Club der Vergessenen
Bleibt die Nacht dunkel, brauchen Diskothekenbetreiber und Partyveranstalter passgenaue staatliche Hilfen
Es geht abwärts, Stufe um Stufe. Und es ist kein Licht zu sehen. Das ist das Gefühl in der Branche. Dann schaltet Marc Grandjean die Taschenlampe am Smartphone ein und es fällt ein Lichtkegel auf die Treppe runter in den Nachtclub. Er und sein Geschäftspartner Jérôme Stoffel finden die Stufen auch blind mit sicheren Schritten, er leuchtet nur aus Höflichkeit. Man merkt, wie oft er seinen Arbeitsweg in den vergangenen Jahren gegangen ist. „Aber in den letzten Monaten nicht mehr”. Die Diskothek „Apoteca“im Zentrum der Hauptstadt ist seit Beginn der Corona-Krise geschlossen – acht Monate sind es nun. Zuvor hat sie sechs Jahre schwarze Zahlen geschrieben. Es ist die erste Krise. „Aber diese hier ist solide“, sagt Grandjean. Sie ist nicht selbst verschuldet, sondern verordnet.
Die Verlierer unter den Verlierern
Seit dem 16. März, dem Beginn des Lockdowns, steht das Nachtleben still. Diskothekenbetreiber haben ein massives Problem: Die Fixkosten laufen weiter. Für den Nachtclub „Gotham“in LuxemburgStadt sind das allein 30 000 Euro Miete pro Monat. Der einzige Strohhalm wären staatliche Hilfsgelder. Doch die Clubs fallen durch das Raster.
Die Luxembourg Event Association (LEA) hat sich im Mai als Dachverband für die Veranstaltungsbranche gegründet. Mitglieder sind Eventagenturen, Caterer oder eben Diskotheken. Die LEA vertritt 60 der etwa 120 Firmen, darunter rund ein Dutzend Clubs. Die Branche sichert das Einkommen für mehr als 3 000 feste Beschäftigte. Vor der Krise war sie im Aufschwung. Erst seit der Pandemie braucht es eine gemeinsame Lobby.
Die Branche ist insgesamt schwer getroffen. Aber selbst hier schneiden die Diskotheken besonders schlecht ab. In Bars brach der Umsatz im Schnitt um 70 Prozent ein. Bei Nachtclubs liegt der Ausfall bei 100 Prozent. Darum gibt es innerhalb der LEA eine eigene Sektion für die Clubs im Land. Die ASBL nennt sich „Don't forget us“(„Vergesst uns nicht“).
Marc Grandjean steht im Halbdunkeln. „Man hat unsere Läden zugemacht, aber es gibt keine Hilfe“, sagt er achselzuckend. „Wenn sich nicht jeder in der Branche verschuldet hätte, dann wären wir schon über den Jordan“, erklärt Jean-Claude Colbach mit Nachdruck. Er betreibt das „IKKI“im Rives de Clausen und gilt als einer der Initiatoren des Vereins. „Wenn die Krise unser Verschulden wäre, dann wäre das eine andere Sache. Aber so ist es ja nicht“, stellt er klar. „Der Staat hat uns gezwungen zu schließen. Das verstehen wir. Aber dann brauchen wir auch substanzielle Hilfe.“
Bei der staatlichen Hilfe gibt es ein Problem. Mit dem Wirtschaftsförderungsund Solidaritätsfonds „Fonds de relance et de solidarité“unterstützt die Regierung jene Branchen, die von der Gesundheitskrise besonders stark betroffenen sind: etwa Tourismus, Hotelsowie Gastronomiegewerbe und eben die Veranstaltungsbranche. Damit die Betriebe sich nicht auf den staatlichen Geldern ausruhen, sieht das Programm vor, dass Unternehmen ihre Tätigkeit „während des Monats, für den die Beihilfe beantragt wird, ausüben“, wie es offiziell heißt. So sollen etwa Restaurants einen eigenen Anteil erwirtschaften. Für die Nachtclubs ist diese Regelung eine finanzielle Katastrophe. Sie waren so von der Förderung ausgeschlossen.
Nachtclubs ohne Nachtleben
Marc Grandjean zeigt auf Hocker und Tische, die jetzt auf der Tanzfläche im Gewölbekeller des „Apoteca“stehen. Er und sein Geschäftspartner haben versucht, den Club in eine Bar zu verwandeln. „Aber es kostet mehr, als wir einnehmen“. Einen DJ, eine Putzfirma und Servicekräfte beauftragen, lohnt sich nicht für ein paar Kunden. „Es war schon vor der Krise schwer, Gäste vor 12 Uhr ins „Apoteca“zu locken – wir sind eben ein Club.“Sich in der Krise einen neuen Namen als Bar machen, erscheint aussichtslos.
Im „Gotham“gehen an einem normalen Wochenende rund 2 000
Partygäste ein und aus. Seit dem 16. März kam kein einziger mehr. In der Krise muss man sich neu erfinden, weiß auch Betreiber Bob Krier und wollte es versuchen. Immerhin 90 Gäste sollten an Tischen Platz nehmen, wo sonst getanzt wurde. Ende Oktober, Tage vor dem Neustart, erließ die Regierung weitere Maßnahmen samt Ausgangssperre von 23 bis 6 Uhr. Der Club sagte die Neueröffnung ab. Monate der Planung waren umsonst. Der Umsatz liegt den achten Monaten in Folge bei Null.
Bisher hat der Clubbetreiber jeden Monat seine Miete von 30 000 Euro gezahlt. „Egal, wie gesund eine Firma war, nach acht Monaten ist man hinüber. Eine ganze Branche ist hinüber“, sagt Krier. Andere haben die Zahlung ihrer Miete schon eingestellt. „Wovon sollen wir das bezahlen?“, fragen sie. Briefe von Anwälten gehen bereits hin und her.
Das „Melusina“, eine der ältesten Diskotheken im Land, schien zunächst ein Erfolgsmodell zu sein. Der Club wurde komplett umgebaut, dazu wurde ein Musik-Video gedreht, die Location war ausgebucht. Dann kam die Ausgangssperre. Wer jetzt im Club anruft, erhält keine Antwort. Der Laden liegt im Dunkeln. Auf Anfrage heißt es: „Wir haben unsere Türen wieder geschlossen, wissen nicht, wann und unter welchen Bedingungen wir wieder öffnen können. Wenn die Situation so bleibt und der Staat uns keine neuen Hilfen gibt, ist die Situation katastrophal.“
Den Staat verklagen
„Einige Kollegen hatten ihre Betriebe auf Restaurant umgestellt“, sagt LEA-Präsident Charles Schroeder. „Als jetzt die Ausgangssperre kam, war das eine richtige Bremse.“Die Nachtclubs sitzen im Boot der Event-Branche. Aber „mehr Corona-betroffen als sie geht nicht. Von Nachtleben kann ja keine Rede mehr sein“, bestätigt Schroeder die besondere Not. Er ist darum im Namen der LEA auf das Ministerium zugegangen und hat eine Ausnahmeregelung ausgehandelt: Clubs sollen nun ganz geschlossen bleiben dürfen und dennoch vom „Fonds de relance et de solidarité“profitieren können. Dieser läuft im November aus. Ob Diskotheken das Geld rückwirkend erhalten, wollte das Ministerium nicht bestätigen.
Bisher versucht der Verein „Don't forget us“es mit Appellen, aber ein Anwalt ist an Bord. „Wir brauchen eine juristische Handhabe“, sagt „IKKI“-Betreiber Colbach. „Wenn nichts passiert, müssen wir Klage einreichen“. Alternativlos ist die Lage nicht, wie Beispiele aus Paris und Wien zeigen. In Österreich zahlt der Staat den Clubs 80 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahr.
Die Lobby der Clubs ist in Luxemburg schwach. Noch schwächer ist die Position der Freelancer. Der Verband schätzt ihre Zahl auf 1 500. Eines ihrer bekanntesten Gesichter ist Eventmanager Tony Morabito. Im Sommer 2019 organisierte er einen „Colourfight“mit 1 000 Teilnehmern oder eine „Fake Wedding Party“im „Gotham“. Solche Veranstaltungen sind nun undenkbar, sein Umsatz um 70 Prozent gesunken. Als Selbstständiger erhält auch er Hilfe aus dem „Fonds de relance et de solidarité“. Die 1 250 Euro im Monat reichen nicht einmal für die Miete und die Sozialversicherung. Ohne Hilfe, prophezeit die Branche, folgt ein Clubsterben.
Mehr Coronabetroffen geht nicht. Charles Schroeder, LEA