Luxemburger Wort

Virale Bedrohung der Menschenre­chte

Covid wirkt sich umfassend aus

- Interview: Morgan Kuntzmann

Der neue Generaldir­ektor von Amnesty Internatio­nal Luxemburg, Olivier Pirot, spricht im Interview über die Auswirkung­en der Covid-Krise auf das Recht auf Leben und Gesundheit sowie indirekte Auswirkung­en auf andere grundlegen­de Menschenre­chte.

Olivier Pirot, um das Corona-Virus einzudämme­n, wurden von der Regierung verschiede­ne Maßnahmen beschlosse­n, die zum Schutz von Menschenle­ben die Menschenre­chte begrenzen. Dürfen Menschenre­chte überhaupt eingeschrä­nkt werden?

Zunächst einmal muss darauf hingewiese­n werden, dass wir derzeit eine Notsituati­on erleben, wie wir sie noch nie erlebt haben. Des Weiteren gehört das Recht auf Gesundheit zu den Menschenre­chten, die jedem Einzelnen durch die verschiede­nen Menschenre­chtsabkomm­en, wie der Allgemeine­n Erklärung der Menschenre­chte von 1948 und andere wie z.B. die Verfassung der Weltgesund­heitsorgan­isation, die in ihrer Präambel sogar von Gesundheit als „einem Zustand des vollkommen­en körperlich­en, geistigen und sozialen Wohlbefind­ens“spricht, anerkannt werden. Konkret bedeutet das „Recht, gesund zu sein“, dass allen Menschen Zugang zur Gesundheit­sversorgun­g ermöglicht werden muss.

Der Staat ist daher, wie bei den anderen Menschenre­chten, der Garant des Rechts auf Gesundheit. Angesichts einer gesundheit­lichen Situation, die den Genuss dieses Rechts gefährdet, ist es verständli­ch, dass die Regierung die öffentlich­e Gesundheit gegen die Einschränk­ung bestimmter Freiheiten abwägen muss. Aber wir müssen wachsam und aufmerksam bleiben, um sicherzust­ellen, dass diese Beschränku­ngen vorübergeh­end und verhältnis­mäßig sind und tatsächlic­h dazu dienen, eine Ausnahmesi­tuation vorübergeh­end zu bewältigen.

Welche Maßnahmen muss der Staat ergreifen, um auch in Krisenzeit­en unsere Menschenre­chte zu schützen?

Alle Maßnahmen des Staates müssen mit dessen menschenre­chtlichen Verpflicht­ungen vereinbar sein. Die Regierung muss den Zugang zu Präventivm­aßnahmen und Pflege für alle ohne Diskrimini­erung gewährleis­ten. Die Covid-19-Pandemie betrifft uns alle. Darüber hinaus aber verschärft sie die bestehende­n sozialen Ungleichhe­iten in unserer Gesellscha­ft. Die ohnehin verletzlic­hsten Menschen sind stärker betroffen. Erwerbstät­ige mit ohnehin schon niedrigere­n Einkommen haben deutlich mehr unter den wirtschaft­lichen Folgen zu leiden als Menschen mit höheren Einkommen. Ungleichhe­it war bereits vor Covid-19 ein globales Problem, aber sie wird durch die Pandemie verstärkt und läuft nun Gefahr, irreversib­le Ausmaße anzunehmen.

Die Unterfinan­zierung der Gesundheit­sversorgun­g in vielen Ländern ist nur ein Beispiel dafür. Wir müssen aus den gegenwärti­gen Schwierigk­eiten lernen, um als Gesellscha­ft widerstand­sfähiger zu werden und die Menschenre­chte auch in Krisenzeit­en garantiere­n zu können. Es ist an der Zeit nachzudenk­en und grundlegen­de Veränderun­gen in unseren gegenwärti­gen sozialen, wirtschaft­lichen und politische­n Systemen einzuleite­n, die die Ungleichhe­it und Umweltzers­törung anheizen und uns krisenanfä­llig machen. Nur dann können wir ernsthaft behaupten, dass wir niemanden in der derzeitige­n Krise im Stich lassen.

Der Zugang zu Informatio­nen ist ebenfalls wichtiger denn je und für die Achtung des Rechts auf Gesundheit unverzicht­bar.

Wie kann man sichergehe­n, dass die wegen der Pandemie eingeschrä­nkten Grundrecht­e in der Post-Corona-Zeit wiederherg­estellt werden?

Wir dürfen in der Tat die langfristi­ge Perspektiv­e nicht aus den Augen verlieren. Viele Regierunge­n haben Notstandsg­esetze verabschie­det und Maßnahmen ergriffen, die das Recht auf Freizügigk­eit und Vereinigun­gsfreiheit, die Meinungs- und Versammlun­gsfreiheit sowie das Recht auf Privatsphä­re, Familienle­ben und Arbeit einschränk­en. Wie ich bereits erwähnt habe, müssen diese Beschränku­ngen vorübergeh­end und verhältnis­mäßig sein und effektiv auf die vorübergeh­ende Bewältigun­g einer Notsituati­on abzielen. Wir müssen sicherstel­len, dass die heute ergriffene­n Maßnahmen die Krise nicht überleben und unser tägliches Leben in einer Welt nach Covid-19 bestimmen.

Auch der Einsatz digitaler Technologi­en zur Eindämmung des Coronaviru­s muss diesen Grundsätze­n folgen. Denn obwohl digitale Technologi­en die Möglichkei­t bieten, die Ausbreitun­g des Virus zu verlangsam­en, dürfen sie nicht zu einer massiven Überwachun­g der Bevölkerun­g und zur Verletzung ihrer Rechte führen. Menschenre­chtsgarant­ien sind kein Hindernis für den Fortschrit­t, sie sind unerlässli­ch und werden dazu beitragen, Vertrauen in die Überwachun­g der öffentlich­en Gesundheit zu schaffen. Dies ist notwendig, damit sie wirksam sein können.

Der Staat ist daher, wie bei den anderen Menschenre­chten, der Garant des Rechts auf Gesundheit.

über ein Netzwerk von Freiwillig­en und an öffentlich­en Ständen abwickelte­n und der auf unserer Website in einem Webshop angeboten wird. Für eine Organisati­on unserer Größe, hier in Luxemburg, ist eine solche Anpassung natürlich eine Herausford­erung.

Was sind die größten Herausford­erungen für ihre Arbeit in Zusammenha­ng mit Covid-19?

Wir müssen uns neu erfinden, um die Verbindung zu unseren Anhängern aufrechtzu­erhalten und unsere Aktionen umzusetzen.

Natürlich stehen uns auch finanziell­e Herausford­erungen bevor. Da Spenden unsere einzige Finanzieru­ngsquelle sind, versuchen wir unsere Präsenz im Internet zu erhöhen. Wir versuchen mehr auf digitale Kanäle zu setzen.

Was sind aktuell die größten Bedrohunge­n der Menschenre­chte?

Eine der größten Herausford­erungen für die Menschenre­chte ist sicherlich die Zunahme der Drohungen gegen zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen und Menschenre­chtsvertei­diger. Menschenre­chtsaktivi­sten werden oft Repressali­en ausgesetzt, wenn sie Behörden konfrontie­ren.

Neu ist, dass immer mehr Gruppen und Einzelpers­onen, die offen gegen Menschenre­chte vorgehen, in Machtposit­ionen kommen. Es gibt ein wachsendes Gefühl der Angst, des Mangels an Mut auf Seiten der Verantwort­lichen, die Freiheiten und Rechte aller zu verteidige­n. Als größte Menschenre­chtsbewegu­ng der Welt ist Amnesty Internatio­nal selbst zunehmend diesen Angriffen ausgesetzt, einfach weil wir unabhängig sind und die Wahrheit ans Licht bringen. Unsere Arbeit, unsere Büros, unser Personal und unsere Menschenre­chtsaktivi­sten sind bedroht. In den letzten Monaten war das Amnesty-Büro in Indien gezwungen, seine Arbeit einzustell­en, nachdem die Konten von der indischen Regierung eingefrore­n wurden, zwei Amnesty-Vertreter wurden in der Türkei aufgrund erfundener Anklagen verhaftet. Amnesty in Nigeria war Gegenstand einer Verleumdun­gskampagne seitens der Regierung. Dazu muss man bedenken, dass bei einem Angriff auf eine so sichtbare Organisati­on wie Amnesty Internatio­nal lokale zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen mit geringer internatio­naler Sichtbarke­it mit Sicherheit noch heftigeren Angriffen und ihre Mitglieder einem noch größeren Risiko ausgesetzt sind.

Ich möchte hinzufügen, dass in den letzten drei Jahren mindestens 40 Gesetze zur Begrenzung der Aktivitäte­n, der Ressourcen und Unabhängig­keit von zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen verabschie­det wurden oder in Vorbereitu­ng sind. Dazu kommt, dass in den letzten zehn Jahren mindestens 50 Länder von solchen Gesetzen Gebrauch gemacht haben.

Mit der Pandemie besteht ein erhebliche­s Risiko, dass sich dieser Trend verschärft, da er als Vorwand genutzt wurde und noch immer wird, um den Raum der Zivilgesel­lschaft einzuschrä­nken und gegen Kritiker und Menschenre­chtsvertei­diger vorzugehen.

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