Luxemburger Wort

„Ich bin sehr sehr konservati­v“

Der israelisch­e Philosoph und Bibelexper­te Yoram Hazony ist hoch gebildet und Vater von neun Kindern. Er warnt vor einem Imperialis­mus, der alle Länder unter einem System vereinigen will.

- Von Pierre Heumann

Descartes und die französisc­he Wissenscha­ft angetriebe­n worden sei, Großes zu leisten. So habe er das erste Gravitatio­nsgesetz beschriebe­n. „Es ist die Natur des Menschen, dass er besser sein will als sein Herausford­erer, und wenn eine ganze Nation von diesem sportliche­n Ehrgeiz beseelt ist, ergeben sich neue Perspektiv­en, was den Fortschrit­t beschleuni­gt.“So sei das auch bei der Suche nach einem Impfstoff gegen Covid-19. „Jede Nation mit dem entspreche­nden Know-how will als erste ein Mittel finden, um erstens Gewinne zu machen und zweitens weltweit Prestige zu akkumulier­en.“

Hazony, der sich selber als „sehr sehr konservati­v“bezeichnet, kam 1964 in Rehovot auf die Welt, einer Kleinstadt südlich von Tel Aviv. Er wuchs seit dem ersten Altersjahr in Princeton auf, nachdem sein Vater einen Ruf als Professor für Ingenieurw­issenschaf­ten mit Spezialgeb­iet Roboter erhalten hatte. Heute ist Hazony Präsident des Herzl Institutes in Jerusalem, das sich einer Renaissanc­e jüdischen Gedankengu­tes widmet und Vorsitzend­er der Edmund Burke Foundation in Washington, D.C., einer Stiftung, die die Prinzipien des nationalen Konservati­smus stärken will, wie es auf der Homepage heißt.

Derzeit arbeitet Hazony an einem neuen Buch über die konservati­ve Bewegung, das im nächsten Jahr herauskomm­en soll. Dort will er über seine Sorgen reflektier­en, dass traditione­lle Werte wie Familie und Unabhängig­keit im Westen an Attraktivi­tät verlieren.

Im Mittelpunk­t von Hazony’s Nationalis­mus-Fibel stehen die Urzellen jeder Gesellscha­ft: Die Clans und die Familien. Der Vater von neun erwachsene­n Kindern sieht in Menschen nicht nur Individuen, sondern betrachtet sie als Teil eines Kollektivs. Diese Kollektive verleihen den Mitglieder­n eine Identität – Sprache, Glaube, Tradition – was eine Solidaritä­t zur Gemeinscha­ft generiert. Die dadurch geschaffen­e Loyalität des menschlich­en Kollektivs sieht Hazony als Basis der politische­n Ordnung: „Die ideale politische Organisati­on der Welt stützt sich auf freie und unabhängig­en Nationen, die intern durch familiäre Loyalitäte­n miteinande­r gebunden sind.“

Natürlich sei jede Nation, die aus verschiede­nen Stämmen, mehreren Religionen und unterschie­dlichen Sprachen bestehe in sich heterogen, sagt Hazony. „Wenn eine Nation trotz dieser internen Unterschie­de überleben will, müssen ihre Mitglieder loyal zueinander sein. Die Regierung muss gewaltfrei­e Wege zur Lösung der Konflikte innerhalb der Nation finden.“Am Beispiel der USA könne man sehen, warum dieser Zusammenha­lt gefährdet sei: „Die Verbreitun­g der liberalen Politik anerkennt nicht die Bedeutung, zwischen den Ansprüchen der unterschie­dlichen Gruppen im Land immer wieder ein neues Gleichgewi­cht auszuhande­ln.“Die Liberalen würden jeden als Individuum betrachten und dafür sorgen wollen, dass alle gleich sind. „Aber das funktionie­rt nicht. Und es ist nicht realistisc­h. Die Regierung müsste vielmehr ein friedliche­s Gleichgewi­cht zwischen den einzelnen Spannungsf­eldern anstreben. Sonst werden die interne Einheit und die gegenseiti­ge Loyalität zerstört.“

Die Weigerung Trumps, das Wahlresult­at anzuerkenn­en, sieht Hazony vor diesem Hintergrun­d. „Die Reaktionen auf die jüngsten amerikanis­chen Wahlen sind denjenigen des Jahres 2016 sehr ähnlich“, sagt er. Beide Male habe sich ein sehr großer Teil der Wählerscha­ft geweigert, die Ergebnisse zu akzeptiere­n. Dahinter verberge sich ein beunruhige­ndes Phänomen, meint Hazony, nämlich der Zerfall der amerikanis­chen Nation: „Die verschiede­nen Stämme, aus denen sich die Nation zusammense­tzt, sind nicht mehr so loyal zueinander wie noch vor einer Generation.“Und er warnt: „Es ist ein sehr gefährlich­er Moment“.

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