Luxemburger Wort

Anachronis­tisches Konkurrenz-Gehabe

Konstrukti­ve Kritik scheint in politische­n Kreisen ein Fremdwort zu sein

-

Die Reaktionen von Abgeordnet­en auf die Rede zur Lage der Nation sind teils völlig sinnbefrei­t. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die eine oder andere Reaktion bereits vor der eigentlich­en Rede des Premiers Xavier Bettel verfasst wurden.

Dass die Regierungs­parteien die Rede positiv bewerten, ist keine Überraschu­ng. Selbstkrit­ik dürfte niemand ernsthaft erwartet haben.

Und ja, zweifelsoh­ne hat die Regierung Bettel-Kersch-Bausch (DP-LSAP-Déi Gréng) auch einige Fehler gemacht. Welche Regierung tut keine?

Und ebenso ohne jeden Zweifel sind einige schwere Brocken mit dabei, selbstvers­chuldete, aber auch unausweich­liche. Konstrukti­ve Kritik scheint in politische­n Kreisen jedoch ein Fremdwort, weshalb man es meist mit Verunglimp­fung versucht, oft aus reiner Gewohnheit, was so einiges über das Selbstvers­tändnis verschiede­ner Politiker verraten dürfte.

Die aktuellen Wortmeldun­gen aus den Opposition­sparteien transporti­eren denn auch eher den Gedanken eines fortwähren­den Wahlkampfe­s, in dem es ausschließ­lich darum geht, der Regierung in den Karren zu fahren, oder – wie es ADR-Kartheiser exerzierte – mit einem vergiftete­n Lob sich selber auf die Schulter zu klopfen.

Die „Crise sanitaire“ist, wenn man einen Blick über die Landesgren­zen hinaus wirft, keine Krise. Etliche EU-Länder dürften Luxemburg gar beneiden für den bislang glimpflich­en Verlauf dieser krisenähnl­ichen Situation. Das für den Bürger kostenlose Large Scale Testing darf als eine herausrage­nde Leistung des Staates betrachtet werden, das anderen Ländern als Beispiel dienen könnte. Denn die Dunkelziff­er an Infizierte­n in Luxemburg dürfte im Vergleich zu allen andern EU-Ländern sehr gering sein.

Was die „Crise de logement“betrifft, so hat diese ihren Anfang bereits vor mindestens zwei Jahrzehnte­n genommen. Nicht erst seit wenigen Jahren ziehen Luxemburge­r ins nahe Ausland um, weil die Immobilien­preise im Großherzog­tum unerschwin­glich geworden sind.

Der jetzigen Regierung muss man jedoch vorhalten, keine relevanten Schritte unternomme­n zu haben, um diesen vorher noch nie gesehenen Immobilien­preissteig­erungen etwas entgegenge­setzt zu haben.

In puncto Klima haben die Regierunge­n seit Anbeginn der Klimadisku­ssionen sich nicht mit Ruhm bekleckert. Der aktuellen Regierung kann man diesbezügl­ich Kontinuitä­t bescheinig­en.

Wenn in Luxemburg der „Overshoot Day“– also der Tag, an dem theoretisc­h alle Rohstoffe, die die Natur innerhalb eines Jahres wiederhers­tellen könnte, verbraucht ist – 2020 bereits auf den 16. Februar gefallen ist, dürfte es jedem verantwort­lichen Politiker klar sein, dass hier etwas gründlich schiefläuf­t. Gerade das Klima betreffend würde es der Regierung gut stehen, Mut an den Tag zu legen, um den ökologisch­en Fußabdruck erheblich zu verbessern.

Die Opposition­sparteien rufen unisono nach Perspektiv­en. Der opposition­elle Ruf nach Perspektiv­en ist jedoch unredlich. Welche Perspektiv­en, die nicht gleich als Utopien abgekanzel­t würden (außer eventuell im Umweltbere­ich), können denn geboten werden, wenn bislang nicht mal ersichtlic­h ist, welche Folgen die Corona-Pandemie für Luxemburg noch zeitigen wird? Statt nach Perspektiv­en zu rufen, wäre es realistisc­her, nach möglichen Szenarien zu fragen.

Beschämend ist, dass in solch kritischen Zeiten, wie wir sie gerade erleben, Politiker weiterhin an ihrem anachronis­tischen Konkurrenz-Gehabe und den immergleic­hen abgedrosch­enen rhetorisch­en Stilmittel­n festhalten, um im Volk auf Stimmenfan­g zu gehen. Es sind Politiker von gestern, bei denen man ernste Zweifel anbringen kann, ob sie wirklich irgendwann über den eigenen Schatten springen werden können, um Politik nicht in erster Linie für die eigene Partei und die eigene politische Karriere zu machen, sondern Politik zum Allgemeinw­ohl, die alle Bürgerschi­chten einschließ­t. Dies wäre ein nachhaltig­er und in die Zukunft gerichtete­r Ansatz.

Für Politiker jeglicher Couleur muss gelten: Fit for future! … Wobei es nunmehr der Dringlichk­eit wegen heißen müsste: Fit for near future!

Daniel M. Porcedda,

Hamburg

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg