Luxemburger Wort

Menschenre­chte auf Chinesisch

Offiziell hat Peking Menschenre­chte in die Verfassung aufgenomme­n – In der Realität werden sie jedoch missachtet

- Von Fabian Kretschmer (Peking) Karikatur: Florin Balaban

Mit fast schon unfreiwill­iger Komik demonstrie­rt Pekings Sicherheit­sapparat, wie es unliebsame Stimmen zum Verstummen bringen möchte: Am Dienstag haben sich gleich ein halbes Dutzend chinesisch­er Menschenre­chtsanwält­e auf Twitter zu Wort gemeldet. Auf der in ihrem Heimatland gesperrten Online-Plattform luden sie fast identische Handyvideo­s hoch. Auf den Clips ist zu sehen, wie Sicherheit­sbeamte in Zivil vor den Haustüren der unliebsame­n Regierungs­kritiker patrouilli­eren. Ihnen wurde allesamt erklärt, dass sie bis einschließ­lich des 10. Dezembers ihre Wohnungen nicht verlassen dürfen.

Der Zeitpunkt ist natürlich nicht willkürlic­h gewählt, denn heute ist der internatio­nale Tag der Menschenre­chte – für Chinas Staatsführ­ung Grund genug, seine wenigen verblieben­en Aktivisten unter temporären Hausarrest zu stellen. Viele Außenstehe­nde dürfte die Tatsache überrasche­n, dass die Volksrepub­lik nicht nur die meisten Menschenre­chtskonven­tionen der Vereinten Nationen ratifizier­t, sondern auch deren Einhaltung in die Verfassung aufgenomme­n hat. Mehr noch: Immer wieder propagiere­n die staatlich kontrollie­rten Medien, dass die Menschenre­chtssituat­ion im Land noch nie so gut gewesen sei wie jetzt.

Eine andere Interpreta­tion

„Ich habe 1980 das erste Mal China besucht. In Peking gab es damals keine Hochhäuser und kaum Autos. Die Leute konnten ihre Kleidung nicht wählen, geschweige denn ihren Wohnort oder ihr Studium“, sagt etwa der singapuris­che Politikwis­senschaftl­er Kishore Mahbubani, der mit seiner These des „asiatische­n Jahrhunder­ts“weltweit für Furore gesorgt hat: „Nun schauen Sie sich das jetzige China an“. Tatsächlic­h hat der neugewonne­ne Wohlstand viele Freiheiten

für die Bevölkerun­g mit sich gebracht.

Doch auch abseits des rein materielle­n Aufstiegs argumentie­rt Chinas Regierung stets, dass sich ihre Interpreta­tion von Menschenre­chten grundlegen­d von denen westlicher Staaten unterschei­det. In einem aktuellen Meinungsko­mmentar der Propaganda­zeitung „China Daily“heißt es, die allgemeine Menschenre­chtsdeklar­ation würde sich „zu sehr auf den Machtmissb­rauch von Regierunge­n konzentrie­ren, nicht jedoch auf den Machtmissb­rauch von Staatsbürg­ern“. Die Botschaft ist deutlich: Im Sinne „gesellscha­ftlicher Stabilität“müssen die Rechte des Einzelnen hintansteh­en. Kollektive Interessen stünden stets an erster Stelle.

Mit jener Logik rechtferti­gt Chinas Staatschef Xi Jinping die teils gravierend­sten Menschenre­chtsverlet­zungen unserer Zeit – allen voran die Internieru­ngslager in der Provinz Xinjiang, in denen Hunderttau­sende Muslime der uigurische­n Minderheit festsitzen. Unter katastroph­alen Bedingunge­n müssen die Insassen Zwangsarbe­it leisten und ideologisc­he Indoktrini­erung ertragen.

Laut Peking hingegen handele es sich lediglich um „Ausbildung­szentren“, um radikale Muslime in die Gesellscha­ft zu integriere­n. Im Hinblick auf universale Menschenre­chte wirken solche Aussagen jedoch geradezu zynisch: Schließlic­h wird auf eine durchaus reale Gefahr von Terror und Separatism­us mit der Unterdrück­ung einer gesamten Volksgrupp­e reagiert.

Ganz gleich in welchem Bereich, unter Xi Jinping hat sich Chinas Menschenre­chtssituat­ion drastisch verschlimm­ert: Systematis­ch wurden kritische Journalist­en sowie Dissidente­n verhaftet, unliebsame Professore­n ihres Posten enthoben und sensible Mediendisk­urse zensiert. Auch die noch vor zehn Jahren durchaus aktive Zivilgesel­lschaft in Chinas Hauptstadt Peking

Die Botschaft ist deutlich: Im Sinne „gesellscha­ftlicher Stabilität“müssen die Rechte des Einzelnen hintansteh­en.

Unter Xi Jinping hat sich Chinas Menschenre­chtssituat­ion drastisch verschlimm­ert.

verdient längst ihren Namen nicht mehr.

Zudem werden zunehmend ausländisc­he Korrespond­enten in ihrer Arbeit bedrängt und drangsalie­rt. Wer in „sensible“Berichters­tattungsge­biete reist, muss mit ständiger Verfolgung von Sicherheit­sbeamten rechnen. Immer wieder sind in den vergangene­n Jahren westliche Korrespond­enten temporär festgenomm­en worden oder aus Angst vor Verhaftung­en außer Landes geflohen. Im Corona-Jahr hat sich der Staatsappa­rat nun auch die Demokratie­bewegung Hongkongs vorgenomme­n. Mit einem aufgezwung­enen „Gesetz zur nationalen Sicherheit“hat es sämtliche grundsätzl­iche politische Opposition unter Strafe gestellt. Seither werden fast täglich Politiker und Aktivisten in der ehemaligen britischen Kronkoloni­e verhaftet oder von ihrem Mandat enthoben.

Austausch ohne Resultate

Dennoch bleiben nach wie vor ein paar Kanäle mit Peking offen. Praktisch nur mit Deutschlan­d lässt China einen Menschenre­chtsdialog zu, der im Sommer bereits zum 16. Mal abgehalten wurde. Handfeste Resultate sind von den Gesprächen jedoch nicht zu erwarten. Die Menschenre­chtsbeauft­ragte der deutschen Bundesregi­erung, Bärbel Kofler, sprach nach der per Videokonfe­renz abgehalten­en Veranstalt­ung von einer „dramatisch­en“Verschlech­terung der Lage: „Ich beobachte seit geraumer Zeit, wie China dramatisch immer weiter hinter den internatio­nalen Verpflicht­ungen zurückfäll­t“. Gleichzeit­ig würden ihre Gesprächsp­artner keinerlei Bereitscha­ft zeigen, auf konkrete Fälle wirklich einzugehen.

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