Die Stimme erheben
Er blickt noch ein letztes Mal in die Fernsehkameras. Dann klettert er in den Bus, der ihn und andere Angeklagte zum Gerichtsgebäude in Hongkong bringt. Dort wird der Demokratieaktivist Joshua Wong am 2. Dezember zu dreizehneinhalb Monaten Haft verurteilt, wegen der Organisation nicht genehmigter Proteste. Seine beiden Mitstreiter Agnes Chow und Ivan Lam müssen zehn beziehungsweise sieben Monate hinter Gitter.
„Was wir jetzt tun, ist, der Welt den Wert der Freiheit zu erklären“, sagt Wong vor dem Prozessauftakt. Seine Worte hallen nach – besonders am heutigen Welttag der Menschenrechte. Wong, Chow und Lam stehen stellvertretend für alle diejenigen, die autoritären Regierungen trotzen und ihren Kampf für Grund- und Menschenrechte mit ihrer persönlichen Freiheit bezahlen müssen. Und dennoch nicht aufgeben.
In China werden die Menschenrechte jedoch nicht nur in der Sonderverwaltungszone verletzt. Eine Million Uiguren sitzt laut Medienberichten in Umerziehungslagern. Und der kulturelle Genozid im seit 1950 besetzten Tibet geht weiter. Peking nutzt die Pandemie zudem, um seinen Überwachungsstaat auszubauen. Dies sei auch der Fall in Vietnam, Kambodscha und Thailand, wo bislang geltende Datenschutzstandards ausgehebelt worden seien, bemängelt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Überhaupt kommt die Corona-Krise verschiedenen Staaten gelegen, um die Schrauben fester anzuziehen und Grundrechte möglicherweise dauerhaft einzuschränken. Die Fortschritte für die Menschenrechte, die in den vergangenen Jahrzehnten zu beobachten waren, werden mancherorts bereits seit ein paar Jahren zurückgedreht – und Corona verstärkt diesen Trend noch.
Selbst in der Europäischen Union, diesem Hort des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands, gibt es autoritäre Auswüchse, die vor Jahren noch unvorstellbar waren. In Polen und Ungarn wird die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen getreten, die Pressefreiheit steht unter Druck, Minderheiten werden diskriminiert. Seit Jahren verhindern einige EU-Mitglieder die Verabschiedung einer Asylpolitik, die diesen Namen auch verdient. In der Zwischenzeit sterben auf dem Mittelmeer unzählige Menschen, auf der Suche nach einem besseren Leben.
Doch trotz aller Rückschläge lässt sich die Zivilgesellschaft nicht unterkriegen – und das macht Mut. Vielerorts protestieren Menschen für ihre Rechte und lassen sich nicht von prügelnden Schergen einschüchtern. Seit dem Sommer gehen in Belarus Demonstranten auf die Straße, in Chile haben sich die Protestierenden ein Verfassungsreferendum erkämpft, in den USA fanden Massenproteste gegen Rassismus statt, in Polen fordern Frauen eine Lockerung des strikten Abtreibungsgesetzes ...
Alle diese mutigen Vorkämpfer verdienen unsere Unterstützung. Solidarität sollte besonders in der Krise das Gebot der Stunde sein. Da passt es ins Bild, dass Außenminister
Jean Asselborn heute die Kampagne lanciert, mit der Luxemburg sich für ein zweijähriges Mandat im UN-Menschenrechtsrat bewirbt. Damit das Großherzogtum seine Stimme lauter als bisher erheben kann – nicht nur für Joshua Wong, Agnes Chow und Ivan Lam ...
Trotz aller Rückschläge lässt sich die Zivilgesellschaft nicht unterkriegen.
Kontakt: francoise.hanff@wort.lu