Vergeblicher Warnschuss
Heute vor 25 Jahren streiken in Luxemburg Mitarbeiter des öffentlichen Diensts wegen der geplanten Rentenreform
Weder eine weltweite Pandemie noch der Klimawandel, heute vor 25 Jahren trieb eine geplante Rentenreform die Menschen in Luxemburg auf die Straße, zumindest wenn sie im öffentlichen Dienst beschäftigt waren. Der Warnstreik vom 15. Dezember 1995 stellte zwar ein starkes Zeichen gewerkschaftlicher Mobilisierung dar, konnte die Regierungspläne aber dennoch nicht verhindern.
Hintergrund war die Diskussion über die langfristige Absicherung der Rentenversorgung im Großherzogtum. Im Januar 1995 tauschte Jacques Santer (CSV) den Posten des luxemburgischen Premierministers, den er seit der Chamberwahl 1989 inne hatte, gegen jenen des Präsidenten der EU-Kommission. Sein Nachfolger an der Spitze der Koalition aus Christsozialen und Sozialisten wurde sein Parteikollege JeanClaude Juncker, der bis dahin Arbeitsminister gewesen war.
40 000 Demonstranten
Unter dem neuen Regierungschef wurde die sogenannte Perequation abgeschafft. Dies hatte zur Folge, dass die Renten der Staatsbediensteten nicht mehr parallel zur von der Staatsbeamtengewerkschaft CGFP ausgehandelten linearen Gehaltserhöhung stiegen. Stattdessen wurden die Renten an die allgemeine Lohnentwicklung angepasst, das „Ajustement“war geboren. Grundlage bildete der Gesetzentwurf 4092, der in der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember 1995 mit den Stimmen von CSV, LSAP und ADR angenommen wurde. DP und Déi Gréng votierten dagegen.
Der Abstimmung vorausgegangen waren Protestaktionen der Arbeitnehmervertretungen. So kam es am 24. Oktober 1995 zu einem von den Gewerkschaften CGFP, FNCTTFEL, FCPT, FSFL und FGFC organisierten Protestmarsch vom Glacis bis zum Knuedler. Laut Organisatoren sollen sich damals etwa 40 000 Personen an der Aktion beteiligt haben.
Am 15. Dezember erlebte der Konflikt seinen zwischenzeitlichen Höhepunkt. Im ganzen Land beteiligten sich Staatsbedienstete während 24 Stunden an einem
Warnstreik und blieben ihrem Arbeitsplatz an diesem Tag fern. Vor allem in der Hauptstadt, in Esch/Alzette und in Petingen kam es zudem zu Protestkundgebungen von Gemeindeangestellten.
Über die Höhe der Teilnehmerquote gab es anschließend je nach Quelle unterschiedliche Angaben. Das Ministerium für den öffentlichen Dienst veröffentlichte am Abend des Streiktags Zahlen, denen zufolge sich 7 941 von 15 692 betroffenen Beamten am Streik beteiligten, was einer Quote von 53,39 Prozent entspräche. Diese verteilten sich auf Ministerien, das Bildungswesen, die Gemeinden, die Sparkasse, die Zentralbank und das Versicherungskommissariat. Auf der Vorständekonferenz der CGFP, die am selben Abend stattfand, sprach man hingegen von einer Beteiligung von 80 Prozent.
Doch egal welche Zahl der Wahrheit entspricht, die sich wohl wie in den meisten solcher Fälle irgendwo in der Mitte befindet, der Streik hatte auf jeden Fall einen Impakt auf das öffentliche Leben. So ruhte in den meisten Sekundarschulen und in einem guten Teil der Grundschulen der Unterricht. Der Flugverkehr kam komplett zum Erliegen, weil die Flugsicherheit nicht garantiert war. Der Bustransport war vor allem auf dem Gebiet von Luxemburg-Stadt und im Kanton Esch betroffen. Am hauptstädtischen Bahnhof behinderten rund 200 Demonstranten vor allem den privatisierten Busverkehr. Die Post hatte ihrerseits zwar Probleme den Schalterbetrieb aufrecht zu erhalten, keine Auswirkungen hatte der Streik jedoch auf die Zustellung der Briefe.
Regierung zeigt sich unnachgiebig Die Gewerkschaften der Briefträger und Eisenbahner hatten sich indes nicht am Streik beteiligt. CGFP-Generalsekretär Jos Daleiden begründete dies in einem „Wort“-Interview vom 14. Dezember 1995 mit Strukturreformen, die zu diesem Zeitpunkt in den beiden Sektoren anstanden.
Da die Regierung auch im Anschluss an die eintägige Arbeitsniederlegung nicht von ihren Reformplänen abrückte, mobilisierte die CGFP ihre Mitglieder noch einmal für eine Protestkundgebung am 19. Dezember, dem Tag der Abstimmung über das Gesetzesprojekt 4092. Auf dem Krautmarkt hatten sich rund 500 Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude versammelt.
„Mit Pfiffen und Buh-Rufen wurden die Abgeordneten von CSV, LSAP und ADR begrüßt“, so wird die Stimmung in einem Bericht des „Luxemburger Wort“vom 20. Dezember beschrieben. Den Abgeordneten von DP und Déi Gréng sei hingegen „spontan Beifall geklatscht“worden, weil sie sich im Vorfeld gegen das Gesetz ausgesprochen hatten. Zum Spießrutenlauf wurde das Betreten des Parlaments für Premier Juncker und Michel Wolter, damals Minister für den öffentlichen Dienst. Beide wurden lautstark zum Rücktritt aufgefordert. Juncker erhielt zudem von Daleiden ein Flugblatt, auf dem gegen die Annahme des Gesetzes plädiert wurde.
Die Aktion sollte aber keinen Einfluss auf das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten haben. Das Gesetz wurde angenommen und das Rentensystem des öffentlichen Dienstes schrittweise dem des Privatsektors angeglichen. Der daraus resultierende Sozialkonflikt zog sich bis zum 21. Juli 1998, als das Parlament für die Abschaffung des 5/6-Pensionssystems votierte, dies erneut mit den Stimmen von CSV, LSAP und ADR, lediglich das CGFP-Mitglied Alphonse Theis (CSV) enthielt sich. Auch dieser Sitzung, die wegen Renovierungsarbeiten am Chambergebäude im hauptstädtischen Rathaus auf dem Knuedler stattfand, war eine Demonstration, diesmal mit 20 000 Teilnehmern, vorausgegangen.