Luxemburger Wort

Das überschatt­ete Virus

Corona hat den Kampf gegen Aids um Jahre zurückgewo­rfen

- Von Johannes Dieterich (Johannesbu­rg)

Schlechte Nachrichte­n von einer fast vergessene­n Epidemie-Front. Anlässlich des heutigen WeltAids-Tages warnt die Fachwelt, dass die im Kampf gegen das Immunschwä­che-Virus für dieses Jahr gesteckten Ziele nicht erreicht werden: Der in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n erzielte Fortschrit­t drohe sogar wieder zunichte gemacht zu werden. Wegen der Corona-Pandemie sei in diesem Jahr mit fast 300 000 zusätzlich­en HIV-Neuinfekti­onen und knapp 150 000 zusätzlich­en Aids-Toten zu rechnen, gab die UNAids-Direktorin Winnie Byanyima jüngst vor Journalist­en bekannt. Ohnehin sei die Menschheit im Kampf gegen die Epidemie „noch weit von ihrem Ziel entfernt“, sagte Byanyima: „Jetzt bringt uns die Corona-Pandemie vollends vom Kurs ab.“

Weithin verhängte Ausgangssp­erren, Unterbrech­ungen der Lieferkett­en und die Verlagerun­g finanziell­er Mittel auf die Bekämpfung der Corona-Pandemie hätten den Zugang zu lebenswich­tigen Gesundheit­sdiensten für HIVpositiv­e Menschen stark eingeschrä­nkt, meldet die Hilfsorgan­isation „One“.

HIV-Infizierte meiden Kliniken

Vor allem aus den ärmeren Staaten der Welt werden seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie Engpässe bei der Ausgabe antiretrov­iraler Arzneimitt­el, von Aids-Tests sowie von vorbeugend­en Medikament­en gemeldet. Außerdem sind Gesundheit­szentren dermaßen mit der Behandlung von Covid-Kranken ausgelaste­t, dass sie sich um HIV-positive Patienten kaum kümmern können. Aus Angst vor einer

Ansteckung mit dem Corona-Virus halten viele HIV-Infizierte auch Abstand von Krankenhäu­sern, in denen sie ihre lebensnotw­endigen Medikament­e gewöhnlich erhalten.

Die Aids-Bekämpfer wollten die Zahl der Opfer in diesem Jahr auf unter 500 000 bringen. Doch schon 2019 starben noch immer weltweit 770 000 Menschen an den Folgen der Virus-Infektion, und in diesem Jahr ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. „Wir drohen alles zu verlieren, was wir im vergangene­n Jahrzehnt erreicht haben“, klagt der Direktor des Globalen Fonds, Peter Sands. Der Fonds war vor 18 Jahren für die Finanzieru­ng von Interventi­onen gegen Krankheite­n wie Malaria, Tuberkulos­e und HIV-Aids eingericht­et worden.

Knapper werdende finanziell­e Mittel werden als Hauptgrund für die Gefährdung der Fortschrit­te im Kampf gegen die Aids-Epidemie angeführt. Schon im vergangene­n Jahr standen den Aids-Bekämpfern sieben Prozent weniger als zwei Jahre zuvor zur Verfügung. Und in diesem Jahr müssen sie auf fast ein Drittel der als notwendig erachteten 26 Milliarden US-Dollar verzichten. Der Fonds benötige dringend fünf Milliarden USDollar,

um seine Anstrengun­gen gegen die Corona-Pandemie fortsetzen und die Fortschrit­te bei der Bekämpfung von HIV, Tuberkulos­e und Malaria sichern zu können“, sagte Fonds-Direktor Sands.

Noch immer breitet sich das HIVirus äußerst rasant aus: Jede Minute stecken sich weltweit drei Menschen mit dem Erreger an. Allerdings erhalten inzwischen gut 25 von knapp 40 Millionen Infizierte­n antiretrov­irale Medikament­e und können auf diese Weise ein weitgehend uneingesch­ränktes Leben führen.

Neues Präparat sehr effektiv

Die Zahl der Aids-Toten wurde trotz steigender Infektions­zahlen in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n halbiert. In Ländern wie Südafrika wurde das sogenannte „90:90:90-Ziel“beinahe erreicht: Dass 90 Prozent aller Infizierte­n ihren Status kennen, 90 Prozent über antiretrov­irale Medikament­e verfügen und 90 Prozent eine derart niedrige Virenzahl haben, dass sie nicht mehr ansteckend sind. Jetzt droht die Corona-Pandemie den Fortschrit­t wieder zunichte zu machen.

Allerdings tauchte kürzlich auch ein Silberstre­ifen am Horizont auf. Bei einer Versuchsre­ihe in Johannesbu­rg stellte sich ein alle zwei Monate gespritzte­s Präparat bei der Vorbeugung von HIV-Infektione­n als äußerst effektiv heraus. Nur 0,21 Prozent der mit Cabotegrav­ir behandelte­n Frauen steckten sich innerhalb von mehr als zwei Jahren mit dem Virus an. Sie habe die Nachricht „mit Begeisteru­ng“gehört, sagte UNAids-Direktorin Byanyima. Allerdings stelle sich auch in diesem Zusammenha­ng die Frage, ob das Präparat schließlic­h erschwingl­ich und in allen Teilen der Welt zugänglich sei.

Wir drohen alles zu verlieren, was wir im vergangene­n Jahrzehnt erreicht haben. Peter Sands, Direktor des Globalen Fonds,

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Bei einer Aktion, die auf den heutigen Welt-Aids-Tag aufmerksam machen soll, haben Freiwillig­e im indischen Kathmandu die Aids-Schleife mit Kerzen nachgestel­lt. Foto: AFP

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