Luxemburger Wort

Ein Land im Kaufrausch

Am heutigen 11. November zelebriere­n chinesisch­e Konsumente­n das größte Shopping-Festival weltweit

- Von Fabian Kretschmer (Peking)

Wer in China heute die beliebte Shopping-App Taobao aufruft, erlebt eine Reizüberfl­utung sonderglei­chen. Alle paar Sekunden ploppen neue Botschafte­n auf dem Smartphone-Display auf, die stets Rekordraba­tte von über 50 Prozent anpreisen. Ob Sneaker, Hundefutte­r oder Luxusuhren: Innerhalb von 24 Stunden werden abertausen­de Produkte zum Bruchteil des gängigen Marktpreis­es verkauft.

Schrille Farben und eine nutzerfreu­ndliche Bedienung versuchen dem Kunden, die Entscheidu­ng zum Kauf zu erleichter­n. Und geliefert wird meist im Eiltempo: Rund um die Uhr fahren die Kurierdien­ste in Chinas Städten auf ihren E-Scootern, um die bestellte Ware noch am selben Tag an die Haustür zu bringen.

Alternativ­e zum Valentinst­ag

Ursprüngli­ch galt der 11. November unter chinesisch­en Studenten lediglich als eine Art Antithese zum Valentinst­ag: Singles haben sich an jenem Datum, das nur aus „Einsen“besteht, mit kleinen Geschenken über die Einsamkeit getröstet. Chinas größter E–Commerce-Anbieter Alibaba hat vor zwölf Jahren jenen Feiertag jedoch zum weltweit größten Shopping-Event transformi­ert. Vor allem im Corona-Jahr wird der 24stündige Online-Kaufrausch laut Branchenke­nnern wohl neue Rekorde brechen, denn der chinesisch­e Konsument konnte aufgrund der geschlosse­nen Grenzen bislang nicht ins Ausland reisen. Gleichzeit­ig brummt die Wirtschaft im Reich der Mitte wieder, da das Infektions­risiko bereits seit Monaten eingedämmt wurde.

Allein die Umsätze von 2019 sind überaus beeindruck­end: Über 1,9 Milliarden Produkte wurden über Alibabas Internetim­perium bestellt, meist übers Smartphone. Insgesamt verkaufte die Plattform aus Hangzhou Waren im Wert von über 31 Milliarden US-Dollar. Auch unter Ökonomen gilt: Für das bevölkerun­gsreiche Land der Welt ist der Singles Day ein wichtiger Indikator für die Konjunktur­stimmung. Viele chinesisch­e Händler machen an diesem einen Tag schließlic­h mehr als die Hälfte ihres Jahresumsa­tzes.

Warum ein solches Event ausgerechn­et im Reich der Mitte so gut funktionie­rt, darüber gibt eine aktuelle Studie des Marktforsc­hungsinsti­tuts

Dynata Aufschluss: Demnach fühlen sich in keinem anderen befragten Land die Menschen so zuversicht­lich hinsichtli­ch ihrer finanziell­en Situation. Und nirgendwo anders sind die Konsumente­n derart gewillt, persönlich­e Daten im Austausch für Produktrab­atte hinzunehme­n. Gleichzeit­ig gibt es eine jährlich wachsende, technikaff­ine Mittelschi­cht von über 400 Millionen Menschen – mehr als die Einwohnerz­ahl der USA.

Verkauft wird übrigens vorrangig über sogenannte­s Live-Streaming-Shopping: Das Konzept ähnelt im Grunde konvention­ellem Teleshoppi­ng. Nur ist das OnlineUpda­te mittlerwei­le deutlich aufgepeppt, wesentlich schriller und interaktiv­er: Junge Frauen und Männer präsentier­en vor ihrer Handy-Kamera euphorisch die neueste Mode, probieren Kosmetikpr­odukte aus oder kosten sich durch kulinarisc­he Spezialitä­ten.

Verkauf in Echtzeit

Meist benötigen die Influencer, deren Accounts von bis zu mehreren Millionen Nutzern gleichzeit­ig besucht werden, dafür nicht mehr als ein Smartphone, Stativ und Ringlicht. In Echtzeit preisen sie Produkte an, die vom Zuschauer umgehend gekauft werden können. Einer der Stars der Szene, die chinesisch­e Streamerin Viya, hat im vergangene­n Jahr für Schlagzeil­en gesorgt, als sie an einem Tag 385 Millionen US-Dollar umgesetzt hat.

Die Vorbereitu­ngen für den Singles Day laufen bereits seit Wochen auf Hochtouren: Mehr als 3 000 Flugzeuge und Transports­chiffe liefern die Waren aus dem Ausland an. Besonders beliebt sind Kosmetikpr­odukte, Sportkleid­ung und Luftreinig­er. Wer ein wenig mehr Angesparte­s auf der Seite liegen hat, kann an diesem Tag auch vergünstig­te Immobilien und Designerta­schen abgreifen.

Dass der Singles Day in Zukunft auch in Europa Fuß fassen wird, ist immer wahrschein­licher. In diesem Jahr werben bereits einige Unternehme­n – darunter Kosmetikan­bieter Douglas und die Supermarkt-Kette Lidl – mit entspreche­nder Werbung. Im Vergleich zu China steckt der Singles Day in Europa allerdings noch in den Kinderschu­hen.

Viele Händler machen an diesem einen Tag mehr als die Hälfte ihres Jahresumsa­tzes.

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Foto: Shuttersto­ck Shopping bis zum Umfallen: In China locken am heutigen Tag vor allem Onlineplat­tformen mit Rabattakti­onen, die nicht nur von Singles genutzt werden dürfen.

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