Hoffnung und Zorn
Ein deutsches Start-up verheißt Durchbruch in Sachen Corona-Impfung
Donald Trump hat es natürlich gewusst. „Ich habe es schon lange gesagt“, twittert er um zwanzig vor zwei in der Nacht deutscher Zeit, „Pfizer und andere werden einen Impfstoff erst nach der Wahl ankündigen, weil sie nicht den Mut hatten, es vorher zu tun.“Und dann legt er drei Minuten später nach: „Die FDA und die Demokraten haben mir keinen Impfstoff-SIEG gegönnt…!“Die FDA ist die US-Arneimittelbehörde.
Tatsächlich hatte der US-Präsident umso lauter ein Vakzin gegen das Sars-CoV-2-Virus versprochen, je näher der Wahltag kam und je stabiler die Umfragen ihm den Auszug aus dem Weißen Haus ankündigten. Und nun hat ein deutsches Startup den formal mächtigsten Mann der Welt vorgeführt: Das Mainzer Unternehmen Biontech – im Verein mit dem Pharma-Riesen Pfizer aus Trumps Heimatstadt New York. Am Montag melden die beiden Firmen, ihr Impfstoff „BNT162b2“übertreffe alle Erwartungen, sei zu 90 Prozent wirksam.
Sie planten bereits kommende Woche, seine Zulassung bei der FDA zu beantragen.
Außer der „Bild“-Zeitung – die mit Heintje „um seine Mama“weint – haben alle überregionalen deutschen Zeitungen das am Dienstag ganz oben auf Seite 1. Die linksalternative „taz“titelt, ungewohnt martialisch, „Feuer frei“– das wirtschaftsorientierte „Handelsblatt“schreibt von einer „Impfstoff-Rally“. Den Kontrapunkt setzt Berlins jüngstes, rein digitales Medienprodukt „The Pioneer“: Es titelt „CureVac vor dem Durchbruch“. Und schreibt dann nicht von Hoffnungen, sondern von Geld: Den bereits erfolgten und noch erwarteten Kurssprüngen der diversen Impfstoff-Entwickler-Aktien.
Auch Tübinger CureVac legt nach Der Tübinger Biopharma-Gesellschaft CureVac hatte Trump im März die Exklusivrechte an ihrem Vakzin abhandeln wollen. „Keine Option“, hatte Mehrheitseigner Dietmar Hopp, Mitbegründer des Softwarekonzerns SAP, erklärt. Kurz danach war die Bundesregierung mit 300 Millionen Euro bei
CureVac eingestiegen. Einen Tag nach Biontech/Pfizer geben die Tübinger bekannt, ihr Impfstoff „CVnCoV“habe sich in Studienphase 1 als „gut verträglich“erwiesen „und hohe bindende und neutralisierende Antikörperlevel induziert“.
Ob ganz Deutschland aufatmet, wie manche Kommentatoren glauben, ist nicht heraus. Es gibt ja auch Corona-Leugner und Impfgegner; man hat bei der „Querdenken“Demonstration in Leipzig am Samstag einen Eindruck davon bekommen, was sie von der Pandemie halten. Ganz sicher kommen die Nachrichten aus Mainz und Tübingen im Berliner Regierungsviertel blendend an. Dort nimmt man Covid-19 bitterernst.
Und man braucht gute Nachrichten. Leipzig war keine. Der latent schwelende und immer wieder neu aufflammende Streit über die von der Politik verfügten Einschränkungen, die immer wieder neue Kollision von Grundrechten: Wenn Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) am frühen Nachmittag „bemerkenswerte Studiendaten“von Biontech/Pfizer preist, dann zeugt das vor allem von Druck. Und von sehr großer Hoffnung. Am Vormittag hat das bei Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nicht viel anders geklungen. Eigentlich will er von einer neuen Zusammenarbeit der Bundesregierung mit dem Internet-Riesen Google reden, die Ratsuchende in Sachen Gesundheit rascher und gezielter auf die Seiten des Ministeriums lenkt. Aber dann geht es vor allem um das Impfstoff-Thema. Und die Frage, weshalb Deutschland ausgerechnet mit Biontec/Pfizer noch keinen Liefervertrag hat.
EU verhandelt über Impfstoffe
Es ist da eine Paradevorführung des Stücks Zwei-Herzen-ach-inmeiner-Brust zu betrachten. Einerseits findet Spahn durchaus, dass ein deutsches Forschungsergebnis zuerst Deutschland zugute kommen muss. Andererseits hat sich die EU – nach dem Jeder-machtSeins-Debakel im Frühling – Solidarität und Fairness gelobt. Und die Impfstoff-Verhandlungen für alle 27 der EU-Kommission übertragen. Die ist, anders als mit anderen, mit Biontech/Pfizer aber noch nicht einig. Das „Bild“-Mutterhaus Springer ist gerade dabei, das zum Skandal hochzujazzen.
„Wir werden“, verheißt Spahn. „zügig zu einem Abschluss kommen.“Das ist kein Risiko, das hat am Morgen auch schon Manfred Weber gesagt, Fraktionschef der EVP. Und tatsächlich folgt die Bestätigung aus Brüssel fast binnen Stundenfrist. 200 bis 300 Millionen Impfdosen. Macht für Deutschland maximal 56 Millionen.
„Weltspitze!“, lobt Nicolas Schmit. Und „ein Startup aus Mainz!“. Der Luxemburger Beschäftigungskommissar ist zu Gast in Berlin – und sagt, was nicht nur Ministerin Karliczek neben ihm gerne hört. CNN preist die wundervolle Geschichte aus Germany in etwa demselben Ton wie am Morgen „Bild“: Dass da zwei türkische Migrantenkinder – die Biontech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci, ein Ehepaar – jetzt vielleicht die Welt vor der Pandemie retten. „Bild“hat außerdem noch breit davon geschrieben, dass Sahin nun Milliardär sei – und einer der hundert reichsten Deutschen.
Eigentlich eine Geschichte, die Donald Trump sehr gefallen müsste.