Corona-Lage in Nordeuropa spitzt sich zu
Mutiertes Virus in Dänemark, Lockdown in Oslo, härtere Restriktionen in Schweden
Besonders dramatisch ist die Lage in Dänemark, wo die Entdeckung eines mutierten Virus bei Nerzen in Pelztierfarmen Experten aufgeschreckt hat. Denn das Virus kann vom Tier auf den Menschen übertragen werden. Insgesamt haben sich in Dänemark bislang schon 214 Menschen an den fünf entdeckten Mutationen infiziert. Zwölf von ihnen an der nach Meinung von Virologen gefährlichsten Mutation „Cluster 5“. Die Befürchtung, ein mutiertes Virus könnte einen Impfstoff unwirksam oder zumindest weniger effektiv machen, ist groß. „Dänemark könnte ein neues Wuhan werden“, warnte denn auch der Mikrobiologe Hans Jørn Kolmos in der dänischen Lokalzeitung „Jydske Vestkysten“.
Um das zu verhindern, hat die dänische Regierung drastische Maßnahmen beschlossen: Alle rund 16 Millionen Nerze in den 1 100 Pelztierfarmen sollen getötet werden. Dänemark ist der größte Nerzfellexporteur der Welt. Gleichzeitig beschloss die Regierung einen lokalen Lockdown in Nordjütland, wo die meisten der Farmen stehen. Dazu gehören der erneute Fernunterricht für Schüler ab der fünften Klasse ebenso wie die Einstellung des öffentlichen Nahverkehrs und der Schließung von Kneipen, Restaurants, Fitnessstudios, Schwimmbädern und Sporthallen.
Noch keine Mutationen in Schweden nachgewiesen
Auch in Schweden sind einzelne Fälle von Corona-infizierten Nerzen bekanntgeworden. Allerdings konnten bisher keine Mutationen des Virus nachgewiesen werden. Da die Häutung der Tiere in diesem Monat sowieso stattfinden soll, sind keine außerplanmäßigen Tötungen der Nerze vorgesehen.
Dagegen bereiten die in den vergangenen Tagen deutlich angestiegenen Infektionszahlen Sorgen bei schwedischen Experten. „Wir verlieren die Kontrolle“. Björn Eriksson
klang beinahe verzweifelt, als er sich vergangene Woche noch einmal an seine Landsleute wandte. Ericsson ist verantwortlich für das Gesundheitswesen in der schwedischen Hauptstadt Stockholm, also dort, wo die Zahl der Coronainfektionen in den vergangenen zwei Wochen wieder in die Höhe geschnellt sind.
Schweden hat im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern vor allem auf Empfehlungen und Freiwilligkeit gesetzt. Allerdings scheint diese oft als Sonderweg beschriebene Strategie an ihre Grenzen
gestoßen zu sein. Anfang dieser Woche war jeder fünfte getestete Stockholmer positiv – mehr als eine Verdoppelung gegenüber der Vorwoche. Besonders besorgniserregend ist, dass sich das Virus erneut in Alters- und Pflegeheimen verbreitet hat. Als die meisten Ländern
im vergangenen Monat erneut Corona-bedingte Restriktionen erließen, entschied die schwedische Gesundheitsbehörde, dass das seit Frühjahr geltende Besuchsverbot in den Heimen aufgehoben wird. Man könne den Pflegebedürftigen eine noch länger andauernde Isolation nicht zumuten, hieß es. „Ich verstehe die schwedische Methode nicht“, kritisierte der Schweizer Epidemiologe und Chef des Institute of Global Health, Antoine Flahault, den Beschluss, das Besuchsverbot zu einem Zeitpunkt aufzuheben, an dem die zweite Welle angerollt ist.
In Schweden sind bislang mehr als 6 000 Menschen an den Folgen der Viruserkrankung gestorben. Wegen stark steigender Infektionszahlen haben immer mehr Regionen in dem Zehn-Millionen-Einwohner-Land Restriktionen beschlossen. In einigen Landesteilen wurde erneut Fernunterricht eingeführt und neue Versammlungsbeschränkungen beschlossen.
„Sozialer Lockdown“in den
Gaststätten von Oslo
Noch weiter ist Norwegen gegangen. Seit vergangener Woche muss bei der Einreise ein negativer Coronatest vorgelegt werden, der nicht älter als 72 Stunden ist. Außerdem ist eine zehntägige Quarantäne vorgeschrieben.
In der Hauptstadt Oslo, wo sich zuletzt die Zahl der Neuinfektionen deutlich erhöht hat, gilt ein „sozialer Lockdown“, wie ein Regierungssprecher das Servier- und Ausschankverbot für Restaurants und Kneipen bezeichnete. „Wir haben nicht die Kontrolle verloren, aber wir haben eine geringere Kontrolle als wir gerne hätten“, begründete Regierungschefin Erna Solberg die neuen Maßnahmen.
Einzig Finnland scheint bislang gut durch die Coronakrise gekommen zu sein. Knapp 46 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner verzeichnete das Land in den letzten 14 Tagen – das ist der beste Wert in der EU. Experten sehen in den niedrigen Infektionszahlen das Ergebnis eines strikten Durchgreifens im Frühjahr.
Die finnische Regierung verhängte einen zweimonatigen Lockdown, die Hauptstadt Helsinki war zeitweise ganz isoliert: Niemand durfte rein, niemand raus. Zusätzlich wurde massiv getestet und nachverfolgt. Auch wirtschaftlich ist das Land relativ gut durch die Krise gekommen. Während die Wirtschaftsleistung im EU-Durchschnitt um 14 Prozent im zweiten Quartal sank, ging sie in Finnland nur um 6,4 Prozent zurück.
Dänemark könnte ein neues Wuhan werden. Der Mikrobiologe Hans Jørn Kolmos