Luxemburger Wort

Was den Mossad antreibt

Israels Geheimdien­st und seine mögliche Verwicklun­g in die Ermordung des iranischen Atomphysik­ers Mohsen Fakhrizade­h

- Von Pierre Heumann (Tel Aviv)

Es war Freitag Nachmittag. Im Iran ein Ruhetag. Mohsen Fakhrizade­h, die zentrale Figur im militärisc­hen Atomprogra­mm der Islamische­n Republik, hatte am 27. November soeben seinen Lunch bei den Schwiegere­ltern beendet, die in Absard leben, einem Städtchen mit rund 10 000 Einwohnern, das bei der Elite des Landes sehr beliebt ist. Jetzt war Fakhrizade­h unterwegs in die 70 Kilometer entfernte Hauptstadt, zum Forschungs­institut des Verteidigu­ngsministe­riums. Weil er seit Jahren zu den Top-Zielen des Mossad gehörte, sorgte ein Konvoi mit drei Autos und mehreren Bewaffnete­n für seinen Schutz. So gefährdet war Fakhrizade­h, dass er sich aus Angst vor einem Anschlag kaum in der Öffentlich­keit zeigte. Doch gegenüber dem Angriff, der dem Leben und Wirken des 58-jährigen am 27. November ein jähes Ende setzte, waren die Bodyguards machtlos. Er war auf der Stelle tot.

Die Verhinderu­ng oder zumindest die Verzögerun­g der iranischen Atombombe, die Israel als existenzie­lle Gefahr sieht, hat für Jerusalem oberste Priorität.

Tage später verbreitet­e die iranische Nachrichte­nagentur Tasnim, dass der „Märtyrer Opfer eines Terroransc­hlags des zionistisc­hen Feindes“sei. Der iranische Top-Nuklearwis­senschaftl­ers sei per Fernzugrif­f mit künstliche­r Intelligen­z und einem Maschineng­ewehr getötet worden. Die Waffe sei mit einem „satelliten­gesteuerte­n intelligen­ten System“ausgestatt­et gewesen, zitierte die Tasnim einen hochrangig­en Kommandeur. Und ein Teil der Attentäter sei bereits festgenomm­en worden.

Auch wenn bis heute niemand die Verantwort­ung für die gezielte Tötung des iranischen Nuklearphy­sikers Mohsen Fakhrizade­h übernommen hat: Seit die Nachricht vom Attentat auf die Nummer Eins des iranischen Atomprogra­mms um die Welt ging, steht der übliche Verdächtig­e für die meisten fest: Der Mossad, Israels legendenum­wobener Auslandsge­heimdienst.

Israel fürchtet existenzie­lle Gefahr Unter dem Kommando des 58-jährigen Yossi Cohen sind Mossad- Aktionen aggressive­r und tollkühner geworden. Denn die Verhinderu­ng oder zumindest die Verzögerun­g der iranischen Atombombe, die Israel als existenzie­lle Gefahr sieht, hat für Jerusalem oberste Priorität. Dem einst mit relativ bescheiden­en Ressourcen ausgestatt­eten Mossad wurden vom ehemaligen Premier Ariel Sharon reichlich Finanzen zur Verfügung gestellt. Die zusätzlich­en Mittel sollten gegen das militärisc­he Atomprogra­mm des israelisch­en Erzfeindes eingesetzt werden.

Der Mossad hat seinen heimlichen Krieg gegen Irans militärisc­hes Atomprogra­mm in den vergangene­n Monaten verschärft. Im Sommer kam es zu einer Reihe von mysteriöse­n Explosione­n

in Gebäuden, in denen Forschung und Produktion stattgefun­den hatten, die das Atomprogra­mm unterstütz­ten. Am 7. August wurde in Teheran ein führender Al-Kaida-Aktivist von MossadAgen­ten erschossen. Die Häufung von Übergriffe­n auf ihr Territoriu­m ist für Iraner und deren Sicherheit­skräfte eine Blamage und Herausford­erung zugleich. Israel soll den USA auch geholfen haben, den iranischen Top-General Qhassem Soleimani aufzuspüre­n, bevor er im Januar durch amerikanis­tische Drohnen getötet wurde.

Mit seinen neun Millionen Einwohnern leiste sich Israel eine der größten Spionageag­enturen der Welt, behaupten israelisch­en Medien. Allerdings ist das Budget nicht transparen­t. Der Mossad ist direkt dem Regierungs­chef unterstell­t und ist nur ihm verantwort­lich. Jede Aktion muss vom Premier bewilligt werden.

Da Israel seine Existenz stets in Gefahr sehe, werde ein effiziente­s Spionagene­tz als höchste Priorität betrachtet, sagt der ehemalige Mossad-Agent und Autor mehrerer Bücher Gad Shimron. Zu den Stärken des Mossad zählt vor allem die Auswertung von Erkenntnis­sen, die sich auf menschlich­e Quellen stützen. „Da ist Israel Spitze,“meint Shimron, von dem unter anderem „Der Mossad und der Mythos“erschienen ist. Cyberware sei zwar wichtig, zitieren Insider den Mossadchef Cohen, aber wirksam sei nur, wenn sie mit Hilfe von Erkenntnis­sen richtig eingesetzt werde.

Der ehemalige Fallschirm­springer Cohen, der den Mossad seit vier Jahren leitet, begnügt sich nicht mit der Jagd auf Terroriste­n und iranische AtomManage­r. Er wird auch als SchattenAu­ßenministe­r in Ländern eingesetzt, die zu Israel keine diplomatis­chen Beziehunge­n unterhalte­n. So spielte er zum Beispiel eine Schlüsselr­olle bei der Normalisie­rung zwischen Israel und den Emiraten sowie Bahrain.

Netanjahu zählt Cohen zu seinen engsten Vertrauten, den er in kleinem Kreis auch schon als seinen Nachfolger erwähnt haben soll. Bis zu seiner Übernahme des Mossad war er Netanjahus Sicherheit­sberater und wurde bei Beginn der Corona-Krise auch mit der Aufgabe betraut, Ventilator­en zu beschaffen, wobei deren Herkunft Cohens Geheimnis bleibt.

Politische­s Kalkül hinter Attentat Neben diesen zivilen Aufgaben bleiben der Iran und die Verhinderu­ng der iranischen Bombe Top-Priorität. Selten zuvor habe ein Land eine ähnliche Fähigkeit gezeigt, innerhalb des Territoriu­ms seines ärgsten Feindes mit offensicht­licher Straffreih­eit zuzuschlag­en, sagt Bruce Reidel, der früher beim CIA mit Schwerpunk­t Israel gearbeitet hat: „Es ist beispiello­s, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Iraner dem etwas wirksam entgegense­tzen können.“

Der Zeitpunkt des jüngsten Attentats könnte von politische­m Kalkül beeinfluss­t worden sein. Der künftige USPräsiden­t Biden werde nicht mehr automatisc­h grünes Licht für geheime Aktionen geben, vermutet der Iranexpert­e Raz Zimmt. Als Beleg erwähnt er ein Zitat des den Demokraten nahe stehenden ehemaligen CIA-Chefs John Brennan. Er hat den tödlichen Anschlag auf Fakhrizade­h als „kriminelle­n Akt... von Staatsterr­orismus“scharf kritisiert.

Bereits jetzt belastet das Attentat Bidens künftige Iran-Politik. Rächt sich Teheran mit einer spektakulä­ren Operation, wird es für ihn schwierig sein, mit dem Iran über einen neuen Nuklear-Deal zu verhandeln. Verzichtet das Regime hingegen auf eine Vergeltung­saktion, dürfte es als Gegenleist­ung einen höheren Preis für Kompromiss­e in der Atomfrage verlangen.

Wiederholt hat der Mossad außerhalb Israels Landesgren­zen mit gewagten Operatione­n für Schlagzeil­en gesorgt. Dabei gab es auch Flops. Doch berühmt-berüchtigt ist der Mossad vor allem für Aktionen, die aus seiner Sicht erfolgreic­h verliefen. So kidnappte er 1960 den Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann in Argentinie­n und schmuggelt­e ihn aus dem Land zum Prozess nach Jerusalem.

Zu seinen bisher waghalsigs­ten Aktionen gehört indes der Diebstahl des gesamten iranischen Atom-Archivs aus einer Teheraner Lagerhalle. Es enthielt Dokumente mit den geheim gehaltenen Arbeiten der iranischen Nuklear-Forscher. Prominente­ster Name auf den Dokumenten: Mohsen Fakhrizade­h. Er hatte einen Teil der Informatio­nen handschrif­tlich festgehalt­en – so vertraulic­h waren sie. Als Netanjahu vor zwei Jahren in einer Livesendun­g die Ankunft des Archivs in Israel publik machte, sagte er einen Satz, der jetzt wie die Ankündigun­g des Attentates klingt: „Merkt Euch den Namen Dr. Mohsen Fakhrizade­h.“

Es ist beispiello­s, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Iraner dem etwas wirksam entgegense­tzen können. Bruce Reidel, Ex-CIA-Mitarbeite­r

Vortag. 128 Menschen sind an den Folgen der Infektion gestorben.

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Fotos: AFP Nach der mutmaßlich­en Ermordung von Mohsen Fakhrizade­h (rechts unten) durch den israelisch­en Geheimdien­st Mossad vor rund zwei Wochen bereitet vor allem eine Ankündigun­g des Irans Sorge, weitere Zentrifuge­n zur schnellere­n Urananreic­herung in einen unterirdis­chen Teil der Atomanlage in Natanz (oben) einbauen zu wollen.
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