Die Frage nach dem Warum
Ob die Dinge einen anderen Lauf genommen hätten, wenn das Bildungsministerium sich nicht dagegen entschieden hätte, die Staatsanwaltschaft einzuschalten, kann niemand sagen. Was man aber behaupten kann, ist, dass der finale Hebel, der in Bewegung hätte gesetzt werden müssen, um den Jungen zu schützen, nicht betätigt wurde. Das Bildungsministerium hat diesen Schritt verhindert.
Die Schulverantwortlichen – so viel steht fest – sind ihrer Pflicht nachgekommen. Sie haben sich darum gekümmert, Hilfsmaßnahmen in die Wege geleitet, zusätzliche angeboten, sich in zahlreichen Gesprächen mit den Eltern auseinandergesetzt. Als ihnen aber klar wurde, dass das zu nichts führt, haben sie – aus Sorge um das
Wohl des Jungen – beschlossen, die Staatsanwaltschaft einzuschalten.
Der Regionaldirektor hat sich kurzfristig beim Ministerium rückversichert. Das war nicht nötig, denn im Jugendschutzgesetz steht: „Un signalement concernant un mineur en danger peut être adressé par simple courrier au juge de la jeunesse ou au service protection de la jeunesse du parquet. Le signalement peut émaner de toute personne ayant connaissance d'une situation qui pourrait constituer un danger pour un mineur.“
Doch das Ministerium hat die Meinung der Professionellen nicht ernst genommen, seinen eigenen Leuten nicht vertraut, ihnen den Rücken nicht gestärkt. Es hat Informationen des „Luxemburger Wort“zufolge die Anfragen der Schulverantwortlichen, mit dem Ministerium über die Familie zu sprechen, ganz einfach ignoriert und sich über die Meinung der Experten hinweggesetzt.
Der Regionaldirektor hat die Entscheidung des Ministeriums befolgt und sie an alle involvierten Akteure aus der Schulgemeinschaft weitergereicht, und diese haben sich der Entscheidung „von oben“ebenfalls gefügt.
Ausgerechnet das Bildungsministerium, in dessen Verantwortlichkeit und Zuständigkeit das Kindeswohl und die Förderung der Rechte des Kindes liegen, ordnet Menschen, die ihrer Pflicht nachkommen wollen, an, dies nicht zu tun. Das ist ein Vorgang von einer derartigen Ungeheuerlichkeit, dass man es kaum ertragen kann.
Die Frage ist: Warum hat das Bildungsministerium gerade in diesem Fall so entschieden? Die Suche nach einer möglichen Antwort auf diese Frage führt zu den
Eltern und deren gesellschaftlicher Stellung. Beide Eltern sind hochqualifiziert und haben angesehene Jobs. Die Eltern haben die Schulverantwortlichen bei Gesprächen wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass sie „gute politische Kontakte” haben.
Lag die Entscheidung des Ministeriums, die Staatsanwaltschaft nicht einzuschalten, demnach in der Befürchtung begründet, die Familie könnte in der Öffentlichkeit für Aufsehen sorgen und dem Image des Bildungsministers schaden?
In letzter Konsequenz kann diese Frage nicht beantwortet werden. Genau so verhält es sich mit der Frage, auf welcher Ebene im Ministerium die Entscheidung getroffen wurde.
Das Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend hat 2018 die Broschüre „Kindesmisshandlung – Leitfaden für Fachkräfte in der Kinder- und Jugendbetreuung“, herausgegeben. Im Vorwort dieser Broschüre steht: „Der Schutz und das Wohl aller Kinder müssen unser zentrales Anliegen sein ...
Bei allen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren muss das Interesse des Kindes oberste Priorität haben.“Unterzeichnet: Claude Meisch – Minister für Bildung, Kinder und Jugend.