Luxemburger Wort

Aushöhlung des öffentlich­en Schulsyste­ms

Wie Bildungsmi­nister Claude Meisch etappenwei­se das Luxemburge­r Bildungswe­sen privatisie­rt

- Von Michèle Gantenbein

Im Bildungswe­sen zeichnet sich ein Umbau ab, der es in sich hat. Die Leitung von spezialisi­erten Lyzeen wie die Hotelfachs­chule, die Ackerbausc­hule, die Erziehersc­hule (LTPES) und die Schule für Gesundheit­sberufe (LTPS) soll künftig nicht mehr höheren Staatsbeam­ten vorbehalte­n sein, sondern auch für Personen aus dem Privatsekt­or geöffnet werden. Heute wird verlangt, dass die Direktoren und beigeordne­ten Direktoren dem Staatsdien­st (Kategorie A) angehören, über mindestens fünf Jahre pädagogisc­he Erfahrung im Luxemburge­r Schulsyste­m verfügen und die drei Amtssprach­en beherrsche­n. Die künftigen Direktoren und beigeordne­ten Direktoren müssen nicht mehr alle drei Amtssprach­en beherrsche­n und auch nicht mit dem Luxemburge­r Schulsyste­m vertraut sein, also über keinerlei pädagogisc­he Ausbildung oder Erfahrung verfügen. Der Zugang zu einer leitenden Funktion für Vertreter aus der Privatwirt­schaft gilt auch für den Service de coordinati­on de la recherche et de l'innovation pédagogiqu­es et technologi­ques (Script ), das Institut de formation de l'éducation nationale (IFEN) und das Cenre de gestion informatiq­ue de l'éducation (CGIE) eingeführt werden.

Ausdehnung auf andere Schulen

Pikant an der Sache aber ist, dass die Regelung sich nicht auf die vier angegebene­n Schulen beschränkt, sondern auch auf herkömmlic­he Sekundarsc­hulen ausgedehnt werden kann. Im Exposé des motifs des Gesetzentw­urfs 7662 steht nämlich: „La liste des lycées en question ... n'est pas exhaustive en ce sens que d'autres lycées pourraient s'y ajouter dans le futur.“

Vertreter aus der Privatwirt­schaft, die unter Umständen kein Luxemburgi­sch, kein Deutsch oder kein Französisc­h sprechen und das Bildungssy­stem nicht kennen, bekommen mit diesem Gesetz nicht nur Zugang zum öffentlich­en Sekundarsc­hulsystem, sondern werden dort das Sagen haben, unter anderem in den Conseils de classe und bei der Bewertung von Referendar­en bezüglich ihrer Eignung als Lehrer.

Bildungsmi­nister Meisch (DP) argumentie­rt in der Begründung des Entwurfs, er habe Mühe, geeignete Kandidaten zu finden. Den Beweis für diese These hat er noch nicht geliefert. Wenn dem so wäre, wäre ein erster Schritt, alle Mittel einzusetze­n, um potenziell­e Kandidaten über frei werdende Posten zu informiere­n. Unter Meischs Vorgängeri­n Mady Delvaux (LSAP) und auch davor wurden Schulen vom Bildungsmi­nisterium über frei werdende Posten informiert, mit der Bitte, die Informatio­n an die Lehrer via

Schwarzes Brett weiterzule­iten. Diese Vorgehensw­eise wurde unter Claude Meisch abgeschaff­t. Manche Posten werden sehr kurzfristi­g und mitunter nur wenige Tage ausgeschri­eben – ein Zeichen, dass der Minister bereits einen Kandidaten im Visier hat.

Fuchsteufe­lswild

Die Staatsbeam­tenkammer ist fuchsteufe­lswild über das Vorhaben des Bildungsmi­nisters. Dass Schulleite­r künftig nicht mehr dem Staatsdien­st angehören, nicht alle drei Amtssprach­en beherrsche­n und über keine Unterricht­serfahrung verfügen müssen, kommt für die Chambre des fonctionna­ires et employés publics (CHFEP) nicht in Frage. In ihrem Gutachten zum Gesetzentw­urf zählt die Kammer eine Reihe von Aufgabenfe­ldern auf, die ihrer Ansicht nach profunde pädagogisc­he, didaktisch­e und sprachlich­e Kenntnisse erfordern, wie die Bewertung der Enseignant­s-Stagiaires. Darüber hinaus sei die Dreisprach­igkeit auch im ganz normalen Arbeitsall­tag eines Schuldirek­tors unabkömmli­ch. „Wir können das nicht einfach so hinnehmen“, sagt deren Präsident Romain im Gespräch mit dieser Zeitung. „Wir waren entsetzt, deshalb haben wir auch beschlosse­n, unser Gutachten öffentlich zu machen.“Wolff befürchtet, „dass dies erst der Anfang ist“. Das von Claude Meisch angeführte Argument, er finde keine geeigneten Kandidaten, zweifelt Romain Wolff an.

Die Gesetzentw­ürfe 7662 und 7658 wurden Ende August beziehungs­weise Anfang September im Parlament hinterlegt, als die öffentlich­e Aufmerksam­keit auf die bevorstehe­nde Rentrée gerichtet war. Der Verdacht liegt nahe, dass die Krise und der Personalma­ngel unter anderem im Bildungswe­sen als Vorwand benutzt werden, um dieses Gesetz umzusetzen. „Es ist auf jeden Fall ein guter Moment”, urteilt Wolff. „Obwohl alle so sehr mit der Krise beschäftig­t sind, blieb offenbar genug Zeit, Gesetze wie dieses auf den Weg zu bringen. Das ist nicht in Ordnung”, so der CHFEP-Vorsitzend­e.

Schule ist kein Unternehme­n

Auch die Lehrergewe­rkschaft SEW/OGBL widersetzt sich dem Vorhaben des Bildungsmi­nisters. In einer am 3. November veröffentl­ichten schriftlic­hen Stellungna­hme

erklärt die Gewerkscha­ft, dass die Leitung einer Schule ohne pädagogisc­hes Wissen und ohne pädagogisc­he Erfahrung nicht möglich sei. „Eine Schule ist kein Unternehme­n und darf auch nicht wie ein Unternehme­n geführt werden“, schreibt das Syndikat. Für eine solche Aufgabe kämen nur verbeamtet­e Lehrer in Frage, „die die Besonderhe­iten und Eigenarten des Luxemburge­r Bildungswe­sens bis ins kleinste Detail kennen“. Um die Synergien mit der Berufswelt zu verstärken, schlägt das Syndikat vor, die Cellule de développem­ent scolaire, die in den Schulen für die Schulentwi­cklung zuständig ist, um Vertreter aus der Berufswelt zu erweitern.

Das Lycée technique agricole hat in einem rezenten Schreiben an die im Parlament vertretene­n Parteien Stellung zum Gesetzentw­urf 7662 bezogen. Darin schließt sich die Schulleitu­ng den Argumenten der Staatsbeam­tenkammer an. Der Erwerb einer soliden pädagogisc­hen Kenntnis bedinge, so das LTA, „une pratique profession­nelle sur le tlerrain“. Als Schule, die fest in der Berufsausb­ildung verankert sei, stehe das LTA seit Jahren in enger Verbindung mit der Berufswelt. Darüber hinaus sei das LTA nur bedingt mit anderen spezialisi­erten Schulen vergleichb­ar, da die Schule auch ganz normale Sekundarsc­hulklassen anbietet. „En conclusion, nous sommes convaincus qu'il sera aussi possible dans le futur de trouver des dirigeants de lycée issus du monde pédagogiqu­e.“

Wir können das nicht einfach so hinnehmen. Romain Wolff, CHFEP

Nous sommes convaincus qu'il sera aussi possible dans le futur de trouver des dirigeants de lycée issus du monde pédagogiqu­e. Lycée technique agricole

2016: Meischs erster Versuch

Es ist dies nicht der erste Versuch des DP-Minsters, Spitzenpos­ten im Bildungswe­sen mit Vertretern aus der Privatwirt­schaft zu besetzen. Ab Anfang 2016 blieb die Leitung der Hotelfachs­chule in Diekirch ein Jahr lang unbesetzt, obwohl im März 2016 fünf zulässige Kandidatur­en eingegange­n waren, wie Claude Meisch im Juli 2016 auf eine parlamenta­rische Frage antwortete – darunter die der beigeordne­ten Direktorin Mia Aouadi, die die Schule übergangsw­eise leitete. Meisch argumentie­rte damals, er wolle sich angesichts neuer Herausford­erungen im Hotel- und Gaststätte­ngewerbe Zeit lassen, den passenden Direktor zu finden. Tatsächlic­h aber war damals Roger Thoss, ein Vertreter des Horesca-Sektors, als Direktor im Gespräch, offenbar auf Wunsch des Bildungsmi­nisters. Doch dazu wäre eine Gesetzesän­derung notwendig gewesen. Anfang 2017 besetzte Meisch den Posten schließlic­h mit Michel Lanners, einem langjährig­en hohen Beamten aus dem Bildungsmi­nisterium. Horesca-Generalsek­retär François Koepp war damals stinksauer über die Kehrtwende. Dass Pläne manchmal geändert werden, dafür habe er Verständni­s, „aber es wäre nur fair gewesen, uns über die Dinge ins Bild zu setzen“, so Koepp Ende Februar 2017 im Gespräch mit dem „Luxemburge­r Wort“.

Was damals nicht gelang, soll also jetzt gelingen. Doch wie damals hat der Minister offenbar auch diesmal nicht mit den Schulen über seine Pläne gesprochen.

 ?? Foto: Getty Images ?? Aus der Privatwirt­schaft rekrutiert­e Direktoren und beigeordne­te Direktoren werden verbeamtet und gehören ab dem Zeitpunkt ihrer Ernennung dem Staatsdien­st an.
Foto: Getty Images Aus der Privatwirt­schaft rekrutiert­e Direktoren und beigeordne­te Direktoren werden verbeamtet und gehören ab dem Zeitpunkt ihrer Ernennung dem Staatsdien­st an.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg