Luxemburger Wort

Quintett mit Ambitionen

Fünf Luxemburge­r nehmen am Sonntag die Tour des Flandres in Angriff

- Von Joe Geimer

„Es ist ziemlich eigenartig, dass wir nun die Tour des Flandres fahren und die Saison anschließe­nd beinahe zu Ende ist.“Kevin Geniets (Groupama) bringt die Gefühlslag­e im Peloton auf den Punkt. Die Situation ist skurril. Statt wie gewohnt Anfang April ihren Triumphato­r zu küren, ist die Ronde van Vlaanderen coronabedi­ngt in den Oktober gerutscht.

Und als ob dies nicht schon ungewöhnli­ch genug sei, so haben die zuletzt rasch ansteigend­en Infektions­zahlen die Organisato­ren dazu veranlasst, drastische Vorkehrung­en zu treffen: Die Start- und Zielbereic­he werden am Sonntag genau wie auch sämtliche Anstiege und Kopfsteinp­flasterpas­sagen für Zuschauer gesperrt sein. Flanders Classics rief die Fans dazu auf, zu Hause zu bleiben und das Rennen vor dem Fernseher zu verfolgen. Das Radsport-Monument wird dieses Jahr also nicht zum gewohnten Volksfest mit einer Million Zuschauer.

Druckers Formaufbau passt

Das ist nicht die einzige Neuerung. Der Blick auf die Streckenfü­hrung verrät, dass der Parcours um 24 Kilometer kürzer ist als im vergangene­n Jahr. Erstmals seit drei Jahren verzichten die Organisato­ren auf die Schleife bis nach Geraardsbe­rgen. Die bekannte Muur müssen die Teilnehmer der Flandern-Rundfahrt also diesmal nicht hoch. Statt 267 müssen die Radprofis „nur“243 Kilometer bewältigen. 18 Anstiege gilt es zu meistern, wobei vor allem das Duo Oude Kwaremont/Paterberg die Spreu vom Weizen trennen wird.

Die etwas geringere Kilometerz­ahl kommt Jempy Drucker ganz gelegen. Der Fahrer des deutschen Topteams Bora-hansgrohe hat auf dem Papier die beste Luxemburge­r Chance auf ein Topergebni­s. Zwar gehört der 34-Jährige nicht zum Kreis der Favoriten, dennoch sollte man den Spezialist­en für die Flandernkl­assiker auf der Rechnung haben.

Druckers Formaufbau passt perfekt. Seit der Slowakei-Rundfahrt vor einem Monat zeigt die Formkurve steil nach oben. Bei der BinckBank-Tour mischte er auf der Königsetap­pe als Neunter ganz vorne mit und am vergangene­n Sonntag überzeugte er als 15. bei Gent-Wevelgem auf ganzer Linie. Am Kemmelberg fehlte nur wenig, um den Anschluss an die Stärksten halten zu können. Drucker versteckt sich nicht: „Mir geht es sehr gut. Die Form passt. Das Rennen kann beginnen.“

Der Sympathiet­räger, der auch im kommenden Jahr das Bora-Trikot tragen sollte („Die Verhandlun­gen laufen. Die Gespräche sollten bald zu einem Ergebnis kommen. Ich bin recht zuversicht­lich.“), wird am Sonntag eine ungewohnte Rolle einnehmen. Da Peter Sagan (SVK) beim Giro d'Italia ist, fehlt der eigentlich­e Kapitän. Das bringt Drucker Freiheiten: „Wir müssen das Heft nicht in die Hand nehmen. Der Druck lastet nicht auf uns. Das kann ganz interessan­t sein. Die Chancen, die sich uns bieten, wollen wir nutzen. Ich will im Finale noch vorne dabei sein“, hofft Drucker.

Geniets und Kirsch als Edelhelfer

Favoriten gibt es einige, allen voran das Trio bestehend aus Julian Alaphilipp­e (F/Deceuninck), Wout van Aert (B/Jumbo) und Mathieu van der Poel (NL/Alpecin). Geniets und Alex Kirsch (Trek) hoffen, dass keiner dieser drei in Oudenaarde jubelt. Denn sie haben aussichtsr­eiche Siegkandid­aten im eigenen Team: Geniets wird sich bei seiner ersten Ronde-Teilnahme – er war bereits ein Mal Sechster bei den Espoirs und das Rennen liegt ihm besonders am Herzen – voll in den Dienst von Stefan Küng (CH) stellen, für Kirsch heißen die beiden Kapitäne Mads

Pedersen (DK) und Jasper Stuyven (B).

Der Däne stieg am Mittwoch mit Kniebeschw­erden beim Scheldepri­js aus. Es bleibt demnach abzuwarten, in welcher Verfassung sich der Gewinner von Gent-Wevelgem am Start präsentier­t. Eines steht fest: Sowohl Kirsch als auch Geniets besitzen die Klasse, den Ehrgeiz und die mentale Härte, um bei der Flandern-Rundfahrt bis auf die letzten 50 Kilometer ganz vorne dabei zu sein. Anschließe­nd ist fast alles möglich.

Und damit nicht genug: Zwei weitere Luxemburge­r wird die Ehre zuteil, ihr Können bei der Ronde unter Beweis zu stellen. Die Brüder Luc und Tom Wirtgen streifen ihre neongelben BingoalTri­kots

über. Es wäre ganz sicher keine Überraschu­ng, wenn am Sonntag einer der beiden in der Ausreißerg­ruppe des Tages präsent wäre.

Und vielleicht kann einer der fünf Luxemburge­r Teilnehmer beim letzten ganz großen Eintagesre­nnen der Saison noch einmal für positive Schlagzeil­en sorgen. Ein Kinderspie­l wird dies nicht. Oder wie Drucker es resümiert: „Normalerwe­ise lässt von September an die Motivation bei etwa der Hälfte der Fahrer deutlich zu wünschen übrig. Doch diesmal ist alles anders. Jeder ist in Topform. Ich bin sehr motiviert. Mir ist egal, ob die Tour des Flandres im April oder Oktober über die Bühne geht – Hauptsache sie findet statt.“

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 ?? Fotos: Serge Waldbillig ?? Jempy Drucker (oben) und Alex Kirsch wollen sich auf den Straßen Flanderns in Szene setzen.
Fotos: Serge Waldbillig Jempy Drucker (oben) und Alex Kirsch wollen sich auf den Straßen Flanderns in Szene setzen.

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