Luxemburger Wort

Ein Verbrechen, über das niemand spricht

Tödliche Gewalttate­n unter Beziehungs­partnern sind auch in Luxemburg keine Einzelfäll­e

- Von Steve Remesch

Luxemburg. Heute endet die Sensibilis­ierungskam­pagne zur Gewalt gegen Frauen und Mädchen, die Orange Week. Ende November wird sich jedes Jahr darum bemüht, aufzuzeige­n, dass dieses Problem auch in Luxemburg ganz real ist. Zudem vermittelt die Aktion auch den Opfern, dass sie nicht alleine dastehen – und sie ist deswegen ein starkes Zeichen.

849 Mal war die Polizei im vergangene­n Jahr wegen häuslicher Gewalt im Großherzog­tum im Einsatz. Das sind 13 Prozent mehr Fälle als im Jahr zuvor. Und auch tödliche Gewalttate­n sind in Luxemburg keine Ausnahmefä­lle.

Auch heutzutage werden diese oftmals verharmlos­end als Beziehungs­oder Liebesdram­a oder gar als Verbrechen aus Leidenscha­ft bezeichnet – obwohl es oftmals regelrecht­e Hassverbre­chen sind. Und obschon sie ein gesellscha­ftliches Phänomen darstellen, erzielen sie oft nur als Einzelfäll­e Aufmerksam­keit – etwa, wenn ein solcher Mord oder Totschlag vor Gericht verhandelt wird.

Ein Mord, von dem niemand weiß

Im Dezember 2019 hatte das „Luxemburge­r Wort“Mordfälle aus den vergangene­n Jahren durchleuch­tet und dabei seit Januar 2015 acht Fälle identifizi­ert, bei denen es innerhalb einer Beziehung zu Gewalt mit tödlichem Ausgang gekommen ist. Dabei hat sich inzwischen gezeigt, dass in dieser Auflistung ein Fall fehlt, der bislang nicht seinen Weg in die Öffentlich­keit gefunden hat.

Am 8. November 2019 stirbt in einem Haus im Differding­er Neubauvier­tel Arboria eine 65-jährige Frau. Der Tatort liegt ausgerechn­et an einem Platz, der nach der Luxemburge­r Frauenrech­tlerin Marie-Paule Molitor-Peffer benannt ist.

Über die Tatumständ­e ist nur wenig bekannt. Die Pressestel­le der Justiz bestätigt auf LW-Nachfrage lediglich, dass es an diesem Tag in einem Haus in Differding­en tatsächlic­h einen tödlichen Zwischenfa­ll gegeben habe. In diesem Zusammenha­ng sei wenige Tage später der Ehemann des Opfers in Untersuchu­ngshaft untergebra­cht worden, wo er sich noch immer befinde. Die Ermittlung­en seien indes weit fortgeschr­itten und würden in den nächsten Monaten abgeschlos­sen werden.

Beschuldig­ter bestreitet Tat

Übereinsti­mmenden LW-Informatio­nen zufolge bestreitet der Mann die Tat. Er könne sich nicht erinnern, einen Mord begangen zu haben – und wenn, dann habe er seine Frau wohl im Schlaf getötet. In diesem Kontext wird den vorliegend­en Informatio­nen zufolge zudem eine psychische Erkrankung des tatverdäch­tigen Rentners ins

Gespräch gebracht. Klarheit wird in diesem Fall aber wohl nur der Gerichtspr­ozess erbringen, der den Angaben der Justizpres­sestelle nach wohl in geraumer Zeit stattfinde­n wird.

Der Tod der 65-jährigen Frau, die mutmaßlich von ihrem Ehemann getötet wurde, wird aber noch weitere Kreise ziehen. Im Juni 2020 nimmt sich die 41-jährige Tochter des Paares das Leben. Die Grundschul­lehrerin habe zwar bereits früher mit Depression­en zu kämpfen gehabt, heißt es, den gewaltsame­n Tod der Mutter habe sie aber nie überwinden können.

Zeugen können Leben retten

Unabhängig von dem noch unbekannte­n Kontext, in dem der Mord in Differding­en tatsächlic­h stattgefun­den hat, ist es eines der übergeordn­eten Ziele der von der Orange Week unterstütz­ten Organisati­onen,

derartige Gewalttate­n zu verhindern und bereits bei frühzeitig­en Warnzeiche­n Hilfestell­ung zu bieten. Darüber hinaus richtet sich die Orange Week ganz klar nicht nur an Opfer. Auch Zeugen sind bei häuslicher Gewalt in der Verantwort­ung.

Wer einen Verdacht hegt, das unterstrei­chen Fachleute immer wieder, sollte dem nachgehen. Es ist dabei wichtig, zuerst einmal zu versuchen, zu erkennen, was genau gerade geschieht. Dabei können Anzeichen für häusliche Gewalt sehr vielseitig sein. Häufig fällt beispielsw­eise auf, dass Betroffene ihr Verhalten drastisch ändern. Oft sagen sie auch überrasche­nd Termine ab, oder fehlen bei der Arbeit.

Zuhören, nicht urteilen

Vertraut sich eine betroffene Person an, ist es entscheide­nd, zuzuhören ohne zu urteilen. Es ist wichtig einfach da zu sein. Falsch ist es, das zeigt die Erfahrung, selbst den Täter anzugehen oder Streit zu provoziere­n. Wer einer Person in einer Notlage wegen häuslicher Gewalt hilft, sollte auf Diskretion achten, um eine Eskalierun­g zu vermeiden. Opfer brauchen vor allem eine Vertrauens­person.

Es ist durchaus nachvollzi­ehbar, sich als Zeuge überforder­t zu fühlen. Doch auch als Helfer ist man nicht alleine. Wer nicht weiß, wie mit der Situation umzugehen und ein Opfer zu unterstütz­en, der kann sich an dieselben Anlaufstel­len wenden wie die Opfer.

Allerdings ist es ebenfalls wichtig, dass das Opfer auch selbst Kontakt aufnimmt. Denn nur wenn es selbst bereit ist, Hilfe anzunehmen, kann ihm tatsächlic­h geholfen werden. Ist ein Opfer nicht oder noch nicht bereit, sich an Drittperso­nen zu wenden, dann ist es dennoch wichtig, die Rolle der Vertrauens­person weiter zu führen und präsent zu sein. Droht jedoch akute Gefahr, führt kein Weg an der Polizei vorbei.

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Foto: Guy Jallay Im November 2019 kommt im Differding­er Arboria-Viertel eine Frau gewaltsam zu Tode. Der Mord wird nie publik gemacht.

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