EU-Außengrenzen besser schützen
Deutschland, Frankreich und Österreich setzen auf Zusammenarbeit gegen die islamistische Bedrohung
Mit der Neugier eines frisch amtierenden Bundeskanzlers war Sebastian Kurz im Januar 2018 zu seinem ersten Auslandsbesuch nach Paris gereist. Fast drei Jahre später war der 34-Jährige am Dienstag wieder in der französischen Hauptstadt – diesmal allerdings unter ganz anderen Vorzeichen.
Seit dem Anschlag vor gut einer Woche in Wien sucht Österreich bei seinen europäischen Partnern Unterstützung im Kampf gegen den Islamismus. Präsident Emmanuel Macron hatte deshalb zu einem Mini-Gipfel geladen, an dem neben Kurz auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der niederländische Premierminister Mark Rutte per Videokonferenz teilnahmen.
Frankreich ist das europäische Land, das in den vergangenen Jahren am schwersten von islamistischen Anschlägen getroffen wurde. Zuletzt wurden Ende Oktober in einer Kirche in Nice drei Gläubige von einem 21-jährigen Tunesier mit dem Messer erstochen.
Gegen Schlupfwinkel im Internet „Das Attentat von Nice hat deutliche Missstände offen gelegt“, räumte Macron bei der gemeinsamen Pressekonferenz ohne Umschweife ein. Der Attentäter war als Flüchtling nach Italien gekommen und trotz eines Ausweisungsbescheids nach Frankreich weitergereist. „Wir müssen den Schengenraum grundsätzlich überarbeiten“, forderte der Präsident deshalb.
Merkel verwies auf das von der EU für 2022 geplante System, das die Reisebewegungen von Drittstaatsangehörigen wie dem Attentäter von Nice an den Außengrenzen des Schengenraums erfasst.
Man müsse wissen, wer in den Schengenraum einreise, forderte auch sie. Die Bundeskanzlerin versprach, dass noch unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft in diesem Jahr die Verordnung zu terroristischen Inhalten im Internet fertiggestellt werden solle.
Das Problem der Radikalisierung im Internet hatte sich zuletzt bei der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty im Pariser Vorort Conflans Sainte-Honorine gezeigt.
Der Attentäter Abdullah A. war durch das aggressive Video des Vaters einer Schülerin auf Paty aufmerksam geworden. „Das Internet darf kein Schlupfwinkel sein für diejenigen, die gegen unsere Werte kämpfen“, appellierte Macron. Schon innerhalb einer Stunde müssten gefährliche Inhalte gelöscht werden können.
Kurz forderte vor allem eine Strategie gegen die Islamisten, die derzeit noch im Gefängnis sitzen und in den kommenden Monaten oder Jahren freikommen. „Wenn wir unsere Freiheit schützen wollen, müssen wir deren Freiheit einschränken“, sagte der Bundeskanzler.
Der Attentäter von Wien, der vor einer Woche vier Menschen erschoss, war ein ehemaliger Häftling. Weil er versucht hatte, zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS) zu stoßen, war er in Österreich zu 22 Monaten Haft verurteilt worden, kam aber vorzeitig frei. Auch der Syrer, der Anfang Oktober in Dresden ein homosexuelles Paar niedergestochen hatte, hatte als IS-Sympathisant im Gefängnis gesessen.
Es gehe nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Islam und Christentum, versicherte Merkel. „Sondern es geht darum, dass das demokratische Gesellschaftsmodell sich mit antidemokratischem Verhalten auseinandersetzen muss.“Sie verwies auf den Dialog mit muslimischen Vertretern wie ihn Deutschland in der Islamkonferenz pflege.
Imame in Europa ausbilden
EU-Ratspräsident Charles Michel, der ebenso wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an dem Gipfeltreffen teilnahm, hatte bei einem Besuch in Wien am Montag eine europäische Ausbildungsstätte für Imame vorgeschlagen. Die französische Regierung kündigte bereits an, die Imam-Ausbildung stärker zu strukturieren. Ein entsprechendes Gesetz, das sich mit der Bekämpfung des islamistischen Separatismus befasst, will Macron im Dezember vorstellen.
In Frankreich starben mehr als 250 Menschen in den vergangenen fünf Jahren bei islamistischen Anschlägen. Allein bei den Attentaten auf den Konzertsaal Bataclan und mehrere Pariser Cafés, die sich am Freitag zum fünften Mal jähren, kamen 130 Menschen ums Leben.
Wir müssen den Schengenraum grundsätzlich überarbeiten. Präsident Emmanuel Macron