„Mein Körper ist mein Arbeitsinstrument“
Die italienische Schauspielerin Monica Bellucci über verstörende Filmszenen und ihr Leben abseits der Kamera
Ihren unvergesslichsten Film hat Monica Bellucci bereits vor 18 Jahren gedreht: „Irréversible“, der Skandalschocker des Festivals von Cannes 2002, in dem es um eine Vergewaltigung geht. Scharen von Kritikern hatten die Vorführung verlassen. Gesehen hatten sie ein Rachegemetzel und eine neun Minuten lange Vergewaltigungsszene, die in ihrer Radikalität neu war – und ein Wendepunkt in der Karriere der Hauptdarstellerin. Heute erscheint eine Neufassung des Films auf DVD, genannt „Irréversible – The Straight Cut“, mit einer veränderten chronologischen Abfolge.
Monica Bellucci, wie haben Sie die Reaktionen auf den ursprünglichen Film und seine Premiere in Cannes 2002 in Erinnerung?
Viele Menschen verließen damals vorzeitig den Saal, was dazu führte, dass sie die Dimension des Films nicht verstehen konnten.
Die Poesie des Endes fehlte ihnen dabei komplett. Die Intimität zwischen mir und Vincent (Vincent Cassel, ihr Leinwandpartner und damaliger Ehemann, Anm. d. Red.) sieht man erst am Ende des Films. Das haben viele dann verpasst, weil sie mit der Gewalt in den ersten Szenen überfordert waren. Trotzdem hat der Film es geschafft, einen Kultstatus zu erreichen, weil es auch viele Menschen gab, die den Film verstanden und geliebt haben. Heute begreift man ihn vielleicht besser denn je.
Ist das auch der #MeToo-Bewegung geschuldet?
Absolut. Diese Bewegung hat viel mit den Themen zu tun, die wir schon damals angesprochen haben. Ich bin überzeugt, dass Filme die Welt verändern können, weil sie die Kultur verändern.
Man kann als neuer Mensch aus einem Film herauskommen. „Clockwork Orange“oder „La Vie d’Adèle“sind verstörende, schmerzhafte, aber eben auch wunderschöne Werke. Das Gleiche gilt auch für „Irréversible“. Ja, der Film ist intensiv und verstörend, aber relevant. Er hat eine öffentliche Kontroverse ausgelöst, die wir dringend brauchten.
Das ist sicher der Chuzpe von Regisseur Gaspard Noé zu verdanken ...
Der Film ist natürlich polemisch. Aber genau solche Werke ermöglichen uns, über wichtige Themen zu reden. Durch die neue Schnittversion können wir jetzt eine noch klarere Dualität von Poesie und Gewalt erkennen und ansprechen. Natürlich ist der Film brutal – aber er handelt auch von Liebe, Freundschaft, Beziehungen, Intimität und Geburt. Das alles muss man wiederum in dem Kontext sehen, dass Gewalt immer schon eingesetzt wurde, um zu dominieren, zu demütigen und sexuell zu unterdrücken. Der Film zeigt die Schönheit und Monstrosität, die den Menschen innewohnt.
Viele Schauspieler lehnen zu intensive Szenen ab, oder aber ein „intimacy coordinator“würde alles Körperliche mit viel Vorsicht und Zentimetermaß kontrollieren.
Ich fühlte mich frei, die Geschichte und das Thema auszukundschaften. Ich habe dem Regisseur und auch meinem Spielpartner vertraut und schwierige Szenen vorab geprobt. In diesem sicheren Rahmen war mein Körper ein Objekt, den ich einsetzen konnte, um den von mir gewünschten Effekt zu erzielen. Mir war immer klar, dass ich Schauspielerin dieser Szene bin – es hat sich nie real angefühlt. Der Film hatte auch viele wunderbare Szenen, gerade zwischen Vincent und mir, er war persönlich und beruflich für mich eine spannende Erfahrung. Wir hatten Szenen, die beinahe 20 Minuten dauerten – für Kino ist das ungewöhnlich lang. Das fühlte sich eher an wie Theater.
Wie hat sich diese filmische Tour de Force auf Ihre Beziehung zu Cassel ausgewirkt?
Wir haben uns direkt im Anschluss scheiden lassen. (lacht) Nein, das war nur ein Scherz. Es war deutlich einfacher, intime
Szenen zu drehen, weil wir verheiratet waren. Mit einem anderen Kollegen wäre das etwas komplett anderes gewesen. Ich bin noch nie so weit gegangen in einer Rolle. Daher war ich sehr glücklich, dass der Kollege mein Mann war.
Sie stehen seit fast 30 Jahren vor der Kamera. Wie gehen Sie generell mit schwierigen Situationen am Set um?
Mit jedem Film macht man andere Erfahrungen, und jeder Regisseur hat seinen eigenen Stil. Manche legen großen Wert auf Proben, andere improvisieren. Als Schauspielerin überlege ich mir natürlich gut, in welchem Film ich mitspielen will. Aber die Entscheidung für einen Film erfolgt nie ausschließlich auf einer rationalen Ebene. Es spielen immer auch irrationale, intuitive Faktoren mit hinein. Das erkennt man oft erst rückblickend. Für mich waren gerade solche Filme entscheidend, die von Frauen in einer Männerwelt handeln. Sie zeigen die Schwierigkeiten, die Frauen haben, wenn sie von Männern umgeben sind.
Betrachten Sie Ihr Äußeres dabei als Last, Geschenk oder sogar Verpflichtung?
Ich weiß, dass mir Schönheit stets auch Macht gab. Am Anfang meiner Karriere war ich nicht gerade die allerbeste Schauspielerin der Welt. Francis Ford Coppola hat mir eine kleine Rolle gegeben, das war meine große Chance. Ich kapierte schnell, dass ich mich auf die Hinterbeine setzen muss, wenn ich mich vom Aussehen unabhängig machen will.
Haben Sie mal probiert, ob Sie
Mut zur Hässlichkeit haben?
Ich stand einen Monat, nachdem meine zweite Tochter Léonie zur Welt gekommen war, schon wieder vor der Kamera für „Un été brûlant“von Philippe Garrel. Das war komisch, weil ich eine gefährliche, sexy Frau spielte – dabei habe ich alle zwei Stunden mein Baby gestillt und kaum geschlafen! (lacht) Ich hatte darin viele Nacktszenen, obwohl mein Körper alles andere als in Bestform war. Im Klartext: Ich war fett wie eine Kuh, aber durch die Geburt noch so euphorisch, dass es mir nichts ausmachte.
Als Schauspieler muss man großzügig sein, das ist dein Job – man denkt nur an den Film und die Rolle, nicht an sich selbst. Außerdem betrachte ich meinen Körper als mein Arbeitsinstrument. Den Film fand ich trotzdem schön, gerade weil nichts perfekt ist und ich mich auch so verletzbar fühlte. Er wurde deswegen viel menschlicher, viel rührender.
Wann reizt Sie ein Part?
Rollen, bei denen ich mich lebendig fühle. Gute Geschichten. Der Stoff muss mich begeistern, muss etwas ganz Besonderes sein. Ich habe schon so viele Genrefilme gedreht wie „Le pacte des loups“, „Shoot 'Em Up“oder den Bond-Film „Spectre“. Jetzt springe ich lieber etwas hin und her.
Sie könnten ausschließlich in großen Studio-Produktionen wie „The Matrix“oder „James Bond“spielen. Stattdessen sieht man Sie oft in Projekten von völlig unbekannten Regisseuren. Warum? Aus künstlerischer Großzügigkeit?
Das sind auch große Filme!
Eine Budgetgröße ist für mich nicht ausschlaggebend. Ich bin glücklich, wenn ich mit talentierten Regiekünstlern arbeiten kann. Da steckt vielleicht nicht das große Geld drin, aber große Kunst.
Was machen Sie, wenn Sie ausgepowert sind?
Ich ziehe die Notbremse und mache vier Wochen Urlaub. Totaler Tapetenwechsel. Oder ich bleibe zuhause und bin für niemanden zu sprechen. Andere sind süchtig nach Arbeit – das will ich nicht werden. Meine Leidenschaft gehört meinem Beruf. Da merkt man nicht, wenn man durchdreht. Daher ist es intelligenter, zwischendurch zum wahren Leben zurückzukehren, zu Freunden und Familie.
Das erdet Sie, am Tisch zu sitzen, zu kochen und zu reden ...
Genau. Oft ist es so, dass man nach einem Dreh in ein Loch fällt, weil man sich vom normalen Dasein richtig entfremdet hat. Ich brauche oft zehn Tage, bis mir mein eigentliches Leben wieder Spaß macht. Wenn ich arbeite, stehe ich im Mittelpunkt – automatisch denkt man, man wird geliebt und gebraucht. Aber das ist eine Illusion. Wenn man erst einmal wieder weg ist vom Set, merkt man: Es ändert sich nichts, niemand braucht dich wirklich, die Welt bleibt nicht stehen nur deinetwegen! Man darf nicht vergessen, was wirklich zählt.
Ich brauche oft zehn Tage, bis mir mein eigentliches Leben wieder Spaß macht.