Hin- und hergeschoben
In Zeiten von Corona ist das Schicksal von Flüchtlingen und Migranten, die auf dem Weg nach Europa ihr Leben verlieren oder auf der ganzen Welt in kümmerlichen Unterkünften – abgeschottet von der Außenwelt – ein jämmerliches Dasein fristen müssen, oft nur noch eine Randnotiz wert. Das trifft u. a. auf jene Menschen zu, die nach dem Brand im berüchtigten Flüchtlingslager von Moria am 9. September evakuiert werden mussten. Groß war damals der Aufschrei und der Wille, endlich in Sachen EU-Asylrechtsreform voranzukommen. Doch drei Monate danach muss man nüchtern konstatieren: Viele warmen Worte, wenig konkrete Taten.
Die Lebensbedingungen haben sich nur für einen kleinen Teil der Betroffenen tatsächlich verbessert. Und statt dauerhaften Lösungen müssen bei jeder neuen Krise immer noch Ad-hoc-Bündnisse williger EU-Staaten geschmiedet werden, während andere sich allzu leicht ihrer Verantwortung entziehen können. Das Wohl der Flüchtlinge und Migranten bleibt dabei außen vor. Sie werden hin- und hergeschoben und zum Spielball der Interessen nationaler Regierungen.
Dazu gehören auch etwa
100 000 Rohingya-Flüchtlinge, die aufgrund von Verfolgung ihr Heimatland Myanmar verlassen mussten und nun in Bangladesch auf eine Insel umgesiedelt werden sollen. Für die Einheimischen selbst war die Gefahr, in einem Gebiet zu siedeln, das alljährlich von tropischen Zyklonen heimgesucht wird, zu groß. Doch für die RohingyaFlüchtlinge ist das kleine Eiland offenbar noch gerade gut genug. Zynisch klingen dabei die Worte der Regierung in Dhaka, die von „allen modernen Annehmlichkeiten“und „ordentlichen Infrastrukturen“spricht, während Hilfsorganisationen bereits Alarm schlagen. Anstatt die Flüchtlinge zu integrieren und deren Potenzial für die eigene Gesellschaft nutzbar zu machen, werden sie auf einer kleinen Insel zusammengepfercht und der Gefahr von Naturkatastrophen leichtfertig ausgesetzt.
Dabei ist Flüchtlings- und Migrationspolitik kein Nullsummenspiel, wie das beispielsweise von Rechtspopulisten gerne dargestellt wird. In diesem Denkschema gibt es nur einen begrenzten Reichtum an Ressourcen, der verteilt werden kann. Mehr Menschen bedeuten demnach schlicht weniger Reichtum für jeden Einzelnen. Dabei haben Migranten – und auch Flüchtlinge – in der Vergangenheit mit ihren fleißigen Händen und klugen Köpfen maßgeblich zur Mehrung des Reichtums in den Aufnahmeländern beigetragen, in Luxemburg, aber auch anderswo. Die Geschichte hat gezeigt, dass jene Gesellschaften langfristig am erfolgreichsten waren, die sich externen Einflüssen gegenüber offen zeigten, andere Sichtweisen als Bereicherung der eigenen Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft wahrnahmen anstatt als Bedrohung. Und will ein Flüchtling oder Migrant – der in erster Linie ein Mensch ist und bleibt – nicht letztlich das, was jeder sich auf dieser Welt wünscht? Ein besseres Leben für sich selbst und seine Familie. Zur Erinnerung: Es gab auch Zeiten bitterer Armut, die etwa Ende des 19. Jahrhunderts Abertausende Luxemburger über den Atlantik trieb, um in den USA ihr Glück zu suchen. Ein Land, dessen globaler Aufstieg untrennbar mit der Zuwanderung von Arbeitskräften und der Aufnahme von in Europa verfolgten Minderheiten verbunden ist.
Flüchtlings- und Migrationspolitik ist kein Nullsummenspiel.