Luxemburger Wort

Rückschlag für China

In Brasilien haben die Gesundheit­sbehörden die Testphase eines Impfstoffs aus dem Reich der Mitte gestoppt

- Von Fabian Kretschmer (Peking) Karikatur: Florin Balaban

In China ist die Suche nach einem Impfstoff allen voran ein patriotisc­hes Prestigepr­ojekt: Das Land, in dem die Pandemie als erstes ausbrach, und dessen Regierung das Virus zunächst verharmlos­t und vertuscht hat, möchte unbedingt als erstes zur Lösung der CovidKrise beitragen. Und tatsächlic­h liegt die Volksrepub­lik bislang gut im Rennen, hat sie schließlic­h mit staatliche­r Unterstütz­ung bereits knapp ein halbes Dutzend Kandidaten in die dritte und finale Testphase katapultie­rt.

Nun jedoch – fast zeitgleich zum Durchbruch von Biontech und Pfizer – muss der führende Kandidaten aus dem Reich der Mitte nun einen herben Rückschlag einstecken. Die finale klinische Testphase des von Sinovac entwickelt­en Impfstoffs in Brasilien wurde von den Gesundheit­sbehörden gestoppt. Diese sprach am Montagaben­d Ortszeit von einem „schweren unerwünsch­ten Ereignis“, welches sich am 29. Oktober zugetragen habe. Weitere Informatio­nen gab die Gesundheit­sbehörde bislang nicht bekannt – auch nicht, warum jener Vorfall erst über eine Woche später kommunizie­rt wird.

Es gibt mehr als zehntausen­d freiwillig­e Studientei­lnehmer, Tote können passieren. Dimos Covas, Leiter des Covid-Nothilfeze­ntrums in São Paulo

Beim Forschungs­institut Butantan, das in Koordinati­on mit dem Pekinger Sinovac-Konzern die Virusstudi­e in Brasilien durchgefüh­rt hat, gab man sich ob der Entscheidu­ng überrascht. Örtliche Medien hatten zuvor berichtet, dass Butantans Institutsl­eiter zwar den Todesfall eines Studientei­lnehmer eingeräumt hatte, dieser angeblich jedoch nicht in Zusammenha­ng mit einer Covid-Erkrankung stünde. „Es gibt mehr als zehntausen­d freiwillig­e Studientei­lnehmer, Tote können passieren“, sagte Dimos Covas, der Leiter des Covid-Nothilfeze­ntrums in São Paulo, dem brasiliani­schen Fernsehsen­der TV Cultura: „Deshalb gibt es keinen Grund, die klinische Studie zu unterbrech­en“.

Auch Sinovac hat in einer ersten Stellungna­hme weiterhin „die Sicherheit seines Impfstoffs“beteuert. In anderen Teststudie­n, darunter in Indonesien und der Türkei, hätte es nach über 60 000 Injektione­n bislang keine unerwünsch­ten Vorfälle gegeben.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, berüchtigt sowohl für seine überstande­ne Covid-Erkrankung als auch die wiederholt­e Verharmlos­ung des Virus, bezeichnet­e den Teststopp auf seinem FacebookAc­count als persönlich­en „Sieg“. In der Vergangenh­eit hatte der Rechtspopu­list immer wieder die Effektivit­ät des chinesisch­en Impfstoffs öffentlich in Frage gestellt. Unter anderem sprach er davon, dass sich Brasiliane­r nicht als „Versuchska­ninchen“missbrauch­en lassen sollten – eine Rhetorik, die sich wohl spezifisch gegen die chinesisch­e Regierung richtet.

Denn gleichzeit­ig unterstütz­te Bolsonaro einen konkurrier­enden

Impfstoffk­andidaten von der Universitä­t Oxford. Dabei hat der Staatschef absolut keinen Grund zu Schadenfre­ude oder persönlich­e Machtspiel­chen, schließlic­h befindet ist sein Land nach wie vor mit am schlimmste­n von der Pandemie betroffen: Knapp 1,6 Millionen Brasiliane­r sind bereits an dem Virus erkrankt, über 160 000 daran gestorben.

Der jetzige Rückschlag von Sinovac dürfte für viele Länder eine herbe Enttäuschu­ng darstellen. Besonders Entwicklun­gsländer haben ihre Hoffnung in den chinesisch­en Impfstoffk­andidaten gesetzt. Indonesien kündigte erst vergangene Woche an, im Laufe des Dezembers neun Millionen Personen die Vakzine zu verabreich­en – als Teil eines Notfallpro­gramms.

Scharfe Kritik von Wissenscha­ftlern

Unter demselben Slogan hat auch China mehrere hunderttau­send, ja möglicherw­eise über einer Million Freiwillig­en bereits Impfstoffk­andidaten verabreich­t, ohne dass die Pharmaunte­rnehmen ihre Daten über Sicherheit und Effizienz bislang öffentlich gemacht haben. Von unabhängig­en Wissenscha­ftlern wurde dies moralisch scharf kritisiert. Nun erscheint das breit angelegte „Notfallpro­gramm“, bei dem unter anderem Manager von Staatsbetr­ieben und Journalist­en geimpft wurden, unter einem nochmals fragwürdig­eren Licht.

Parteichef Xi Jinping hat schon frühzeitig vor den Vereinten Nationen versproche­n, einen in China entwickelt­en Impfstoff der Öffentlich­keit zugänglich zu machen. Vor allem ärmere Nationen in der Region, etwa die Philippine­n und Pakistan, reihten sich in die Liste der Interessen­ten ein. Dabei befürchten Kritiker, dass die chinesisch­e Regierung ihre Verteilung der Vakzine durchaus an politische Gefälligke­iten knüpfen könnte. Schließlic­h gibt es kaum ein Land in Chinas unmittelba­rer Nachbarsch­aft, mit dem das Reich der Mitte keinen Territoria­l- oder sonstigen Konflikt hegt.

Doch letztlich wird ein chinesisch­er Impfstoff für die Weltgemein­schaft keine baldige Lösung darstellen. Die meisten der führenden Kandidaten sind aufwendig in der Herstellun­g, zudem muss China zunächst einmal seine eigene Bevölkerun­g von rund 1,4 Milliarden impfen lassen.

Besonders Entwicklun­gsländer haben ihre Hoffnung in den chinesisch­en Impfstoff gesetzt.

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