Ein Land im Kaufrausch
Am heutigen 11. November zelebrieren chinesische Konsumenten das größte Shopping-Festival weltweit
Wer in China heute die beliebte Shopping-App Taobao aufruft, erlebt eine Reizüberflutung sondergleichen. Alle paar Sekunden ploppen neue Botschaften auf dem Smartphone-Display auf, die stets Rekordrabatte von über 50 Prozent anpreisen. Ob Sneaker, Hundefutter oder Luxusuhren: Innerhalb von 24 Stunden werden abertausende Produkte zum Bruchteil des gängigen Marktpreises verkauft.
Schrille Farben und eine nutzerfreundliche Bedienung versuchen dem Kunden, die Entscheidung zum Kauf zu erleichtern. Und geliefert wird meist im Eiltempo: Rund um die Uhr fahren die Kurierdienste in Chinas Städten auf ihren E-Scootern, um die bestellte Ware noch am selben Tag an die Haustür zu bringen.
Alternative zum Valentinstag
Ursprünglich galt der 11. November unter chinesischen Studenten lediglich als eine Art Antithese zum Valentinstag: Singles haben sich an jenem Datum, das nur aus „Einsen“besteht, mit kleinen Geschenken über die Einsamkeit getröstet. Chinas größter E–Commerce-Anbieter Alibaba hat vor zwölf Jahren jenen Feiertag jedoch zum weltweit größten Shopping-Event transformiert. Vor allem im Corona-Jahr wird der 24stündige Online-Kaufrausch laut Branchenkennern wohl neue Rekorde brechen, denn der chinesische Konsument konnte aufgrund der geschlossenen Grenzen bislang nicht ins Ausland reisen. Gleichzeitig brummt die Wirtschaft im Reich der Mitte wieder, da das Infektionsrisiko bereits seit Monaten eingedämmt wurde.
Allein die Umsätze von 2019 sind überaus beeindruckend: Über 1,9 Milliarden Produkte wurden über Alibabas Internetimperium bestellt, meist übers Smartphone. Insgesamt verkaufte die Plattform aus Hangzhou Waren im Wert von über 31 Milliarden US-Dollar. Auch unter Ökonomen gilt: Für das bevölkerungsreiche Land der Welt ist der Singles Day ein wichtiger Indikator für die Konjunkturstimmung. Viele chinesische Händler machen an diesem einen Tag schließlich mehr als die Hälfte ihres Jahresumsatzes.
Warum ein solches Event ausgerechnet im Reich der Mitte so gut funktioniert, darüber gibt eine aktuelle Studie des Marktforschungsinstituts
Dynata Aufschluss: Demnach fühlen sich in keinem anderen befragten Land die Menschen so zuversichtlich hinsichtlich ihrer finanziellen Situation. Und nirgendwo anders sind die Konsumenten derart gewillt, persönliche Daten im Austausch für Produktrabatte hinzunehmen. Gleichzeitig gibt es eine jährlich wachsende, technikaffine Mittelschicht von über 400 Millionen Menschen – mehr als die Einwohnerzahl der USA.
Verkauft wird übrigens vorrangig über sogenanntes Live-Streaming-Shopping: Das Konzept ähnelt im Grunde konventionellem Teleshopping. Nur ist das OnlineUpdate mittlerweile deutlich aufgepeppt, wesentlich schriller und interaktiver: Junge Frauen und Männer präsentieren vor ihrer Handy-Kamera euphorisch die neueste Mode, probieren Kosmetikprodukte aus oder kosten sich durch kulinarische Spezialitäten.
Verkauf in Echtzeit
Meist benötigen die Influencer, deren Accounts von bis zu mehreren Millionen Nutzern gleichzeitig besucht werden, dafür nicht mehr als ein Smartphone, Stativ und Ringlicht. In Echtzeit preisen sie Produkte an, die vom Zuschauer umgehend gekauft werden können. Einer der Stars der Szene, die chinesische Streamerin Viya, hat im vergangenen Jahr für Schlagzeilen gesorgt, als sie an einem Tag 385 Millionen US-Dollar umgesetzt hat.
Die Vorbereitungen für den Singles Day laufen bereits seit Wochen auf Hochtouren: Mehr als 3 000 Flugzeuge und Transportschiffe liefern die Waren aus dem Ausland an. Besonders beliebt sind Kosmetikprodukte, Sportkleidung und Luftreiniger. Wer ein wenig mehr Angespartes auf der Seite liegen hat, kann an diesem Tag auch vergünstigte Immobilien und Designertaschen abgreifen.
Dass der Singles Day in Zukunft auch in Europa Fuß fassen wird, ist immer wahrscheinlicher. In diesem Jahr werben bereits einige Unternehmen – darunter Kosmetikanbieter Douglas und die Supermarkt-Kette Lidl – mit entsprechender Werbung. Im Vergleich zu China steckt der Singles Day in Europa allerdings noch in den Kinderschuhen.
Viele Händler machen an diesem einen Tag mehr als die Hälfte ihres Jahresumsatzes.