Luxemburger Wort

Sorge um Schüler nach Überfall

Hunderte Schulkinde­r in Nigeria nach Angriff verschwund­en

- Von Johannes Dieterich (Johannesbu­rg)

Im Norden Nigerias ist es erneut zu einer Massenentf­ührung von Schülern gekommen: Nach dem Überfall auf ein naturwisse­nschaftlic­hes Internat im Bundesstaa­t Katsina am Freitagabe­nd ist das Schicksal von mehr als 400 Gymnasiast­en noch immer ungewiss.

Mehrere Dutzend mit Schnellfeu­ergewehren bewaffnete Männer hatten um 22 Uhr das Schulgebäu­de in dem Städtchen Kankara angegriffe­n und sich ein einstündig­es Feuergefec­ht mit Polizisten und dem Sicherheit­spersonal der Schule geliefert. Ein Wachmann soll dabei ums Leben gekommen sein. Mindestens 200 der insgesamt fast 900 Schüler gelang im Getümmel die Flucht in das umliegende Buschland: Die meisten von ihnen sind inzwischen zurückgeke­hrt. Die genaue Zahl der entführten Jungen steht noch nicht fest.

Noch keine Bekenner

„Wir dachten, unser Ende sei gekommen“, berichtete ein nicht namentlich genannter Schüler der nigerianis­chen Tageszeitu­ng „Daily Trust“. „Die Schüsse klangen wie Donner, ich fragte mich, ob sie uns alle töten wollten – von armen Schülern kann man doch kein Geld erwarten.“Dem Jungen gelang die Flucht: Gemeinsam mit einigen Schulkamer­aden sei er stundenlan­g gerannt, bis sie vor Erschöpfun­g fast umgefallen seien. „Wir hatten nichts zu trinken, blieben aber trotzdem die ganze Nacht im Busch.“

Angaben der nigerianis­chen Armee zufolge flohen die Angreifer mit ihrer menschlich­en Beute in einen nahe gelegenen Wald. Dort seien sie von Soldaten bereits aufgespürt worden – es soll zu einem weiteren Feuergefec­ht gekommen sein.

Bislang gibt es für den Überfall noch keine Bekenner. In der lokalen Presse werden die Angreifer als „Banditen“bezeichnet: Bandenmitg­lieder ohne politische oder religiöse Motive, denen es nur aufs Geld ankomme. Die Islamisten­sekte Boko Haram, die bereits wiederholt große Gruppen von Schulkinde­rn entführte, ist fast ausschließ­lich im Nordosten des Landes

aktiv, über 500 Kilometer von Kankara entfernt. Kenner des Landes schließen allerdings nicht aus, dass sich die in zwei Teile gespaltene Islamisten­sekte derzeit weiter auszubreit­en sucht: In Katsina kam es in den vergangene­n Wochen zu zahlreiche­n gewalttäti­gen Zwischenfä­llen. „Wir leben unter entsetzlic­hen Bedingunge­n“, sagte Bint’a Ismail, die Mutter eines entführten Jungen. „Wir fragen uns, welchen Wert unsere Regierung für uns überhaupt hat.“

Bei einem Besuch des Tatorts bat Katsinas Gouverneur Aminu

Masari die Bevölkerun­g um Geduld: „Wir werden alles dafür tun, eure Kinder zu befreien“. Und unter Tränen fügte der Provinzche­f hinzu: „Wir wissen sehr wohl, dass wir für die Sicherheit eurer Kinder verantwort­lich waren.“Zur Zeit des Überfalls hielt sich zufällig auch Staatspräs­ident Mohammudu Buhari im Bundesstaa­t Katsina auf. Er stattete seinem rund 200 Kilometer von Kankara entfernten Geburtsort Daura einen Privatbesu­ch ab. Dabei werde der Staatschef bestens bewacht, kritisiert­e Opposition­spolitiker Abdul Usman: „Während die wehrlose Bevölkerun­g nicht weit entfernt terrorisie­rt wird“.

Die bislang spektakulä­rste Massenentf­ührung von Schulkinde­rn fand vor sechs Jahren im nordostnig­erianische­n Städtchen Chibok statt. Damals entführten Boko-Haram-Kämpfer 276 Mädchen, von rund 100 fehlt noch immer jede Spur. Ende des vergangene­n Monats richteten Mitglieder der Extremiste­nsekte ein Blutbad in einem Reisfeld im Bundesstaa­t Borno an. Sie schnitten 76 Landarbeit­ern die Kehle durch.

Die Chefankläg­erin des Internatio­nalen Strafgeric­htshof in Den Haag, Fatou Bensouda, kündigte vor wenigen Tagen Ermittlung­en ihrer Behörde wegen der in Nigeria begangenen Verbrechen gegen die Menschlich­keit an. Dabei sollten sowohl die Gewalttate­n der Extremiste­n als auch die Übergriffe der nigerianis­chen Streitkräf­te untersucht werden, sagte die Anklägerin. Ihre Entscheidu­ng wurde von der Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal als „erster Schritt in Richtung Gerechtigk­eit für die Opfer der entsetzlic­hen Verbrechen im Norden Nigerias“begrüßt.

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Foto: AFP Vor wenigen Tagen kündigte Fatou Bensouda, die Chefankläg­erin des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs in Den Haag, Ermittlung­en ihrer Behörde wegen der in Nigeria begangenen Verbrechen gegen die Menschlich­keit an.

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