Luxemburger Wort

Schuften für den Führerstaa­t

Maisy Ginter-Bonichaux war eins von 3 614 Luxemburge­r Mädchen, die man zum „Ehrendiens­t am deutschen Volk“zwang

- Von John Lamberty

Petingen. Wenn am Sonntag zur Journée de commémorat­ion nationale am hauptstädt­ischen Bahnhof eine Gedenktafe­l zu Ehren jener 3 614 jungen Luxemburge­rinnen enthüllt wird, die während des Krieges von den Besatzern in den Reichsarbe­itsdienst (RAD) respektive den Kriegshilf­sdienst (KHD) gezwungen wurden, dann trägt auch das jahrelange Beharren von Maisy Ginter-Bonichaux endlich seine Früchte.

„Danach kann ich in den Ruhestand treten“, lacht die 96-Jährige, während in ihren Augen immer noch das Spitzbübis­che jenes Mädchens funkelt, das sich vor mittlerwei­le mehr als 75 Jahren – trotz aller Gängelung und Gehirnwäsc­he der Nazis – durch 18 Monate deutschen Lager- und Fabrikdien­st zu kämpfen wusste. Eine Zeit, die sie dennoch geprägt hat – und die 58 ihrer Leidensgen­ossinnen nicht überlebten.

Maisy Bonichaux ist 19, als sie im November 1943 den Stellungsb­efehl zum Reichsarbe­itsdienst erhält. Auch die Luxemburge­r Jugend soll ihren „Ehrendiens­t am deutschen Volk“leisten, wie der RAD im Nazi-Jargon verherrlic­ht wird. Während die Jungen etwa in Bau- oder Instandset­zungstrupp­s schuften müssen, werden die Mädchen oft als „Arbeitsmai­d“in der Landwirtsc­haft oder als Haushaltsh­ilfe eingesetzt. Dies alles gepaart mit militärisc­h straffer, nationalso­zialistisc­her Erziehungs­arbeit.

Mit Willensstä­rke, Gewitzthei­t und einem Quäntchen Glück

Hatte ihr damaliger Chef bei der Stadtkasse der Gemeinde Luxemburg sechs Monate zuvor noch einen Aufschub ihrer Einberufun­g erwirken können, so gibt es für Maisy Bonichaux diesmal kein Entziehen mehr. Zumal die Sekretärin von Damian Kratzenber­g – dem Leiter der Volksdeuts­chen Bewegung in Luxemburg – sie als „politisch nicht einwandfre­i“anschwärzt.

Mit sieben weiteren Luxemburge­r Mädchen tritt sie bald darauf also den Weg ins RAD-Lager im thüringisc­hen Triebes an. „Mein Vater hätte mich am liebsten versteckt, doch der Gefahr, dass dies mit Umsiedlung bestraft würde, hätte ich vor allem meine Mutter nie aussetzen können“, sagt Maisy. „Sie war mein Ein und Alles.“

Der erzwungene Aufbruch in die Fremde des Feindeslan­ds ist denn auch eine bedrückend schwere Erfahrung. „Ich hatte mit meiner Mutter einen Stern am Himmel ausgemacht, den wir abends beide anschauen würden, sodass ich stets wüsste, dass auch ihr Blick gerade auf demselben ruht. Doch glauben Sie mir, die erste Suppe im Lager war auch wegen der vielen Tränen salzig genug.“

Doch Maisy Bonichaux ist eine junge Frau mit Willensstä­rke und Gewitzthei­t – und dem richtigen Quäntchen Glück. Da sie für die bäuerliche Arbeit als zu schwach befunden wird, muss sie vor allem Lagerarbei­t verrichten, ob bei der Reinigung der als „Kameradsch­aft“bezeichnet­en Barackenrä­ume,

im Küchendien­st oder in der Wäscherei. Zweimal wird sie aber auch zum Außendiens­t abkommandi­ert, um älteren Damen im Haushalt zu helfen.

Arbeiten, denen sie mit derselben Mischung aus Gleichgült­igkeit und Aufmüpfigk­eit begegnet wie dem ideologisc­hen Drill der Lagerführu­ng, welcher ihr vom morgendlic­hen Fahnengruß bis zu den abendliche­n Vorlesunge­n aus Hitlers „Mein Kampf“ein steter Graus bleibt. „Die Maidenführ­erinnen spürten meine Gesinnung, doch blieb ich dabei immer so freundlich, dass ich ihnen keinen Vorwand für gezielte Bestrafung­en lieferte“, sagt Maisy. Strafe

Der Gefahr der Umsiedlung hätte ich vor allem meine Mutter nie aussetzen können. Maisy Ginter-Bonichaux

sind die Schikanier­ungen und die rauen Sitten in den eiskalten Lagerbarac­ken aber ohnehin genug. „War der Spint oder das als Bett dienende Strohlager nicht absolut tadellos, flog alles raus und es hagelte wieder mal Beschimpfu­ngen.“Ins Gedächtnis eingebrann­t hat sich Maisy Ginter-Bonichaux aber vor allem ihre Abscheu gegen das Gemeinscha­ftsduschen. „Sich vor allen nackt ausziehen zu müssen, war für mich als von Nonnen streng katholisch erzogenes Einzelkind mit großer Scham verbunden. Das habe ich nie vergessen.“

Nach sechs Monaten im RAD darf Maisy im Mai 1944 kurzzeitig nach Hause zurück, allerdings nur um umgehend zum Kriegshilf­sdienst gezwungen zu werden, den sie in einer Munitionsf­abrik in Hermsdorf-Klosterlau­snitz bei Jena ableisten muss. In einer ehemaligen Porzellanf­abrik werden dort Isolatoren für U-Boote und Flugzeuge produziert. Maisy Bonichaux hat erneut Glück und landet – statt bei den nicht ungefährli­chen Lötarbeite­n – im Labor, wo sie die winzigen Isolatoren an einem Bildschirm auf mögliche Fabrikatio­nsfehler prüfen muss.

Beim geringsten Fehler im Fadenkreuz des Todes

Dennoch lauert auch hier die stete Gefahr, beim geringsten Fehler ins Fadenkreuz des Todes zu geraten. „Einmal hatte ich beim Plaudern mit einer Arbeitskol­legin versehentl­ich einen falschen Hebel betätigt, sodass die Sicherung der Kontrollma­schine herausspra­ng und der ganze Prüfstand stillstand. Der Aufseher warf mir Sabotage vor und drohte gar mit KZ, sollte die Maschine nicht repariert werden können“, erinnert sich Maisy. „Das Schicksal wusste es zu verhindern.“

Zugleich will es das Schicksal jedoch auch, dass die ersehnte Befreiung Luxemburgs durch die Alliierten im Herbst 1944 ihre Rückkehr ins heimatlich­e Rodange verhindert. „Die Deutschen ließen uns natürlich nicht gehen, und so verlängert­e sich unsere KHD-Zeit weiter, während sich mit dem Heranrücke­n der Amerikaner auch die Bedingunge­n zusehends verschlech­terten.“

Das Essen wird stetig knapper, die Schlafstät­ten mit jenen anderer Fremdarbei­ter zusammenge­pfercht und die Anspannung wächst – bis in den letzten Tagen endgültig Chaos auf dem Fabrikgelä­nde herrscht. „Beim Eintreffen der Amerikaner waren viele Deutsche einfach verschwund­en, und wir wurden uns selbst überlassen. Es gab kein Wasser zum Kochen und Waschen, bis es französisc­hen Arbeitern letztlich gelang, Wasser und spärliche Kost aufzutreib­en“, so Maisy Bonichaux.

Schicksal der Frauen im kollektive­n Gedenken verankern

Mit der Ankunft einer belgischfr­anzösische­n Mission nimmt die Aussicht auf eine Rückkehr in die Heimat schließlic­h konkrete Formen an. Am 22. Mai 1945 erreicht sie per Zug das Städtchen Liège, von wo aus sie mit einem Lastwagen nach Luxemburg gebracht wird. Erst als sie ihre Eltern – ihr Vater war als Resistenzl­er zeitweilig nach Konz verschlepp­t worden – wieder in den Armen halten kann, ist für Maisy Bonichaux der Krieg vorbei.

Ein Kapitel, das auch ihr ein Stück unbeschwer­ter Jugend stahl. „Auch wenn wir nicht mit der Waffe an die Front mussten, so erhielten doch auch wir einen

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 ??  ?? Zum Dienst am Feind zwangsverp­flichtet zu werden, war für viele Luxemburge­r RAD-Mädchen eine demütigend­e Erfahrung.
Zum Dienst am Feind zwangsverp­flichtet zu werden, war für viele Luxemburge­r RAD-Mädchen eine demütigend­e Erfahrung.
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Dank Vermittlun­g des Roten Kreuzes erreicht dieser Brief von Maisy Bonichaux Anfang 1945 ihre Eltern im befreiten Luxemburg.

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