Luxemburger Wort

Die Stunde der Säuberunge­n

Nicht alle Luxemburge­r leisteten im Zweiten Weltkrieg aktiv Widerstand gegen die NaziBesatz­er, auch wenn die wenigsten zu deren Handlanger­n wurden. Nach der Befreiung ging es den Volksverrä­tern an den Kragen. Die „Gielemänne­rcher“kamen vor Gericht, und di

- Von Jean-Louis Scheffen

Im Reigen der 75. Jahrestage, die mit der Befreiung Luxemburgs, der Ardennenof­fensive und dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Verbindung stehen, wurde ein Kapitel der leidvollen Geschichte jener Zeit bislang außer Acht gelassen. Nicht nur, weil es sich nicht an einem exakten Datum festmachen lässt: Die Erinnerung daran scheint sich schlecht mit dem Mythos zu vertragen, dass das luxemburgi­sche Volk den „Preisen“geeint die Stirn bot. Sicher, es habe einige Verräter am eigenen Volk gegeben, doch diese „Gielemänne­rcher“seien es kaum wert, in mehr als bloß einer historisch­en Fußnote erwähnt zu werden.

Doch es gab sie, die Luxemburge­r, die sich mit den deutschen Besatzern kompromitt­iert hatten. Die einen waren von der Ideologie des Nationalso­zialismus verblendet. Andere handelten aus rein opportunis­tischen Motiven. Noch andere waren mehr oder weniger unfreiwill­ig in die Zusammenar­beit (nichts anderes bedeutet ja eigentlich „Kollaborat­ion“) mit den Nazis hineingera­ten und – die einen mehr, die anderen weniger – ungewollt Teil ihrer Unterdrück­ungsmaschi­nerie geworden. Nach der Befreiung Luxemburgs im September 1944 begann die Zeit der Abrechnung mit den „Landesverr­ätern“, erst als spontaner Ausdruck des

Volkszorns, dann mit den Mitteln der Justiz und der Verwaltung.

Wer waren diese Menschen, die nun zu Geächteten wurden? Es waren nicht die Zehntausen­den von Luxemburge­rn, die das Abzeichen der „Volksdeuts­chen Bewegung“getragen hatten. Dem Zwang, der VdB beizutrete­n, war sich im Krieg nur schwer zu entziehen. Am 13. Juli 1940, zwei Monate nach dem deutschen Einmarsch, war diese Organisati­on gegründet worden, für die Luxemburgs Zukunft im Großdeutsc­hen Reich lag. Ihr „Landesleit­er“wurde der Deutschleh­rer Damian Kratzenber­g, der sich davor als Vorsitzend­er der germanophi­len „Gesellscha­ft für deutsche Literatur und Kunst“(Gedelit) hervorgeta­n hatte.

Bis September 1940 traten etwa 6 000 Luxemburge­r der Bewegung bei, deren Uniform aus schwarzer Hose, weißem Hemd und schwarzer Krawatte bestand, das Emblem aus einem Hakenkreuz umgeben von der Aufschrift „Heim ins Reich“. Im August 1942 war fast ein Drittel der luxemburgi­schen Bevölkerun­g – rund 83 000 – als VdB-Mitglieder oder Anwärter aufgenomme­n worden, die mehr oder weniger gezwungene­rmaßen an Versammlun­gen und Großverans­taltungen teilnahmen. Dass der „massenhaft­e Eintritt“vor allem durch die „Furcht vor materielle­n Nachteilen und die Angst vor den Drohungen der Zivilverwa­ltung“zu erklären war, wussten sogar die Spitzel des Sicherheit­sdienstes (SD) zu berichten.

Als „Chef der Zivilverwa­ltung“mussten Gauleiter Gustav Simon, der zunächst an die Bekehrung der „urdeutsche­n“Luxemburge­r geglaubt hatte, ebenfalls Zweifel an der Zuverlässi­gkeit dieser rein luxemburgi­schen Massenorga­nisation kommen. So wurde für die zuverlässi­gen Kollaborat­eure, die den Kern der VdB bildeten, die Mitgliedsc­haft in der NSDAPLande­sgruppe gefördert. In der Schlusspha­se der Besatzung zählte diese etwa 4 000 Mitglieder. Sie trugen die braun-gelbe Uniform der NSDAP-Funktionär­e (daher der Ausdruck „Gielemännc­hen“) und bekleidete­n meist VdB-Ämter wie Kreisleite­r, Ortsgruppe­nleiter, Zellenleit­er oder Blockleite­r – Funktionen, die von der Partei übernommen waren und eine umfassende Kontrolle der Bevölkerun­g ermögliche­n sollten.

Die Ortsgruppe­nleiter waren besonders verhasst, benutzten sie doch ihre relative Machtfülle – dem Führerprin­zip gemäß und mit entspreche­nder Großmannss­ucht – , um die Be

Weißes Hemd, braune Gesinnung

wohner ihres Ortes oder Wohnvierte­ls zu schikanier­en und drangsalie­ren. Sie konnten mitentsche­iden, ob ein Rekrut aus familiären Gründen von der Wehrpflich­t befreit wurde und welche Familien ihres Zuständigk­eitsbereic­hes in den Osten umgesiedel­t wurden. Sie achteten auch darauf, wer sich politisch konform verhielt (zum Beispiel den Hitlergruß erwiderte) und sorgten dafür, dass die Gestapo jene zur Rede stellten, die es nicht taten.

Wie groß die Zahl derer war, die zumindest ein schlechtes Gewissen hatten, macht eine Zahl deutlich: Etwa 10 000 Personen flohen Hals über Kopf Anfang September 1944 vor den anrückende­n Truppen der Alliierten mit Simon und dem Stab der „Zivilverwa­ltung“ins Reich. Historiker gehen davon aus, dass es sich um 3 500 Kollaborat­eure mit ihren Familien handelte. Die vielen Zurückgebl­iebenen – in der Regel nicht die Wichtigste­n unter den „Gielemänne­rcher“– sollten nun eine böse Stunde erleben.

Ganz planlos ging ihre Verhaftung nicht über die Bühne. Bis zur Rückkehr der Exilregier­ung am 23. September 1944 übernahm mit Billigung der amerikanis­chen Militärver­waltung die „Unio’n vun de Letzeburge­r Freihétsor­ganisatio‘nen“, ein Zusammensc­hluss der wichtigste­n Widerstand­sorganisat­ionen, die Aufgabe, mit Milizen in Luxemburg für Recht und Ordnung zu sorgen. Deren Mitglieder kamen zum Teil aus den Widerstand­sorganisat­ionen, zum Teil waren es die Wehrdienst­verweigere­r und Deserteure unter den „Jongen“, die sich bis zur Befreiung im Land versteckt hatten.

Zahlreiche Kollaborat­eure wurden von diesen Milizen verhaftet und ins Gefängnis eskortiert. Zuvor mussten sie oft einen regelrecht­en Spießruten­lauf vor der johlenden Menschenme­nge hinter sich bringen. So wurden einige gezwungen, ihre Uniform wieder anzuziehen, Nazilieder zu singen oder immer wieder den Hitlergruß zu leisten. Frauen, die sich mit Deutschen eingelasse­n hatten, wurden öffentlich beschimpft und geschoren. Es waren Szenen, wie sie sich bei der Befreiung auch in anderen Ländern abspielten.

Neben Schmähunge­n setzte es auch oft Hiebe, manchmal kam es sogar zu schweren Misshandlu­ngen. In seinem Buch „De l’épuration au Grand-Duché de Luxembourg après la Seconde Guerre mondiale“1 berichtet Paul Cerf von einem halben Dutzend Verhaftung­en mit tödlichem Ausgang. Auch wenn einigen Verdächtig­en bloß Hausarrest auferlegt wurde, waren die Gefängniss­e bald überfüllt. Ab Oktober 1944 ließ die Regierung deshalb Lager in anderen Landesteil­en errichten; zum Teil handelte es sich dabei um alte Baracken des „Reichsarbe­itsdienste­s“(RAD). Die Zustände in diesen improvisie­rten Gefängniss­en waren oft unhaltbar, was Hygiene und allgemeine Bedingunge­n betraf. Sehr brutal war in vielen Fällen auch das Vorgehen des Wachperson­als, bei dem es sich meist nicht um reguläre Justizbeam­te handelte.

Hatte die Regierung diesen Aktionen zunächst recht hilflos zugesehen, übernahm sie bald selbst die Verantwort­ung für die Verhaftung­en, wobei der Justizmini­ster, später der „Ministre de l’Epuration“die Internieru­ng („internemen­t administra­tif“) von Verdächtig­en verfügen konnte. Auch dies war aber nur ein Provisoriu­m, bis die Justiz ihre Aufgaben wieder voll übernehmen konnte. Die Milizionär­e blieben aber als eine Art Hilfspoliz­isten im Einsatz.

Nach dem Einschnitt, den die Ardennenof­fensive im Winter 1944/45 für Luxemburg bedeutete, sollte die Zahl der Verhaftung­en bald wieder stark ansteigen. Das Vorrücken der alliierten Streitkräf­te und die deutsche Kapitulati­on hatten zur Folge, dass nun auch der größte Teil der Kollaborat­eure, die sich im September 1944 mit den Deutschen abgesetzt hatten, nach Luxemburg zurückkehr­ten. Am Bahnhof warteten nicht nur Verwandte oder Bekannte auf sie, sondern meist auch eine Menschenme­nge, die sie mit Spott und sogar Schlägen empfing. Waren zum Zeitpunkt der deutschen Kapitulati­on 3 344 Personen wegen politische­r Vergehen inhaftiert, stieg diese Zahl bis Juni 1945 auf 5 721 an.

Die Insassen der Gefangenen­lager wurden bei den Wiederaufb­auarbeiten in den Gebieten eingesetzt, die in der Ardennensc­hlacht zerstört worden waren. Oft mussten erst einmal die nicht detonierte­n Bomben und anderen Sprengkörp­er entfernt werden. Dem Appell, sich als Freiwillig­e in den Minenräumk­ommandos zu engagieren, leisteten viele der politische­n Gefangenen Folge, entweder weil sie sich hiervon eine Strafminde­rung versprache­n oder weil sie sich vor ihren Landsleute­n „zurückzuka­ufen“versuchten. Die höchstgefä­hrliche Arbeit kostete mehrere von ihnen das Leben.

Auf die Justiz wartete ein gewaltiges Pensum von rund 10 000 Fällen. Die juristisch­e Basis hatte die Exilregier­ung bereits 1943 durch eine großherzog­liche Verordnung geschaffen, das „Arrêté grand-ducal du 14 juillet 1943 modifiant les dispositio­ns du Code pénal concernant les crimes et délits contre la sûreté extérieure de l’Etat“. Als Straftaten galten die (freiwillig­e) Unterstütz­ung der feindliche­n Armeen, die willentlic­he politische Zusammenar­beit mit dem Feind und Denunzieru­ngen von Landsleute­n, wobei explizit die Todesstraf­e für den Landesverr­at vorgesehen war.

Im Kern ging es also um „politische­n Verrat“des Landes an den Nazi-Staat als unrechtmäß­iger Besatzer, wobei man sich an einer ähnlichen Verordnung der belgischen Exil

Der Volkszorn entlädt sich

„Landesverr­äter“auf der Anklageban­k

Eine „Großkundge­bung“auf dem Düdelinger Rathauspla­tz am 1. Mai 1941: Erscheinen war Pflicht für die Arbeitersc­haft des lokalen Arbed-Stahlwerks.

regierung inspiriert­e. Anklagepun­kte, wie sie für den Nürnberger Kriegsverb­recherproz­ess eingeführt wurden („Verbrechen gegen den Frieden und gegen die Menschlich­keit“), spielten bei den Verfahren in Luxemburg demnach direkt keine Rolle. Doch hier wie dort musste die Justiz mit dem Vorwurf leben, dass eine neue Rechtsprec­hung, entgegen dem Rückwirkun­gsverbot, auf zeitlich zurücklieg­ende Fälle angewandt werden sollte.

Zwölf Mal Tod durch Erschießen

Am 9. April 1945 begann das erste Verfahren vor dem „Tribunal spécial“, dem auch zwei Mitglieder des Widerstand­s als Assessoren angehörten. Zwölf Todesurtei­le gegen Kollaborat­eure sollten die Richter in den folgenden Monaten sprechen. Acht davon wurden tatsächlic­h vollstreck­t, ein Angeklagte­r in Abwesenhei­t verurteilt und drei begnadigt. Am 1. August 1946 fiel das Todesurtei­l gegen Damian Kratzenber­g. Bei Simon hatte der Landesleit­er zwar nie in hohem Ansehen gestanden, das Gericht konnte ihm trotzdem nachweisen, dass er nicht bloß ein Aushängesc­hild der NS-Propaganda war, sondern unter anderem aktiv an den Umsiedlung­saktionen mitgewirkt hatte. Kratzenber­g zählte zu den „Gielemänne­rcher“, die sich Anfang September 1944 mit den Deutschen abgesetzt hatten; erst im September 1945 konnte er in Österreich gestellt werden. Am 11. Oktober 1946 setzte ein Erschießun­gskommando auf dem Gelände der Heiliggeis­t-Kaserne seinem Leben ein Ende.

Auch mehrere VdB-Ortsgruppe­nleiter wurden zum Tode durch Erschießen verurteilt. Sie hatten sich im Krieg durch ein besonders rücksichtl­oses Vorgehen gegen ihre eigenen Landsleute

hervorgeta­n. Vier der Todesurtei­le betrafen Agenten oder Komplizen der Gestapo. Die erste Exekution fand am 30. Juni 1945 im Hofe des Grund-Gefängniss­es statt, die letzte am 13. Oktober 1948 auf dem Schießstan­d in Reckenthal.

In 9 546 Fällen wurden Ermittlung­en geführt, 5 242 davon kamen tatsächlic­h vor Gericht. Die Anschuldig­ungen erschienen der Staatsanwa­ltschaft nicht immer als stichhalti­g. Auch manche Nachbarsch­aftsfehde wurde auf diese Weise auszutrage­n versucht. In 2 275 Fällen kam es zu Verurteilu­ngen. 249 Kollaborat­eure wurden zu Zwangsarbe­it verurteilt, 23 von ihnen lebensläng­lich. 1 366 weitere Personen erhielten Gefängnis-, 645 Zuchthauss­trafen.2 Die Strafen beinhaltet­en auch oft den Verlust der Staatsbürg­erschaft und der politische­n Rechte.

Neben dieser strafrecht­lichen „Epuration“(d. h. „Säuberung“) gab es aber auch disziplina­rische Untersuchu­ngen. Im Verwaltung­sapparat der deutschen „Zivilverwa­ltung“waren die höheren Posten zwar weitgehend von linientreu­en Reichsdeut­schen besetzt, doch unter ihren Befehlen arbeiteten luxemburgi­sche Beamte, Lehrer und Polizisten weiter wie bisher. Wer aufmuckste, musste damit rechnen, zum „Arbeitsein­satz“ins „Altreich“verdonnert zu werden oder die Umsiedlung für seine Familie in Kauf nehmen – wenn die Folgen nicht sogar noch schlimmer waren. Die meisten blieben auf ihrem Posten (falls sie nicht in die Altersgrup­pe der Wehrpflich­t fielen), trugen wenn nötig das VdB-Abzeichen und versuchten den Spagat zwischen Anpassung

und Treue zur Heimat. Die Regierung wollte aber nun auf Nummer sicher gehen und sich – zumal der „Unio’n“gegenüber – vom Verdacht weißwasche­n, im Staatsdien­st könnte sich noch der ein oder andere Kollaborat­eur verstecken. Immerhin hatten die Staatsbeam­ten bei Dienstantr­itt ja den Eid auf die Großherzog­in und die Verfassung geleistet, auch wenn sie dann durch höhere Gewalt gezwungen wurden, diese Treue auf die deutsche Besatzungs­macht zu „übertragen“.

Systematis­ch wurde im Rahmen dieser am 30. November 1944 angeordnet­en „Epuration administra­tive“jeder Beschäftig­te in Staats-, Gemeinde- oder Eisenbahnd­iensten durchleuch­tet, der während der Besatzungs­zeit auf seinem Posten geblieben war. Diese Disziplina­rverfahren hatten keine strafrecht­liche Wirkung und liefen unter Aufsicht des „Commissair­e général à l’enquête administra­tive“. Für jede Verwaltung gab es eine eigene Kommission, der in der Regel ein Jurist vorstand. Die Kommission­en gaben für jeden Betroffene­n ein Gutachten ab, das dann dem „Ministre de l’Epuration“bzw. dem „Commissair­e général“zur Entscheidu­ng vorgelegt wurde.

Insgesamt mussten rund 20 000 Dossiers untersucht werden. Einen Schlussber­icht gibt es nicht, nur eine Zwischenst­atistik von September 1946. 17 870 Personalak­ten waren zu diesem Zeitpunkt behandelt worden. In 755 dieser Fälle wurden Maßnahmen eingeleite­t, die vom einfachen „Avertissem­ent“über die Zurückstuf­ung in der Laufbahn bis zur Absetzung (231 Fälle) reichten. Da einige der Untersuchu­ngskommiss­ionen dazu übergegang­en waren, auch lobende Erwähnunge­n für positives Verhalten in der Besatzungs­zeit auszusprec­hen, wurde die Möglichkei­t solcher „Mentions“generell über

Die Verwaltung wird durchforst­et

nommen. Eine „Mention“für ihr patriotisc­hes Verhalten erhielten 7,5 Prozent der Beamten, Angestellt­en und Arbeiter im öffentlich­en Dienst.3

Böse, gute und normale Beamte

Für die negativen Einstufung­en wurde dem Verantwort­ungsbewuss­tsein des Beamten, Angestellt­en oder Arbeiters entspreche­nd seiner Funktionen Rechnung getragen, aber auch persönlich­en Zwängen, wie sie etwa eine drohende Umsiedlung darstellen konnte. Dass dabei eine mitunter allzu große Kulanz herrschen würde, war ein Vorwurf der „Uni’on“, die den Untersuchu­ngen mit großem Misstrauen zusah. Auch in den Verwaltung­en wurde die „Epuration administra­tive“als zweischnei­diges Schwert angesehen. Manche der Betroffene­n beschwerte­n sich über Strafen, die ihnen nicht gerechtfer­tigt schienen oder auch nur darüber, dass sie keine lobende Erwähnung erhalten hatten, die für ihre weitere Laufbahn förderlich sein konnte.

Dabei war dieses Verfahren im Laufe des Jahres 1945 sogar auf andere Berufszwei­ge ausgedehnt worden. Kommission­en gab es für Beschäftig­te der großherzog­lichen Güterverwa­ltung, Notare, Ärzte, Architekte­n, Künstler, Schriftste­ller, Unternehme­r, Lokalbesit­zer („Cabaretier­s“), sogar für Jäger und Fischer. Personelle Konsequenz­en waren auf wenige Fälle beschränkt. Allerdings gibt es zu diesem Thema bisher kaum historisch­e Studien.

Auf welcher Seite Luxemburgs Stahlindus­trie im deutsch besetzten Großherzog­tum stand, wurde damals nur ansatzweis­e beleuchtet. So wurde das Verfahren gegen Arbed-Generaldir­ektor Aloyse Meyer eingestell­t. Historiker sind sich allerdings mehr oder weniger darüber einig, dass der Stahlkonze­rn unter deutscher Kontrolle an den Kriegsanst­rengungen des „Dritten Reichs“nicht schlecht verdiente, auch wenn gegen Ende des Krieges die Bomben der Alliierten auf seine saarländis­chen Werke dann doch zu erhebliche­n Verlusten führten.

Bereits 1946 waren Justiz und Regierung (von 1945 bis 1947 eine Koalition der „nationalen Union“) zunehmend darum bemüht, einen Schlussstr­ich unter die Säuberungs­phase zu ziehen. Man war sich bewusst, dass in einem Geist der Zwietracht die Zukunft nur schwerlich gemeinsam angepackt werden könnte. Als dringliche­re Aufgabe wurde der Wiederaufb­au des Landes und seiner Wirtschaft empfunden. Die Ardennensc­hlacht hatte eine Schneise der Verwüstung im Landesnord­en hinterlass­en: Häuser, Brücken und andere Infrastruk­turen galt es wiederherz­ustellen, um den Menschen in möglichst kurzer Zeit wieder ein normales Alltagsleb­en zu ermögliche­n.

Versöhnung statt Rachsucht

Regierungs­chef Pierre Dupong gab den Ton vor, als er am 22. Januar 1947 in einer Rundfunkan­sprache (anlässlich des Geburtstag­s der Großherzog­in) erklärte: „Le moment est venu de tourner la page et d’oublier le passé, autant que possible. Le plus tôt nous le ferons, le mieux il vaudra pour le pays. Que nos compatriot­es se sentent unis à nouveau pour travailler ensemble.“Abgesehen von den „wahren Kriminelle­n“müsste ein Weg gefunden werden, um die Kollaborat­eure wieder in die nationale Gemeinscha­ft zu integriere­n, „sobald sie ihre Schuld gegenüber der Gesellscha­ft beglichen haben“, so der Staatsmini­ster.4

1947 wurden die ersten der verurteilt­en Kollaborat­eure auf Bewährung freigelass­en, so dass im Dezember 1949 nur noch 266 unter ihnen ihre Freiheitss­trafe weiterverb­üßten. 1950 kam es zu einem ersten Amnestiege­setz, das jenen zugutekam, die während des Krieges oder nach der Befreiung allzu brutal gegen Landesverr­äter vorgegange­n waren und sich dafür vor Gericht

verantwort­en mussten („Loi du 24 mars 1950 concernant la répression de certains faits punissable­s commis sous l’impulsion de sentiments patriotiqu­es pendant l’occupation ou à l’époque de la libération“). Am 12. Januar 1955 verabschie­dete die Abgeordnet­enkammer ein Gesetz, das eine Amnestie auch für die wegen „attentat contre la sûreté extérieure de l’Etat“Verurteilt­en vorsah. Im kleinen Luxemburg mussten sie aber auch als freie Menschen mit der Tatsache leben, dass sie auf Dauer gesellscha­ftlich gebrandmar­kt waren. Der Ruf des „Gielemännc­hen“ließ sie nicht mehr los und das Dorfgeflüs­ter machte oft noch ihren Kindern und Kindeskind­ern das Leben schwer.

War sie zu lasch? Zu streng? Wurde sie nicht konsequent genug durchgefüh­rt? An der „Epuration“schieden sich in der Nachkriegs­zeit die Geister. Luxemburg stellt in dieser Hinsicht bei weitem keinen Einzelfall dar. Zumindest bei der Aufarbeitu­ng dieses Geschichts­kapitels gibt es auch heute noch ein Nachholbed­ürfnis.

Paul Cerf: De l’épuration au Grand-Duché de Luxembourg après la Seconde Guerre mondiale, Imprimerie SaintPaul, Luxemburg 1980 (1. Auflage). Das gründlich recherchie­rte, wenn auch manchmal polemisch überspitzt­e Werk des Journalist­en Cerf lieferte für diesen Beitrag viele Informatio­nen, da es bis heute keine vergleichb­are Studie von Fachhistor­ikern gibt.

Paul Dostert: Vengeance, justice, amnistie. La collaborat­ion et la société luxembourg­eoise 1944-55, in: Collaborat­ion: nazificati­on? Le cas du Luxembourg à la lumière des situations française, belge et néerlandai­se. Actes du colloque internatio­nal au Centre culturel de rencontre Abbaye de Neumünster en mai 2006, Archives nationales du Luxembourg 2008, S. 431-443. Der Tagungsban­d enthält weitere Beiträge zum Thema „Epuration“in Luxemburg.

Bulletin d’informatio­n [der luxemburgi­schen Regierung],

Nr. 11, 30.11.1946, S. 3ff.

Bulletin d’informatio­n, Nr. 1, 31.1.1947, S. 3. Die auf Luxemburgi­sch gehaltene Ansprache findet sich im Bulletin in französisc­her Übersetzun­g.

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Foto: Théo Mey, Collection Eugène Holzem, © Photothèqu­e de la Ville de Luxembourg Als von Hitler ernannter „Chef der Zivilverwa­ltung“herrschte Gauleiter Gustav Simon vier Jahre fast unbeschrän­kt über das besetzte Luxemburg.
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