Was den Mossad antreibt
Israels Geheimdienst und seine mögliche Verwicklung in die Ermordung des iranischen Atomphysikers Mohsen Fakhrizadeh
Es war Freitag Nachmittag. Im Iran ein Ruhetag. Mohsen Fakhrizadeh, die zentrale Figur im militärischen Atomprogramm der Islamischen Republik, hatte am 27. November soeben seinen Lunch bei den Schwiegereltern beendet, die in Absard leben, einem Städtchen mit rund 10 000 Einwohnern, das bei der Elite des Landes sehr beliebt ist. Jetzt war Fakhrizadeh unterwegs in die 70 Kilometer entfernte Hauptstadt, zum Forschungsinstitut des Verteidigungsministeriums. Weil er seit Jahren zu den Top-Zielen des Mossad gehörte, sorgte ein Konvoi mit drei Autos und mehreren Bewaffneten für seinen Schutz. So gefährdet war Fakhrizadeh, dass er sich aus Angst vor einem Anschlag kaum in der Öffentlichkeit zeigte. Doch gegenüber dem Angriff, der dem Leben und Wirken des 58-jährigen am 27. November ein jähes Ende setzte, waren die Bodyguards machtlos. Er war auf der Stelle tot.
Die Verhinderung oder zumindest die Verzögerung der iranischen Atombombe, die Israel als existenzielle Gefahr sieht, hat für Jerusalem oberste Priorität.
Tage später verbreitete die iranische Nachrichtenagentur Tasnim, dass der „Märtyrer Opfer eines Terroranschlags des zionistischen Feindes“sei. Der iranische Top-Nuklearwissenschaftlers sei per Fernzugriff mit künstlicher Intelligenz und einem Maschinengewehr getötet worden. Die Waffe sei mit einem „satellitengesteuerten intelligenten System“ausgestattet gewesen, zitierte die Tasnim einen hochrangigen Kommandeur. Und ein Teil der Attentäter sei bereits festgenommen worden.
Auch wenn bis heute niemand die Verantwortung für die gezielte Tötung des iranischen Nuklearphysikers Mohsen Fakhrizadeh übernommen hat: Seit die Nachricht vom Attentat auf die Nummer Eins des iranischen Atomprogramms um die Welt ging, steht der übliche Verdächtige für die meisten fest: Der Mossad, Israels legendenumwobener Auslandsgeheimdienst.
Israel fürchtet existenzielle Gefahr Unter dem Kommando des 58-jährigen Yossi Cohen sind Mossad- Aktionen aggressiver und tollkühner geworden. Denn die Verhinderung oder zumindest die Verzögerung der iranischen Atombombe, die Israel als existenzielle Gefahr sieht, hat für Jerusalem oberste Priorität. Dem einst mit relativ bescheidenen Ressourcen ausgestatteten Mossad wurden vom ehemaligen Premier Ariel Sharon reichlich Finanzen zur Verfügung gestellt. Die zusätzlichen Mittel sollten gegen das militärische Atomprogramm des israelischen Erzfeindes eingesetzt werden.
Der Mossad hat seinen heimlichen Krieg gegen Irans militärisches Atomprogramm in den vergangenen Monaten verschärft. Im Sommer kam es zu einer Reihe von mysteriösen Explosionen
in Gebäuden, in denen Forschung und Produktion stattgefunden hatten, die das Atomprogramm unterstützten. Am 7. August wurde in Teheran ein führender Al-Kaida-Aktivist von MossadAgenten erschossen. Die Häufung von Übergriffen auf ihr Territorium ist für Iraner und deren Sicherheitskräfte eine Blamage und Herausforderung zugleich. Israel soll den USA auch geholfen haben, den iranischen Top-General Qhassem Soleimani aufzuspüren, bevor er im Januar durch amerikanistische Drohnen getötet wurde.
Mit seinen neun Millionen Einwohnern leiste sich Israel eine der größten Spionageagenturen der Welt, behaupten israelischen Medien. Allerdings ist das Budget nicht transparent. Der Mossad ist direkt dem Regierungschef unterstellt und ist nur ihm verantwortlich. Jede Aktion muss vom Premier bewilligt werden.
Da Israel seine Existenz stets in Gefahr sehe, werde ein effizientes Spionagenetz als höchste Priorität betrachtet, sagt der ehemalige Mossad-Agent und Autor mehrerer Bücher Gad Shimron. Zu den Stärken des Mossad zählt vor allem die Auswertung von Erkenntnissen, die sich auf menschliche Quellen stützen. „Da ist Israel Spitze,“meint Shimron, von dem unter anderem „Der Mossad und der Mythos“erschienen ist. Cyberware sei zwar wichtig, zitieren Insider den Mossadchef Cohen, aber wirksam sei nur, wenn sie mit Hilfe von Erkenntnissen richtig eingesetzt werde.
Der ehemalige Fallschirmspringer Cohen, der den Mossad seit vier Jahren leitet, begnügt sich nicht mit der Jagd auf Terroristen und iranische AtomManager. Er wird auch als SchattenAußenminister in Ländern eingesetzt, die zu Israel keine diplomatischen Beziehungen unterhalten. So spielte er zum Beispiel eine Schlüsselrolle bei der Normalisierung zwischen Israel und den Emiraten sowie Bahrain.
Netanjahu zählt Cohen zu seinen engsten Vertrauten, den er in kleinem Kreis auch schon als seinen Nachfolger erwähnt haben soll. Bis zu seiner Übernahme des Mossad war er Netanjahus Sicherheitsberater und wurde bei Beginn der Corona-Krise auch mit der Aufgabe betraut, Ventilatoren zu beschaffen, wobei deren Herkunft Cohens Geheimnis bleibt.
Politisches Kalkül hinter Attentat Neben diesen zivilen Aufgaben bleiben der Iran und die Verhinderung der iranischen Bombe Top-Priorität. Selten zuvor habe ein Land eine ähnliche Fähigkeit gezeigt, innerhalb des Territoriums seines ärgsten Feindes mit offensichtlicher Straffreiheit zuzuschlagen, sagt Bruce Reidel, der früher beim CIA mit Schwerpunkt Israel gearbeitet hat: „Es ist beispiellos, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Iraner dem etwas wirksam entgegensetzen können.“
Der Zeitpunkt des jüngsten Attentats könnte von politischem Kalkül beeinflusst worden sein. Der künftige USPräsident Biden werde nicht mehr automatisch grünes Licht für geheime Aktionen geben, vermutet der Iranexperte Raz Zimmt. Als Beleg erwähnt er ein Zitat des den Demokraten nahe stehenden ehemaligen CIA-Chefs John Brennan. Er hat den tödlichen Anschlag auf Fakhrizadeh als „kriminellen Akt... von Staatsterrorismus“scharf kritisiert.
Bereits jetzt belastet das Attentat Bidens künftige Iran-Politik. Rächt sich Teheran mit einer spektakulären Operation, wird es für ihn schwierig sein, mit dem Iran über einen neuen Nuklear-Deal zu verhandeln. Verzichtet das Regime hingegen auf eine Vergeltungsaktion, dürfte es als Gegenleistung einen höheren Preis für Kompromisse in der Atomfrage verlangen.
Wiederholt hat der Mossad außerhalb Israels Landesgrenzen mit gewagten Operationen für Schlagzeilen gesorgt. Dabei gab es auch Flops. Doch berühmt-berüchtigt ist der Mossad vor allem für Aktionen, die aus seiner Sicht erfolgreich verliefen. So kidnappte er 1960 den Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann in Argentinien und schmuggelte ihn aus dem Land zum Prozess nach Jerusalem.
Zu seinen bisher waghalsigsten Aktionen gehört indes der Diebstahl des gesamten iranischen Atom-Archivs aus einer Teheraner Lagerhalle. Es enthielt Dokumente mit den geheim gehaltenen Arbeiten der iranischen Nuklear-Forscher. Prominentester Name auf den Dokumenten: Mohsen Fakhrizadeh. Er hatte einen Teil der Informationen handschriftlich festgehalten – so vertraulich waren sie. Als Netanjahu vor zwei Jahren in einer Livesendung die Ankunft des Archivs in Israel publik machte, sagte er einen Satz, der jetzt wie die Ankündigung des Attentates klingt: „Merkt Euch den Namen Dr. Mohsen Fakhrizadeh.“
Es ist beispiellos, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Iraner dem etwas wirksam entgegensetzen können. Bruce Reidel, Ex-CIA-Mitarbeiter
Vortag. 128 Menschen sind an den Folgen der Infektion gestorben.