Die Krachmacherpartei
Die AfD tobt und bebt – aber sie scheut die Entscheidung zwischen rechtsaußen und bürgerlich-konservativ
Man stelle sich vor, Robert Habeck würde seine Partei, die deutschen Grünen, in aller Öffentlichkeit einen „Zirkus Kunterbunt“heißen. Oder Saskia Esken, seine Kollegin von der SPD, täte das. Oder einer der drei, die sich um den Chefposten der CDU bewerben. Der Kübel, aus dem die AfD Hohn über die Konkurrenz ausgösse, sprengte alle vorstellbare Dimensionen++.
In Wirklichkeit aber ist es Jörg Meuthen – die sich bürgerlich gebende Hälfte des Chef-Duos der AfD – , der am Samstagmittag seine Partei in den Senkel stellt, dass es eine Art hat. Genau genommen knöpft Meuthen sich den Teil der AfD vor, der sich um den Thüringer Landes- und Fraktionschef Björn Höcke schart – den Teil also, dem die Partei gar nicht rechts genug sein kann. Der sich an die Seite der Corona-Skeptiker bis -Leugner stellt, der Deutschland in ein anderes Land verwandeln will – und der gerade eben auffiel, weil zu ihm gehörende Abgeordnete Gäste in den Bundestag schleusten, die dort Parlamentarier anderer Parteien bedrängten.
Exakt dieses Verhalten meint Meuthen, als er dem Parteitag in Kalkar zum Auftakt eine Rede hinknallt, die das eigentliche Thema – die Sozialpolitik – marginalisiert. Er fordert nicht nur „Disziplin“– er zürnt gegen alle, die „rumkrakeelen und rumprollen, weil sie sich als Provokateure gefallen und der eigenen Blase zeigen wollen, was für tolle Kerle sie sind“. Er wütet gegen „Revolution und Politikkasperei“. Und legt allen, die anders denken als er, den Austritt nah.
Es wird bis zum Ende des Parteitags – der durchaus selbst als Provokation gedacht ist, weil er trotz Pandemie 600 Delegierte in einem Saal versammelt – heraus sein, wer sich attackiert fühlt von
Meuthen. Am Sonntag tobt – jede andere Beschreibung wäre untertrieben – ein Kampf zwischen seinen Anhängern und seinen Gegnern. Nicht heraus ist am Ende, welche Gruppe die stärkere ist.
Spaltung der Partei wirft das Anti-Meuthen-Lager dem Vorsitzenden nach seiner Rede vor. Vorneweg Fraktionschef Alexander Gauland – der sich damit umgehend für Meuthens ihm geltende Attacken als aus der Zeit gefallener Bismarck-Verehrer revanchiert. Gaulands Begriff „CoronaDiktatur“, den er zuletzt auch im Bundestag gebrauchte, versucht Meuthen als faktenfrei zu entlarven: „Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag wohl kaum so abhalten.“
Wie nötig Meuthens DisziplinAppell ist – und wie wirkungslos – wird am Sonntag unüberseh- und -hörbar: Zwei Stunden lang fetzen sich die Lager – schonungslos und ohne Rücksicht auf Verluste. Die Meuthen-Gegner schäumen, er habe „40 bis 50 Prozent“der Delegierten brüskiert, arbeite mit „Unterstellungen“, treibe einen Keil zwischen die AfD und die „Querdenken“-Bewegung. Wenn, ruft ein Höcke-Freund Meuthen zu, „das Führung ist, dann sind Sie ein Führer ins Nichts!“. Die Meuthen-Freunde keilen zurück, wer gegen ihn sei, wolle aus der AfD eine „NPD 2.0“machen. Man werde „das bürgerliche Spektrum“verlieren, „wenn wir Herrn Meuthen hier abschießen“.
Exakt das ist die Angst, die Meuthen plagt, der selbst lange und rhetorisch nicht ungeschickt mit dem Höcke-Lager paktiert hat – ohne das allzu offenbar werden zu lassen. Seit allerdings der Verfassungsschutz die AfD im Visier hat; seit der „Flügel“zur „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“erklärt wurde; und seit der Gesamtpartei dasselbe droht: Seitdem rauscht die AfD in den Umfragen durch; und seitdem versucht Meuthen, ihr Mitglieder und Wähler zu retten. Unter anderem veranlasste er den Parteiausschluss des Höcke-Intimus Andreas Kalbitz. Allerdings gewann er zwar den darüber ausgebrochenen Machtkampf – ruinierte aber zugleich die letzte Arbeitsgrundlage mit seinem Co-Chef Tino Chrupalla und mit den Fraktionsvorsitzenden Gauland und Alice Weidel.
Meuthens riskante Taktik
Eine riskante Taktik – die schon Parteigründer Bernd Lucke misslang und auch dessen Nachfolgerin Frauke Petry. Beide wollten für die AfD zumindest einen bürgerlichen Anstrich – beide scheiterten und verließen die Partei. Ob nun Meuthen sich durchsetzt, ist kein bisschen heraus. Seinen für kommendes Jahr geplanten Umzug vom Europaparlament in den Bundestag sagte er schon Ende September ab – aus Angst, im Kampf um die Spitzenkandidatur zu unterliegen.
Allerdings fürchtet sich auch die AfD: vor einer Spaltung ebenso wie vor einem Rechtsruck. Genau genommen: vor Bedeutungsverlust. Und so beschließt der Parteitag mit einer sehr knappen Mehrheit, besser nicht zu entscheiden, ob nun „der Bundesparteitag das spalterische Gebaren von Bundessprecher Jörg Meuthen missbilligt“. Oder nicht.
Der Showdown fällt aus. Das Chaos bleibt.