Es wird eng für Erdogan
Die Europäische Union berät über Sanktionen gegen die Türkei – deren Staatschef gießt wieder Öl ins Feuer
Für die Türkei beginnt in ihren Beziehungen zur Europäischen Union eine Schicksalswoche. Heute konferieren die EU-Außenminister. Das Treffen dient der Vorbereitung des Europäischen Rats am Donnerstag und Freitag. Auf dem Gipfel werden die Staats- und Regierungschefs darüber beraten, ob gegen die Türkei wegen ihrer als völkerrechtswidrig erachteten Erdgas-Explorationen im östlichen Mittelmeer Sanktionen verhängt werden. Ankara kreuzt dort seit Monaten mit Kriegs- und Bohrschiffen in Gebieten, die nach der UNO-Seerechtskonvention den EU-Staaten Griechenland und Zypern als ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) zustehen.
Appelle der EU, die Erdgas-Explorationen zu beenden, zeigten keine Wirkung. EU-Ratspräsident Charles Michel ist enttäuscht. Die EU habe Ankara im Oktober „die Hand ausgestreckt“, um Konflikte beizulegen. Die Entwicklung seitdem sei aber negativ, sagte Michel am Freitag. Es gebe weiter „einseitige Akte und feindselige Rhetorik“. Es sei an der Zeit, „das Katz- und Mausspiel zu beenden“. Die EU sei nun „bereit, die Mittel zu nutzen, über die wir verfügen“.
Erdogan attackiert Macron
Erdogan zeigt sich unbeeindruckt und heizt den Konflikt weiter an, mit Verbalangriffen auf den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Er hoffe, die Franzosen würden ihren Staatschef „so bald wie möglich loswerden“. Macron sei „ein Problem für Frankreich“, mit ihm lebe das Land „in einer sehr gefährlichen Zeit“, warnte Erdogan.
Der türkische Staatschef setzt auf Konfrontation, nicht nur mit Frankreich. Zeitgleich zum EUGipfel hat die Türkei jetzt See- und Luftmanöver ihrer Streitkräfte zwischen den griechischen Inseln Rhodos und Kastelorizo sowie vor der Küste Kretas angekündigt. Geschossen
werden soll mit scharfer Munition.
Bereits im Februar hatte die EU Einreiseverbote und Vermögenssperren gegen Personen verhängt, die an den Erdgasbohrungen vor Zypern beteiligt gewesen sein sollen. Neue Sanktionen würden deutlich weiter gehen.
Zur Diskussion steht unter anderem, der Türkei die Nutzung europäischer Häfen zu untersagen, den Zugang zu Technologien und die Finanzbeziehungen einzuschränken sowie türkische Amtsträger mit Visa-Sperren zu belegen.
Das Europäische Parlament hat sich vor zehn Tagen mit großer Mehrheit für „scharfe Sanktionen“gegen Ankara ausgesprochen. Aber Widerspruch gegen Strafmaßnahmen kommt vor allem aus Italien, Spanien und Ungarn.
Mit Ungarns Premier Viktor Orban verbindet Erdogan eine enge politische Seelenverwandtschaft. Spanien und Italien haben handfeste wirtschaftliche Interessen, die gegen Türkei-Sanktionen sprechen: Banken beider Länder sind eng mit dem türkischen Finanzsystem verflochten und haben riesige Bestände türkischer Anleihen in ihren Bilanzen.
Größter Bremser ist Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel glaubt, auf die deutschen Rüstungsexporte, die Interessen der mehr als 6 000 deutschen Firmen in der Türkei und auf Erdogans
„langen Hebel“in der Migrationspolitik Rücksicht nehmen zu müssen.
Rückhalt durch Merkel bröckelt
Erst im Oktober hatte Erdogan der EU gedroht, er werde „die Tore öffnen und 3,6 Millionen Migranten zu euch schicken“. Merkel hoffte, im griechisch-türkischen Konflikt vermitteln zu können, ist damit aber in den vergangenen Monaten gleich zweimal gescheitert. Jetzt schließt sogar die Kanzlerin Sanktionen nicht mehr aus. Für Erdogan wird es damit eng.
Die Türkei habe „alles falschgemacht und nichts ausgelassen, alle gegen sich aufzubringen, nicht nur in Europa“sagte am Freitag der stellvertretende EU-Kommissionspräsident Margaritis Schinas. Es gehe nun um mehr als kurzfristige Maßnahmen gegen Ankara: „Wir stehen vor einer grundsätzlichen Neuausrichtung der Beziehungen Amerikas und Europas mit der Türkei“, meint der KommissionsVize.
Wir stehen vor einer grundsätzlichen Neuausrichtung der Beziehungen Amerikas und Europas mit der Türkei. Der stellvertretende EU-Kommissionspräsident Margaritis Schinas