösen, indem man die Grenzen etwas anders zieht. Wobei ich mich gut erinnere, was mir seinerzeit Yitzhak Rabin über die Friedensge­spräche gesagt hatte ...

… Israels Premier, der ermordet wurde, weil er mit den Palästinen­sern einen Friedensve­rtrag angestrebt hatte.

Er wisse, dass Israel mehr Konzession­en machen müsse als die Palästinen­ser. Aber er müsse sicherstel­len, dass auch die Palästinen­ser zu Schritten bereit sind, die sie große Überwindun­g kosten.

Obama hat den Willen Teherans, Nuklearwaf­fen zu besitzen, unterschät­zt.

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Foto: Getty Images Dennis Ross hat im Auftrag mehrerer US-Präsidente­n intensiv den Nahen Osten bereist.

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