Feuer in der Kälte
Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt trainiert Trapschütze Lyndon Sosa für die Olympiaqualifikation
Es riecht wie an Silvester. Den Qualm, der nach dem Schuss aus der Flinte steigt, pustet Lyndon Sosa weg. Gleichzeitig schlägt er die Patronenhülse, die aus dem Gewehr springt, fast beiläufig mit der flachen Hand in die Mülltonne. Damit endet der Versuch – und Sosa denkt bereits an den nächsten.
Für seine Olympia-Mission wollte der luxemburgische Trapschütze eigentlich im Süden sein. Doch die zweite Corona-Welle machte die Pläne rund um ein Trainingslager zunichte. „Zypern oder Malta vielleicht. Irgendwo, wo es wärmer ist“, erzählt Nationaltrainer Frank Best, der seinen Schützling nun eben auf dem Schießstand in Rümelingen anleitet.
Dort ist es kalt, nur drei Grad Celsius. Die Wiese vor dem Schießstand, der aus Lärmschutzgründen in einer Senke im Wald liegt, ist teilweise gefroren. Am hinteren Ende, unmittelbar vor den bewaldeten Hügeln, liegen die roten Scheiben, auch Tauben genannt, auf dem Boden. Von den meisten sind nur noch Bruchstücke übrig, die wenigsten sind unversehrt.
Kurve der Konzentration
„Beim Trapschießen“, verrät Sosa, „zählt ein Schuss als Treffer, wenn ein sichtbares Stück der Taube abgetrennt wird“. Dabei geht alles unheimlich schnell. Sosa selbst gibt das akustische Signal an eine der 15 Maschinen, die aus einem Bunker vor dem Schießstand die Scheibe herausfeuern. Wie ein Frisbee fliegt das rote Objekt, ehe Sosa, der am Montag 28 Jahre alt wird, mit der Flinte im Anschlag zielt und abdrückt. Die Taube zerspringt und trudelt in Richtung Boden.
„Ich zähle meine Scheiben, um mich abzulenken“, beschreibt Sosa sein Ritual im Wettkampf. „Kurz bevor ich dran bin, konzentriere ich mich auf die Atmung. Es ist wie eine Kurve der Konzentration und Anspannung, die am höchsten sein muss, wenn ich schieße. Danach fällt sie wieder ab.“
Dabei ist es während des Schusses immer der gleiche Ablauf. Das Zurechtrücken der Schutzbrille, das Abwischen der Hände an den beiden Tüchern, die an Sosas Hüfte baumeln. Das Anlegen der Flinte. Und der kurze Moment, in dem der Schütze das Gewehr senkt, bevor die Taube kommt.
„Besonders wichtig ist die Entscheidung, wohin ich meine Augen richte. Denn ich weiß nicht genau, in welche Richtung die Taube fliegt“, erklärt Sosa. Bis zu 45 Grad nach links oder rechts sowie anderthalb bis drei Meter in die Höhe kann die Scheibe variieren. Anders als bei Sportschützen, die die Mitte einer festen Zielscheibe anvisieren, kommt es beim Trapschießen vor allem auf das periphere Sehen an.
Nach der Trainingseinheit können sich die Augen des Sportlers, der Mitglied des Elitekaders des COSL (Comité olympique et sportif luxembourgeois) ist, noch nicht ausruhen. Im aufgewärmten Container neben dem Schießstand liegt die rund 8 000 Euro teure Flinte auf einem großen Tisch neben Patronen und weiteren Utensilien. Sosa sitzt an einem kleineren Tisch vor einem Computer und stärkt sich mit belegten Broten, bevor er an einer virtuellen Vorlesung der Universität Luxemburg teilnimmt. Der 27-Jährige studiert Mathematik und will Lehrer werden.
In näherer Zukunft liegt jedoch das große sportliche Ziel. Nicht nur an diesem Tag in Rümelingen, sondern über die gesamte Woche auch auf dem Schießstand in Differdingen, ackert der Luxemburger, um sich für die Olympischen Sommerspiele 2021 in Tokio zu qualifizieren. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten.
Bei der Europameisterschaft, die Ende Februar in Finnland stattfindet, wird ein direkter Quotenplatz für Japan vergeben. Da sich dort aber die absolute Weltklasse tummelt, ist diese Variante eher unwahrscheinlich. Deshalb legen Sosa und Best ihre Hoffnung in die Weltrangliste. Sollte im März der Weltcup in Indien stattfinden, könnte Sosa, der aktuell an Position 27 gelistet ist, einen Olympiaplatz über das Nationenranking ergattern.
„Unter den Ländern, die keinen Olympiastarter haben, wird ein Platz an den Athleten vergeben, der in der Weltrangliste am besten dasteht“, erläutert Sosa. In diesem internen Ranking liegt der Luxemburger an siebter Stelle – und braucht deshalb in Indien ein Spitzenresultat, um genug Punkte zu sammeln. Besonders bitter: 2016 in Rio de Janeiro hätte Sosa genau diesen Platz gehabt, aber damals gab es die Regelung noch nicht.
Optimistisch sind der Schütze und sein Trainer vor allem deshalb, weil Sosa ein absoluter Wettkampftyp ist. „Da kann er sich gut steigern. Das liegt daran, dass Lyndon sehr zielgerichtet ist und stetig besser wird“, sagt sein Coach. 2014 landete Sosa bei der WM in Granada (E) auf dem sechsten Platz, 2016 holte er den Titel bei der Universitäts-WM. Und vor zwei Jahren gewann der Luxemburger den Weltcup in Guadalajara (MEX). Folgt man diesem Rhythmus, müsste bald der nächste Höhepunkt folgen.
Gesunde Portion Aggressivität
Die mentale Komponente ist bei Lyndon Sosa der Schlüssel zum Erfolg. „Ich muss mir zu 100 Prozent sicher sein, dass ich die Taube treffe. Ein kurzer Gedanke an etwas anderes oder ein kleiner Zweifel reichen aus, dass der Schuss am Ende vorbei geht“, verrät der Athlet. Der besondere Reiz des Trapschießens – etwa im Vergleich zum Luftgewehr – ist eine gesunde Portion Aggressivität, die nötig ist, um das bewegliche Ziel zu erwischen.
Sosa, der von seinem Vater Rick an den Schießsport herangeführt wurde und gleich als großes Talent galt, strotzt vor Motivation. „In der Vergangenheit hat mir im Training manchmal der Biss gefehlt“, räumt er ein. „Aber jetzt, nach der langen Pause, habe ich richtig Lust, zu schießen.“Sie ist spürbar, diese Lust, während Sosa in Rümelingen trotz der Kälte eine Taube nach der anderen vom Himmel holt.
Bis zu den wichtigen Wettkämpfen im neuen Jahr wollen Sosa und Best die Zeit optimal nutzen. Die Trainingswoche im Großherzogtum ist gespickt von Übungen mit ungewohnten technischen Elementen, welche den Sportler aus seiner Komfortzone locken sollen. Der Qualmgeruch, der dem 27-Jährigen nach jedem Schuss in die Nase steigt, ist aber immer derselbe. „Das rieche ich schon gar nicht mehr“, sagt Sosa mit einem Grinsen im Gesicht.
Ein kurzer Gedanke an etwas anderes oder ein kleiner Zweifel reichen aus, dass der Schuss am Ende vorbei geht. Lyndon Sosa