Liberty Steel will Thyssen-Stahl kaufen
Briten erwarben letztes Jahr unter anderem das Stahlwerk in Düdelingen – jetzt wollen sie in Deutschland wachsen
London/Essen. Der angeschlagene Industriekonzern Thyssenkrupp hat ein Angebot des Wettbewerbers Liberty Steel zum Kauf seines Stahlgeschäfts erhalten. Es gebe viel Potenzial, da sich die Unternehmen gut ergänzten, begründete der britische Konzern seine Offerte gestern in London. Eine mögliche Kaufsumme wurde nicht genannt.
Liberty Steel hatte letztes Jahr von ArcelorMittal unter anderem das Galvanisierungswerk in Düdelingen mit fast 300 Mitarbeitern übernommen. Durch zahlreiche Zukäufe in den letzten Jahren hat sich Liberty Steel zu einem der größten Stahlproduzenten in Europa gemausert. Der Luxemburger Roland Junck ist Verwaltungsratsvorsitzender und Interim-Chef für dessen britische und kontinentaleuropäischen Aktivitäten.
Das zur Gupta-Group gehörende Unternehmen beschäftigt nach eigenen Angaben rund 30 000 Menschen und ist in zehn Staaten aktiv – in Europa, Australien, den USA und China. Der Jahresumsatz lag zuletzt bei umgerechnet rund 13 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Thyssenkrupps Stahlsparte kam im Geschäftsjahr 2018/19 auf rund neun Milliarden Euro Umsatz. Der Umsatz von ArcelorMittal belief sich 2019 auf rund 54 Milliarden Euro. Derzeit arbeiten in der Stahlsparte bei Thyssenkrupp 27 000 Mitarbeiter, das ist etwa ein Viertel des Gesamtkonzerns.
Auch Gespräche mit anderen Interessenten
„Wir haben heute ein indikatives Angebot für einen Erwerb des Stahlgeschäfts erhalten“, hieß es von Thyssenkrupp. Das Angebot werde sorgfältig geprüft. Die Gespräche
mit anderen potenziellen Partnern würden fortgesetzt. „Unser Ziel ist es, das Stahlgeschäft nachhaltig zukunftsfähig zu machen. Es kommt für uns darauf an, dafür die beste Lösung zu finden.“
Liberty Steel teilt mit: „Mit sowohl Transformationserfahrung als auch einem unternehmerischen Ansatz würde eine mögliche Kombination von Liberty Steel und Thyssenkrupp Steel einen starken Konzern schaffen, der gut positioniert wäre, um die Herausforderungen der europäischen Stahlindustrie zu bewältigen und die Transformation zu Greensteel zu beschleunigen.“Liberty Steel will 2030 klimaneutral sein, 20 Jahre vor ArcelorMittal.
Der Hintergrund des Angebots: Der Traditionskonzern Thyssenkrupp steckt in einer schweren Krise. Das Traditionsunternehmen schreibt beim Stahl tiefrote Zahlen. Allein in den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres lief ein operativer Verlust von 841 Millionen Euro auf. Das bereinigte Ebit (Ergebnis vor Zinsen und Steuern) betrug minus 706 Millionen Euro. Überkapazitäten auf den Stahlmärkten sowie ein Nachfrageeinbruch drücken aufs Geschäft. Zudem sind Milliardeninvestitionen in klimaschonende Produktion nötig. Im Juli hatten die Essener die Aufzugssparte für gut 17 Milliarden Euro an Finanzinvestoren verkauft und sich finanziell Luft verschafft. Thyssenkrupp braucht seit Jahren Geld, um den Konzernumbau zu stemmen und Schulden zu senken.
Gewerkschaften sehen in Liberty Steel den falschen Partner
Auf der Gewerkschaftsseite stieß die Offerte aus London am Freitag auf Ablehnung: „Wir brauchen keinen neuen Eigentümer, sondern zusätzliches Kapital – und das hat Liberty auch nicht“, sagte das IG Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner der Deutschen PresseAgentur am Rande einer Stahlarbeiter-Kundgebung in Düsseldorf. Eine Übernahme durch Liberty löse keines der Probleme. „Liberty Steel“, heißt es aus Großbritannien hingegen, „hat wiederholt bewiesen, dass es Unternehmen auf eine Weise umstrukturiert, die loyal zu den lokalen Gemeinden ist und Arbeitsplätze rettet.“Die Gewerkschaften wünschen sich einen Staatseinstieg. Der ist aber unwahrscheinlich.
Mit dem Verkauf der Stahlsparte würde sich der Konzern von seinen Wurzeln trennen. Da Thyssenkrupp vor kurzem bereits seine lukrative Aufzugssparte verkauft hatte, bliebe von dem einstigen Weltkonzern nur noch ein stark geschrumpftes Rumpfgeschäft übrig. Deutschlands größter Stahlhersteller war 1999 aus der Fusion der beiden Aktiengesellschaften Krupp und Thyssen entstanden. MeM/dpa
Der Zusammenschluss würde einen starken Konzern schaffen. Liberty Steel