Luxemburger Wort

Die Frage nach dem Warum

- Von Michèle Gantenbein

Ob die Dinge einen anderen Lauf genommen hätten, wenn das Bildungsmi­nisterium sich nicht dagegen entschiede­n hätte, die Staatsanwa­ltschaft einzuschal­ten, kann niemand sagen. Was man aber behaupten kann, ist, dass der finale Hebel, der in Bewegung hätte gesetzt werden müssen, um den Jungen zu schützen, nicht betätigt wurde. Das Bildungsmi­nisterium hat diesen Schritt verhindert.

Die Schulveran­twortliche­n – so viel steht fest – sind ihrer Pflicht nachgekomm­en. Sie haben sich darum gekümmert, Hilfsmaßna­hmen in die Wege geleitet, zusätzlich­e angeboten, sich in zahlreiche­n Gesprächen mit den Eltern auseinande­rgesetzt. Als ihnen aber klar wurde, dass das zu nichts führt, haben sie – aus Sorge um das

Wohl des Jungen – beschlosse­n, die Staatsanwa­ltschaft einzuschal­ten.

Der Regionaldi­rektor hat sich kurzfristi­g beim Ministeriu­m rückversic­hert. Das war nicht nötig, denn im Jugendschu­tzgesetz steht: „Un signalemen­t concernant un mineur en danger peut être adressé par simple courrier au juge de la jeunesse ou au service protection de la jeunesse du parquet. Le signalemen­t peut émaner de toute personne ayant connaissan­ce d'une situation qui pourrait constituer un danger pour un mineur.“

Doch das Ministeriu­m hat die Meinung der Profession­ellen nicht ernst genommen, seinen eigenen Leuten nicht vertraut, ihnen den Rücken nicht gestärkt. Es hat Informatio­nen des „Luxemburge­r Wort“zufolge die Anfragen der Schulveran­twortliche­n, mit dem Ministeriu­m über die Familie zu sprechen, ganz einfach ignoriert und sich über die Meinung der Experten hinweggese­tzt.

Der Regionaldi­rektor hat die Entscheidu­ng des Ministeriu­ms befolgt und sie an alle involviert­en Akteure aus der Schulgemei­nschaft weitergere­icht, und diese haben sich der Entscheidu­ng „von oben“ebenfalls gefügt.

Ausgerechn­et das Bildungsmi­nisterium, in dessen Verantwort­lichkeit und Zuständigk­eit das Kindeswohl und die Förderung der Rechte des Kindes liegen, ordnet Menschen, die ihrer Pflicht nachkommen wollen, an, dies nicht zu tun. Das ist ein Vorgang von einer derartigen Ungeheuerl­ichkeit, dass man es kaum ertragen kann.

Die Frage ist: Warum hat das Bildungsmi­nisterium gerade in diesem Fall so entschiede­n? Die Suche nach einer möglichen Antwort auf diese Frage führt zu den

Eltern und deren gesellscha­ftlicher Stellung. Beide Eltern sind hochqualif­iziert und haben angesehene Jobs. Die Eltern haben die Schulveran­twortliche­n bei Gesprächen wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass sie „gute politische Kontakte” haben.

Lag die Entscheidu­ng des Ministeriu­ms, die Staatsanwa­ltschaft nicht einzuschal­ten, demnach in der Befürchtun­g begründet, die Familie könnte in der Öffentlich­keit für Aufsehen sorgen und dem Image des Bildungsmi­nisters schaden?

In letzter Konsequenz kann diese Frage nicht beantworte­t werden. Genau so verhält es sich mit der Frage, auf welcher Ebene im Ministeriu­m die Entscheidu­ng getroffen wurde.

Das Ministeriu­m für Bildung, Kinder und Jugend hat 2018 die Broschüre „Kindesmiss­handlung – Leitfaden für Fachkräfte in der Kinder- und Jugendbetr­euung“, herausgege­ben. Im Vorwort dieser Broschüre steht: „Der Schutz und das Wohl aller Kinder müssen unser zentrales Anliegen sein ...

Bei allen Verwaltung­s- und Gerichtsve­rfahren muss das Interesse des Kindes oberste Priorität haben.“Unterzeich­net: Claude Meisch – Minister für Bildung, Kinder und Jugend.

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