Ein Verbrechen, über das niemand spricht
Tödliche Gewalttaten unter Beziehungspartnern sind auch in Luxemburg keine Einzelfälle
Luxemburg. Heute endet die Sensibilisierungskampagne zur Gewalt gegen Frauen und Mädchen, die Orange Week. Ende November wird sich jedes Jahr darum bemüht, aufzuzeigen, dass dieses Problem auch in Luxemburg ganz real ist. Zudem vermittelt die Aktion auch den Opfern, dass sie nicht alleine dastehen – und sie ist deswegen ein starkes Zeichen.
849 Mal war die Polizei im vergangenen Jahr wegen häuslicher Gewalt im Großherzogtum im Einsatz. Das sind 13 Prozent mehr Fälle als im Jahr zuvor. Und auch tödliche Gewalttaten sind in Luxemburg keine Ausnahmefälle.
Auch heutzutage werden diese oftmals verharmlosend als Beziehungsoder Liebesdrama oder gar als Verbrechen aus Leidenschaft bezeichnet – obwohl es oftmals regelrechte Hassverbrechen sind. Und obschon sie ein gesellschaftliches Phänomen darstellen, erzielen sie oft nur als Einzelfälle Aufmerksamkeit – etwa, wenn ein solcher Mord oder Totschlag vor Gericht verhandelt wird.
Ein Mord, von dem niemand weiß
Im Dezember 2019 hatte das „Luxemburger Wort“Mordfälle aus den vergangenen Jahren durchleuchtet und dabei seit Januar 2015 acht Fälle identifiziert, bei denen es innerhalb einer Beziehung zu Gewalt mit tödlichem Ausgang gekommen ist. Dabei hat sich inzwischen gezeigt, dass in dieser Auflistung ein Fall fehlt, der bislang nicht seinen Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat.
Am 8. November 2019 stirbt in einem Haus im Differdinger Neubauviertel Arboria eine 65-jährige Frau. Der Tatort liegt ausgerechnet an einem Platz, der nach der Luxemburger Frauenrechtlerin Marie-Paule Molitor-Peffer benannt ist.
Über die Tatumstände ist nur wenig bekannt. Die Pressestelle der Justiz bestätigt auf LW-Nachfrage lediglich, dass es an diesem Tag in einem Haus in Differdingen tatsächlich einen tödlichen Zwischenfall gegeben habe. In diesem Zusammenhang sei wenige Tage später der Ehemann des Opfers in Untersuchungshaft untergebracht worden, wo er sich noch immer befinde. Die Ermittlungen seien indes weit fortgeschritten und würden in den nächsten Monaten abgeschlossen werden.
Beschuldigter bestreitet Tat
Übereinstimmenden LW-Informationen zufolge bestreitet der Mann die Tat. Er könne sich nicht erinnern, einen Mord begangen zu haben – und wenn, dann habe er seine Frau wohl im Schlaf getötet. In diesem Kontext wird den vorliegenden Informationen zufolge zudem eine psychische Erkrankung des tatverdächtigen Rentners ins
Gespräch gebracht. Klarheit wird in diesem Fall aber wohl nur der Gerichtsprozess erbringen, der den Angaben der Justizpressestelle nach wohl in geraumer Zeit stattfinden wird.
Der Tod der 65-jährigen Frau, die mutmaßlich von ihrem Ehemann getötet wurde, wird aber noch weitere Kreise ziehen. Im Juni 2020 nimmt sich die 41-jährige Tochter des Paares das Leben. Die Grundschullehrerin habe zwar bereits früher mit Depressionen zu kämpfen gehabt, heißt es, den gewaltsamen Tod der Mutter habe sie aber nie überwinden können.
Zeugen können Leben retten
Unabhängig von dem noch unbekannten Kontext, in dem der Mord in Differdingen tatsächlich stattgefunden hat, ist es eines der übergeordneten Ziele der von der Orange Week unterstützten Organisationen,
derartige Gewalttaten zu verhindern und bereits bei frühzeitigen Warnzeichen Hilfestellung zu bieten. Darüber hinaus richtet sich die Orange Week ganz klar nicht nur an Opfer. Auch Zeugen sind bei häuslicher Gewalt in der Verantwortung.
Wer einen Verdacht hegt, das unterstreichen Fachleute immer wieder, sollte dem nachgehen. Es ist dabei wichtig, zuerst einmal zu versuchen, zu erkennen, was genau gerade geschieht. Dabei können Anzeichen für häusliche Gewalt sehr vielseitig sein. Häufig fällt beispielsweise auf, dass Betroffene ihr Verhalten drastisch ändern. Oft sagen sie auch überraschend Termine ab, oder fehlen bei der Arbeit.
Zuhören, nicht urteilen
Vertraut sich eine betroffene Person an, ist es entscheidend, zuzuhören ohne zu urteilen. Es ist wichtig einfach da zu sein. Falsch ist es, das zeigt die Erfahrung, selbst den Täter anzugehen oder Streit zu provozieren. Wer einer Person in einer Notlage wegen häuslicher Gewalt hilft, sollte auf Diskretion achten, um eine Eskalierung zu vermeiden. Opfer brauchen vor allem eine Vertrauensperson.
Es ist durchaus nachvollziehbar, sich als Zeuge überfordert zu fühlen. Doch auch als Helfer ist man nicht alleine. Wer nicht weiß, wie mit der Situation umzugehen und ein Opfer zu unterstützen, der kann sich an dieselben Anlaufstellen wenden wie die Opfer.
Allerdings ist es ebenfalls wichtig, dass das Opfer auch selbst Kontakt aufnimmt. Denn nur wenn es selbst bereit ist, Hilfe anzunehmen, kann ihm tatsächlich geholfen werden. Ist ein Opfer nicht oder noch nicht bereit, sich an Drittpersonen zu wenden, dann ist es dennoch wichtig, die Rolle der Vertrauensperson weiter zu führen und präsent zu sein. Droht jedoch akute Gefahr, führt kein Weg an der Polizei vorbei.