Aushöhlung des öffentlichen Schulsystems
Wie Bildungsminister Claude Meisch etappenweise das Luxemburger Bildungswesen privatisiert
Im Bildungswesen zeichnet sich ein Umbau ab, der es in sich hat. Die Leitung von spezialisierten Lyzeen wie die Hotelfachschule, die Ackerbauschule, die Erzieherschule (LTPES) und die Schule für Gesundheitsberufe (LTPS) soll künftig nicht mehr höheren Staatsbeamten vorbehalten sein, sondern auch für Personen aus dem Privatsektor geöffnet werden. Heute wird verlangt, dass die Direktoren und beigeordneten Direktoren dem Staatsdienst (Kategorie A) angehören, über mindestens fünf Jahre pädagogische Erfahrung im Luxemburger Schulsystem verfügen und die drei Amtssprachen beherrschen. Die künftigen Direktoren und beigeordneten Direktoren müssen nicht mehr alle drei Amtssprachen beherrschen und auch nicht mit dem Luxemburger Schulsystem vertraut sein, also über keinerlei pädagogische Ausbildung oder Erfahrung verfügen. Der Zugang zu einer leitenden Funktion für Vertreter aus der Privatwirtschaft gilt auch für den Service de coordination de la recherche et de l'innovation pédagogiques et technologiques (Script ), das Institut de formation de l'éducation nationale (IFEN) und das Cenre de gestion informatique de l'éducation (CGIE) eingeführt werden.
Ausdehnung auf andere Schulen
Pikant an der Sache aber ist, dass die Regelung sich nicht auf die vier angegebenen Schulen beschränkt, sondern auch auf herkömmliche Sekundarschulen ausgedehnt werden kann. Im Exposé des motifs des Gesetzentwurfs 7662 steht nämlich: „La liste des lycées en question ... n'est pas exhaustive en ce sens que d'autres lycées pourraient s'y ajouter dans le futur.“
Vertreter aus der Privatwirtschaft, die unter Umständen kein Luxemburgisch, kein Deutsch oder kein Französisch sprechen und das Bildungssystem nicht kennen, bekommen mit diesem Gesetz nicht nur Zugang zum öffentlichen Sekundarschulsystem, sondern werden dort das Sagen haben, unter anderem in den Conseils de classe und bei der Bewertung von Referendaren bezüglich ihrer Eignung als Lehrer.
Bildungsminister Meisch (DP) argumentiert in der Begründung des Entwurfs, er habe Mühe, geeignete Kandidaten zu finden. Den Beweis für diese These hat er noch nicht geliefert. Wenn dem so wäre, wäre ein erster Schritt, alle Mittel einzusetzen, um potenzielle Kandidaten über frei werdende Posten zu informieren. Unter Meischs Vorgängerin Mady Delvaux (LSAP) und auch davor wurden Schulen vom Bildungsministerium über frei werdende Posten informiert, mit der Bitte, die Information an die Lehrer via
Schwarzes Brett weiterzuleiten. Diese Vorgehensweise wurde unter Claude Meisch abgeschafft. Manche Posten werden sehr kurzfristig und mitunter nur wenige Tage ausgeschrieben – ein Zeichen, dass der Minister bereits einen Kandidaten im Visier hat.
Fuchsteufelswild
Die Staatsbeamtenkammer ist fuchsteufelswild über das Vorhaben des Bildungsministers. Dass Schulleiter künftig nicht mehr dem Staatsdienst angehören, nicht alle drei Amtssprachen beherrschen und über keine Unterrichtserfahrung verfügen müssen, kommt für die Chambre des fonctionnaires et employés publics (CHFEP) nicht in Frage. In ihrem Gutachten zum Gesetzentwurf zählt die Kammer eine Reihe von Aufgabenfeldern auf, die ihrer Ansicht nach profunde pädagogische, didaktische und sprachliche Kenntnisse erfordern, wie die Bewertung der Enseignants-Stagiaires. Darüber hinaus sei die Dreisprachigkeit auch im ganz normalen Arbeitsalltag eines Schuldirektors unabkömmlich. „Wir können das nicht einfach so hinnehmen“, sagt deren Präsident Romain im Gespräch mit dieser Zeitung. „Wir waren entsetzt, deshalb haben wir auch beschlossen, unser Gutachten öffentlich zu machen.“Wolff befürchtet, „dass dies erst der Anfang ist“. Das von Claude Meisch angeführte Argument, er finde keine geeigneten Kandidaten, zweifelt Romain Wolff an.
Die Gesetzentwürfe 7662 und 7658 wurden Ende August beziehungsweise Anfang September im Parlament hinterlegt, als die öffentliche Aufmerksamkeit auf die bevorstehende Rentrée gerichtet war. Der Verdacht liegt nahe, dass die Krise und der Personalmangel unter anderem im Bildungswesen als Vorwand benutzt werden, um dieses Gesetz umzusetzen. „Es ist auf jeden Fall ein guter Moment”, urteilt Wolff. „Obwohl alle so sehr mit der Krise beschäftigt sind, blieb offenbar genug Zeit, Gesetze wie dieses auf den Weg zu bringen. Das ist nicht in Ordnung”, so der CHFEP-Vorsitzende.
Schule ist kein Unternehmen
Auch die Lehrergewerkschaft SEW/OGBL widersetzt sich dem Vorhaben des Bildungsministers. In einer am 3. November veröffentlichten schriftlichen Stellungnahme
erklärt die Gewerkschaft, dass die Leitung einer Schule ohne pädagogisches Wissen und ohne pädagogische Erfahrung nicht möglich sei. „Eine Schule ist kein Unternehmen und darf auch nicht wie ein Unternehmen geführt werden“, schreibt das Syndikat. Für eine solche Aufgabe kämen nur verbeamtete Lehrer in Frage, „die die Besonderheiten und Eigenarten des Luxemburger Bildungswesens bis ins kleinste Detail kennen“. Um die Synergien mit der Berufswelt zu verstärken, schlägt das Syndikat vor, die Cellule de développement scolaire, die in den Schulen für die Schulentwicklung zuständig ist, um Vertreter aus der Berufswelt zu erweitern.
Das Lycée technique agricole hat in einem rezenten Schreiben an die im Parlament vertretenen Parteien Stellung zum Gesetzentwurf 7662 bezogen. Darin schließt sich die Schulleitung den Argumenten der Staatsbeamtenkammer an. Der Erwerb einer soliden pädagogischen Kenntnis bedinge, so das LTA, „une pratique professionnelle sur le tlerrain“. Als Schule, die fest in der Berufsausbildung verankert sei, stehe das LTA seit Jahren in enger Verbindung mit der Berufswelt. Darüber hinaus sei das LTA nur bedingt mit anderen spezialisierten Schulen vergleichbar, da die Schule auch ganz normale Sekundarschulklassen anbietet. „En conclusion, nous sommes convaincus qu'il sera aussi possible dans le futur de trouver des dirigeants de lycée issus du monde pédagogique.“
Wir können das nicht einfach so hinnehmen. Romain Wolff, CHFEP
Nous sommes convaincus qu'il sera aussi possible dans le futur de trouver des dirigeants de lycée issus du monde pédagogique. Lycée technique agricole
2016: Meischs erster Versuch
Es ist dies nicht der erste Versuch des DP-Minsters, Spitzenposten im Bildungswesen mit Vertretern aus der Privatwirtschaft zu besetzen. Ab Anfang 2016 blieb die Leitung der Hotelfachschule in Diekirch ein Jahr lang unbesetzt, obwohl im März 2016 fünf zulässige Kandidaturen eingegangen waren, wie Claude Meisch im Juli 2016 auf eine parlamentarische Frage antwortete – darunter die der beigeordneten Direktorin Mia Aouadi, die die Schule übergangsweise leitete. Meisch argumentierte damals, er wolle sich angesichts neuer Herausforderungen im Hotel- und Gaststättengewerbe Zeit lassen, den passenden Direktor zu finden. Tatsächlich aber war damals Roger Thoss, ein Vertreter des Horesca-Sektors, als Direktor im Gespräch, offenbar auf Wunsch des Bildungsministers. Doch dazu wäre eine Gesetzesänderung notwendig gewesen. Anfang 2017 besetzte Meisch den Posten schließlich mit Michel Lanners, einem langjährigen hohen Beamten aus dem Bildungsministerium. Horesca-Generalsekretär François Koepp war damals stinksauer über die Kehrtwende. Dass Pläne manchmal geändert werden, dafür habe er Verständnis, „aber es wäre nur fair gewesen, uns über die Dinge ins Bild zu setzen“, so Koepp Ende Februar 2017 im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“.
Was damals nicht gelang, soll also jetzt gelingen. Doch wie damals hat der Minister offenbar auch diesmal nicht mit den Schulen über seine Pläne gesprochen.