Der Kniefall des Kanzlers
Vor 50 Jahren bittet Willy Brandt mit einer außergewöhnlichen Geste um Vergebung für die Nazi-Verbrechen
Warschau, 7. Dezember 1970. Willy Brandt legt einen Blumenkranz am Mahnmal für die Opfer des Warschauer Ghettos nieder. Das sieht das Protokoll vor.
Was dann geschieht, sieht das Protokoll nicht vor: Der deutsche Kanzler fällt auf seine Knie und verharrt etwa eine halbe Minute schweigend in dieser demütigen Haltung. „Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt“, schildert Brandt später seine Geste.
Brandt, Kohl und Mitterrand: geschichtsträchtige Gesten
Eine Geste, die viele seiner Landsleute damals als übertrieben erachten – und dennoch eine Geste, mit der Willy Brandt Geschichte schreibt. So wie 14 Jahre später der deutsche Kanzler Helmut Kohl und Frankreichs Präsident François Mitterrand Hand in Hand an den Gräbern in Verdun die Versöhnung zwischen ihren beiden Völkern vollenden, wird der kniende Kanzler in Warschau zum Ausdruck der Bitte um Vergebung für die Verbrechen des Nazi-Regimes im Zweiten Weltkrieg. Dass Brandt selbst zu dessen Opfern gehört und während der Hitler-Diktatur in den Untergrund und ins Exil muss, verleiht seiner Geste zusätzliches Gewicht.
Der Kniefall von Warschau ist aber auch die nachhaltigste Expression seiner Politik der Aussöhnung und Annäherung mit der Sowjetunion und deren Bruderstaaten, inklusive der DDR. Seine Ostpolitik, die mit der bis dahin in der Bundesrepublik geltenden, der Kalten-Krieg-Logik gehorchenden Hallstein-Doktrin bricht, mündet in der Unterzeichnung der OstVerträge. Der Vertrag mit Polen, der unter anderem die Anerkennung
der Oder-Neisse-Linie als deutsch-polnische Grenze beinhaltet, wird am 8. Dezember 1970, dem Tag nach dem Kniefall, unterzeichnet – von Willy Brandt und dem polnischen Ministerpräsidenten
Jozef Cyrankiewicz, ein Überlebender der Auschwitz-Hölle.
Für seine Ostpolitik, die Brandts langjähriger Weggefährte Egon Bahr maßgeblich mitskizziert, wird Willy Brandt 1971 mit dem
Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Und er darf 18 Jahre später, am 9. November 1989, den Fall der Berliner Mauer erleben, der ein Jahr später in der Wiedervereinigung mündet. „Es wächst zusammen, was zusammen gehört”, kommentiert Willy Brandt das Ende der deutschen Teilung. Den Weg dorthin hat auch seine Ostpolitik mit deren Maxime „Wandel durch Annäherung“geebnet.